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       # taz.de -- Ökonom Bofinger über Eurokrise: „Inflation ist keine Schweinegrippe“
       
       > Der Ökonomieprofessor Peter Bofinger sieht keine Gefahr der
       > Geldentwertung. Statt am falschen Ende zu sparen, sollten die Staaten
       > gezielt Geld ausgeben.
       
   IMG Bild: Keine Gefahr: Der Wirtschaftsweise Bofinger sieht keine Inflation kommen.
       
       taz: Herr Bofinger, die Europäische Zentralbank will Anleihen verschuldeter
       Staaten kaufen, das Bundesverfassungsgericht hat dem Rettungsfonds ESM
       zugestimmt. Geht die Eurokrise nun dem Ende entgegen? 
       
       Peter Bofinger: Wir haben Zeit gewonnen. Aber zurücklehnen sollten wir uns
       nicht. Die Krise ist noch nicht vorbei. Die Entscheidung der EZB ist
       sicherlich wichtig, aber sie darf nur eine Übergangsmaßnahme bleiben. Wenn
       die Notenbank langfristig die öffentlichen Haushalte finanzieren muss, ist
       das gefährlich. Das läuft auf eine unbegrenzte Gemeinschaftshaftung ohne
       ausreichende Absicherungsmechanismen hinaus. Schließlich hat die EZB wenig
       Möglichkeiten, auf die Einhaltung der Sparprogramme bei den Staaten zu
       drängen, die sie unterstützt.
       
       Der Rettungsfonds ESM kann verschuldeten Staaten Notkredite gewähren. Und
       die EZB hält die Zinsen für Staatsanleihen niedrig. Beides nimmt
       Spekulanten die Möglichkeit, Staaten in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben.
       Was kann jetzt noch passieren? 
       
       Eine ganze Menge. Eigentlich haben wir es mit drei Krisen zu tun: erstens
       der Staatsschuldenkrise, die sich jetzt hoffentlich etwas beruhigt. Aber
       gelöst ist sie noch lange nicht. Das hängt eng mit der zweiten Krise
       zusammen, der makroökonomischen Krise. Hier verfolgt die Troika eine
       falsche Therapie. Sie fordert von Ländern wie Griechenland, Italien und
       Spanien, die in der Rezession stecken, immer neue Sparmaßnahmen. Das
       verschärft die Lage, anstatt sie zu lindern. Das wirkt sich wiederum
       nachteilig auf den dritten Krisenherd aus, die Bankenkrise.
       
       In Griechenland sind die Arbeitskosten jetzt angeblich auf ein so niedriges
       Niveau gesunken, dass die Exporte wieder zunehmen. Ist die Talsohle nicht
       erreicht, sodass es aufwärtsgehen kann? 
       
       Ich bezweifle das. Die Troika aus EZB, Eurozone und Internationalem
       Währungsfonds verlangt, dass Griechenland nochmals fast 14 Milliarden Euro
       aus dem öffentlichen Budget herauskürzt. Eigentlich wäre jedoch eine
       expansive Politik notwendig, damit die Menschen Hoffnung schöpfen, die
       Unternehmen investieren und die Konsumenten wieder einkaufen.
       
       Was schlagen Sie vor? 
       
       Solange sich die Wirtschaft eines Mitgliedslands in der Rezession befindet,
       sollte man dem Land keine weiteren Sparmaßnahmen aufzwingen.
       
       Weil die Europäische Zentralbank verschuldeten Staaten helfen will, machen
       sich viele Deutsche große Sorgen. Sie fürchten die Inflation. Eine
       berechtigte Angst? 
       
       Nein. Inflation ist nicht wie Schweinegrippe. Sie fällt nicht plötzlich
       über uns her. Wenn sich Inflation aufbaut, kann man das rechtzeitig ganz
       gut erkennen. Denn sie basiert auf realen wirtschaftlichen Ursachen. Die
       aber sind gegenwärtig nicht vorhanden.
       
       Die Staatsanleihen, die die Zentralbank kaufen will, die Billionen Euro,
       die die EZB an die Banken ausschüttet – ruiniert die EZB mit dieser
       Geldschwemme nicht den Wert der Währung? 
       
       Die großen Summen billiger Kredite an die Banken sind befristet. In weniger
       als drei Jahren kann die Europäische Zentralbank sie wieder einziehen. Mit
       Inflation verhält es sich grundsätzlich so: Sie ist nur dann zu befürchten,
       wenn in der Wirtschaft ein Überdruck herrscht. Doch in Europa beobachten
       wir gegenwärtig einen massiven Unterdruck. Die Banken vergeben kaum
       Kredite, seit dem Lehman-Crash steigt die Geldmenge nur wenig, es wird
       wenig investiert. In der Eurozone liegt die Arbeitslosigkeit bei über 11
       Prozent. Das heißt: Außer in Deutschland können die Gewerkschaften keine
       allzu großen Lohnerhöhungen durchsetzen. Flächendeckende Preiserhöhungen
       sind einstweilen nicht zu erwarten.
       
