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       # taz.de -- EU-Projekt Clean IT: Das allzu saubere Internet
       
       > Netzzensur, Löschungen auf Zuruf und Abstrafen unwilliger Provider: Eine
       > geheime To-Do-Liste des EU-finanzierten Projekts „Clean IT“ sorgt für
       > Empörung.
       
   IMG Bild: „Clean IT“ soll sich eigentlich gegen online aktive Extremisten wenden.
       
       „Den Einfluss der Terroristen aus das Internet reduzieren“ - so beschreibt
       das [1][„Clean IT Project“] auf seiner Webseite die eigene Mission:
       Extremisten nutzten das Internet zunehmend um Spenden zu sammeln und neue
       Mitglieder anzuwerben. Dem will sich Projektleiter But Klaasen mit seinen
       Mitstreitern entgegenstellen. Wer hinter dem Projekt steht, ist auch kein
       Geheimnis: Auf der Webseite prangt das Banner der Europäischen Union, die
       Europäische Kommission finanziert die Bestrebungen der Gruppe.
       
       Wegen dieser Verbindung war die Empörung groß, als die europäischen
       Bürgerrechtlergruppe [2][European Digital Rights] (EDRI) ein geheimes
       Arbeitspapier von „Clean IT“ veröffentlichte. Statt konkrete Maßnahmen
       gegen Terrorismus standen dort allerlei Vorschläge, die letztlich auf eine
       allgemeine Netzzensur zu jedem beliebigen Zweck hinausliefen: Firmen
       sollten den Datenverkehr ihrer Angestellten unbeschränkt überwachen dürfen,
       wer auf terroristische Inhalte verlinkt, soll ebenso abgestraft werden wie
       die Terroristen selbst und Provider sollten aufwändige Filtersysteme
       bereithalten.
       
       Gleichzeitig sollte alles, was Nutzer ins Internet hochladen vorab
       kontrolliert werden, Synonyme in sozialen Netzwerken verboten und Provider,
       die sich nicht ausreichend an der Inhaltefilterei beteiligten, durch
       Ausschluss von öffentlichen Aufträgen abgestraft werden.
       
       Alles in allem war in dem Papier fast das gesamte Horrorszenario von
       Vorschlägen enthalten, die Bürgerrechtlicher mit einer Internetzensur
       gleichsetzen – wenn auch nicht durch einen zentralen Zensor wie in China
       und dem Iran, sondern durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen
       Akteure im Internet.
       
       ## Überall Empörung
       
       Die Empörung über das Projekt schlug sich dann auch schnell in Blogs und
       sozialen Netzwerken Bahn. Doch schnell versuchten die Initiatoren die Lage
       zu beruhigen. Das Papier spiegele keineswegs die Pläne von Clean IT wieder,
       vielnmehr sei es ein unverbindliches Brainstorming, die Teilnehmer des
       Projekts hätten zusammengetragen, was man denn generell tun könne. Sogar
       EU-Kommissarin
       
       Cecilia Malmström sah sich genötigt
       [3][http://twitter.com/MalmstromEU/status/250573911471845376][4][via
       Twitter] von dem Papier zu distanzieren. CleanIT sei keinesfalls ein
       EU-Projekt, sondern lediglich ein Forum, um öffentliche und private Stellen
       zusammenzubringen. Das Diskussionspapier spiegele nicht die Plolitik der
       EU-Kommission wieder.
       
       Auch Initiator But Klaasen aus dem niederländischen Innenministerium sieht
       sich missverstanden. Auf einer [5][Konferenz in Amsterdam erklärte er]:
       „Ich glaube an die Redefreiheit als zentrale Stütze unserer Gesellschaft
       und wir sollten sie immer schützen.“ Doch um dem Problem des Terrorismus zu
       begegnen müsse man viele Ideen sammeln und auswerten, Denkverbote dürfe es
       nicht geben.
       
       „Wenn man es nicht ausprobiert, wird man es niemals wissen“, sagte Klaasen.
       Viele Vorschläge aus dem durchgesickerten Papier würden nach Prüfung
       selbstverständlich aussortiert. Doch die Bürgerrechtler sehen in der
       Ideensammlung mehr als nur ein unverbindliches Nachdenken zum guten Zweck.
       
       ## Providerfilter für Kinderpornographie
       
       „CleanIT ist deshalb Teil eines viel größeren Problems: Wie auf dem
       Fließband werden schlecht durchdachte Projekte angegangen, im Zuge derer
       die Wirtschaft irgendetwas unternehmen soll, um schlecht oder gar nicht
       definierte Probleme im Internet zu lösen“, [6][kommentiert EDRI-Sprecher
       Joe McNamee].
       
       Wohin diese Selbstkontrolle führen kann, zeigt das Beispiel Großbritannien:
       Dort existiert eine entsprechende Selbstverpflichtung großer Provider,
       Kinderpornographie aus dem Netz herauszufiltern. Da die Provider,
       beziehungsweise die Internet Watch Foundation, niemandem außerhalb
       Großbritanniens Bescheid geben mussten, konnten die Täter die Bilder und
       Filme nahezu ungestört in anderen Ländern weiter verbreiten.
       
       Gesperrt hingegen wurde ein Bild in der freien Online-Enzyklopädie
       Wikipedia, was dort zu massiven [7][technischen Problemen] führte. Die
       Filesharing-Seite „The Pirate Bay“ wird mittlerweile ebenfalls von
       britischen Providern [8][blockiert].
       
       Damit nicht genug: Die britischen Mobilfunkprovider wurden unter
       Regierungsdruck selbstverpflichtet, vermeintlich jugendgefährdende Inhalte
       auszufiltern, wenn die Kunden nicht ausdrücklich etwas anderes verlangen.
       Dass die automatisierten Filter jedoch von moralischen Kategorien nichts
       verstehen, musste als erstes eine Plattform für Vegetarier feststellen. In
       ihrer App wurde für „junges Gemüse“ geworben – und prompt wurde sie
       blockiert.
       
       28 Sep 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.cleanitproject.eu/
   DIR [2] http://www.edri.org/cleanIT
   DIR [3] http://twitter.com/MalmstromEU/status/250573911471845376
   DIR [4] http://twitter.com/MalmstromEU/status/250573911471845376
   DIR [5] http://ripe65.ripe.net/archives/steno/23/
   DIR [6] http://www.edri.org/edrigram/number10.18/cleanit-symptom-+privatised-online-enforcement
   DIR [7] /Verdacht-auf-Kinderpornografie/!27029/
   DIR [8] /Freiwillige-Zensur/!33642/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Torsten Kleinz
       
       ## TAGS
       
   DIR Internet
   DIR Netzsperren
   DIR Schwerpunkt Überwachung
       
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