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       # taz.de -- Berliner LKA ermittelte gegen apabiz: Neonazis schicken Staatsschutz
       
       > Nach der V-Mann-Affäre wird bekannt, dass das Berliner LKA gegen ein
       > linkes Archiv ermittelte. Nachdem eine Rechtsextremistin Anzeige
       > erstattet hatte.
       
   IMG Bild: Schwierige Tage für Staatsschutz-Chef Oliver Stepien (links) und LKA-Leiter Christian Steiof.
       
       BERLIN taz | Die Berliner Staatsschutz durchlebt derzeit, sagen wir, wenig
       ruhmreiche Tage. Sein langjähriger V-Mann Thomas S., ein 44-jähriger
       Sachse, einst eine rechte Szenegröße, entpuppt sich als NSU-Bekannter.
       Seine Hinweise auf das Mordtrio versandeten im Landeskriminalamt (LKA).
       Dass er in Parlamenten verschwiegen wurde, brachte den Innensenator ins
       Wanken. Schon will die Opposition das „V-Mann-Unwesen“ in Gänze abschaffen
       und schimpft über „strukturelles Versagen“ der Staatsschützer in puncto
       Neonazis.
       
       Offenbar lagen dort die Schwerpunkte bisweilen woanders. Etwa links. Wie
       jetzt bekannt wurde, hatten die Ermittler von September 2011 bis zum Juni
       das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum, kurz apabiz, in
       Kreuzberg im Visier. Wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz.
       
       Was war geschehen? Das apabiz, seit zehn Jahren Dokumentar rechter
       Umtriebe, hatte in einer Broschüre über eine NPD-Kundgebung im September
       berichtet – und darin auch den Aktionsaufruf der Neonazis zitiert, mit
       Quellenangabe, nämlich der Internetseite des Berliner Nationalen
       Widerstands (NW). Diese ist seit Mai 2011 indiziert von der
       Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.
       
       Nun stieß sich an dem Verweis aber nicht der Staatsschutz, sondern eine
       junge Rechtsextremistin. Sie stellte Anzeige. Die Frau bewegt sich im
       Dunstkreis – des NW Berlin. Eines Verbunds, dem der Verfassungsschutz ein
       „hohes Gewaltpotenzial“ und eine „aggressive Fremdenfeindlichkeit“
       attestiert.
       
       ## Ermittlungen schließlich eingestellt
       
       Beim Staatsschutz begann man dennoch mit Ermittlungen und lud schließlich
       den Vereinsvorsitzenden des apabiz vor. Der wies über einen Anwalt die
       Vorwürfe zurück: Es gehe doch nicht um Werbung für die Internetseite,
       sondern um Dokumentation. Und, so lässt sich ergänzen: Der Internetverweis
       selbst taucht im aktuellen Jahresbericht des Verfassungsschutzes auf. Die
       Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen schließlich ein.
       
       „Dass wegen so einer Kleinigkeit überhaupt ermittelt wurde, trägt Züge
       einer Posse“, kritisiert apabiz-Rechercheur Ulli Jentsch. Wäre es zur
       Anklage gekommen, käme eine Rufschädigung dazu. Es werfe ein „zweifelhaftes
       Licht“ auf den Staatsschutz, dass er „nach links derartigen
       Ermittlungseifer zeigt, nach rechts aber geradezu Betriebsblindheit“.
       
       Denn zur Geschichte gehört auch, dass der NW Berlin jahrelang gegen
       Migranten und Linke hetzte, Nazigegner auf Feindeslisten im Internet führte
       oder als gesprühter Schriftzug nach Anschlägen auf Parteibüros auftauchte –
       ohne dass Ermittlungen gegen die Gruppe bekannt geworden wären. Erst
       zuletzt wurde versucht, der Betreiber der NW-Internetseite habhaft zu
       werden. Bisher erfolglos. Im März gab es eine Razzia bei NPD-Landeschef
       Sebastian Schmidkte und zwei Neonazis, die allesamt dem NW Berlin angehören
       sollen. Sie erwartet ein Prozess wegen Volksverhetzung.
       
       Dass parallel auch gegen das apabiz ermittelt wurde, kommentierte die
       Polizei am Freitag lapidar: Man sei verpflichtet, Straftaten zu verfolgen
       und Ermittlungen aufzunehmen, wenn es Anzeigen gebe. Die Opposition zeigte
       sich hingegen verärgert. „Das ist unerhört“, schimpft die Grüne Clara
       Herrmann. „Jahrelang wird jedes NW-Verfahren eingestellt, und wegen so was
       wirft man den Ermittlungsapparat an.“
       
       Für Linke-Fraktionschef Udo Wolf geht’s beim LKA „offenbar drunter und
       drüber“. Es sei bezeichnend, dass dort eine „renommierte antifaschistische
       Institution“ ins Visier gerate. Tatsächlich wird das apabiz auch vom Senat
       gefördert – als „Leitprojekt“ gegen Rechtsextremismus.
       
       28 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
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   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
       
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