       Vielleicht schlägt die Inflation aber in einigen Jahren zu? 
       
       Das Beispiel Japans zeigt, dass der Unterdruck sehr lange anhalten kann.
       Und wenn die Banken in Europa irgendwann wieder mehr Kredite vergeben, kann
       die EZB jederzeit gegensteuern.
       
       In Ihrem neuen Buch „Zurück zur D-Mark? Deutschland braucht den Euro“
       machen Sie als Ursache der Eurokrise vor allem Marktversagen aus. Haben
       nicht die Regierungen versagt, indem sie zu viele Schulden aufhäuften? 
       
       Natürlich hat die Politik vor allem in Griechenland schwere Fehler gemacht.
       Aber es wäre falsch, ihr die Hauptverantwortung anzulasten. Ich sehe
       vielmehr ein mehrfaches Marktversagen. Investoren, Fonds und Banken haben
       viel zu den Problemen beigetragen. Sie haben beispielsweise dem
       griechischen Staat völlig unkritisch Geld gegeben, obwohl die unsolide
       Fiskalpolitik der Athener Regierung schon in den Jahren 2005 bis 2007 klar
       erkennbar war. Und natürlich haben sie riesige Fehlinvestitionen in Spanien
       und Irland finanziert.
       
       Lag das nicht mehr an einer Fehlkonstruktion des Euro als an der Blindheit
       der Investoren? 
       
       Keineswegs. So hat auch beispielsweise Island, das dem Euroraum nicht
       angehört, eine massive Spekulationsblase erlebt. Die Probleme lagen nicht
       in erster Linie beim Euro, sondern bei der Deregulierung der Finanzmärkte
       in den vergangenen 20 Jahren, der Gier und Blindheit der Banker und beim
       Überangebot an Kapital. Um diese Gefahren künftig zu reduzieren, brauchen
       wir eine stärkere Finanzaufsicht. Wahrscheinlich wäre es gut, der
       Europäischen Zentralbank ein zusätzliches Mandat für die Stabilität der
       Finanzmärkte zu geben.
       
       Sie sagen, dass unter anderem in Deutschland die Löhne stärker steigen
       müssten, damit es künftig nicht wieder zu Finanzkrisen- und
       Staatsschuldenkrisen kommt. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen? 
       
       Seit dem Jahr 2000 ist die Lohnquote in Deutschland stark gesunken. Die
       Beschäftigten haben Wohlstand eingebüßt. Deshalb fehlte Nachfrage, und das
       Wachstum fiel bescheiden aus. Von den sinkenden Löhnen profitierten
       umgekehrt die Unternehmen und Kapitalbesitzer. Sie schöpften mehr Gewinn ab
       und konnten mehr Geld sparen. Wegen der einheimischen Wachstumsschwäche
       flossen die zusätzlichen Milliarden auf die internationalen Finanzmärkte
       und speisten die Immobilienblasen in den USA, Spanien und Irland.
       
       In Ihrem neuen Armuts- und Reichtumsbericht analysiert die Bundesregierung,
       dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Kann man sagen: je
       größer die soziale Spaltung, desto bedrohlicher die Anfälligkeit für
       Finanzkrisen? 
       
       Im globalen Maßstab gibt es da einen Zusammenhang. Die ausgeprägte
       Umverteilung zugunsten der Kapitalbesitzer hätte für sich genommen die
       Weltwirtschaft schon vor Jahren ausgebremst. Das es dazu nicht gekommen
       ist, liegt daran, dass gleichzeitig durch die Deregulierung der
       Finanzmärkte immer mehr Wachstum auf Pump finanziert werden konnte. Das
       Geld kam dabei von Investoren, die durch die Umverteilung immer reicher
       geworden sind.
       
       Was sollte die Regierung tun, um so etwas unwahrscheinlicher zu machen? 
       
       Neben einer strengen Regulierung der Finanzmärkte kommt es vor allem darauf
       an, die Arbeitnehmer wieder angemessen am Produktivitätszuwachs der
       Wirtschaft zu beteiligen. Dazu wäre es ratsam, einen flächendeckenden
       Mindestlohn einzuführen und die schlecht bezahlte, geringfügige
       Beschäftigung zurückzudrängen, beispielsweise die Minijobs. Immerhin steigt
       die Lohnquote seit 2007 wieder, auch wegen der höheren Tarifabschlüsse. Es
       geht also in die richtige Richtung.
       
       Höhere Löhne – würden die nicht dazu führen, dass die Inflation noch
       befördert wird? 
       
       In Anbetracht der sich deutlich abschwächenden konjunkturellen Situation
       werden die Löhne selbst in Deutschland nicht in den Himmel wachsen.
       
       26 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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   DIR Rezession
       
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