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       # taz.de -- Bewerber um grüne Spitzenkandidatur: Die zweite Herren-Mannschaft
       
       > Die grüne Basis darf Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl bestimmen. 11
       > männliche Außenseiter gehen auf Bewerbungstour.
       
   IMG Bild: Hände hoch: Auf einem kleinen Parteitag beschlossen die Grünen die Urwahl.
       
       Wer? Thomas Austermann, Basisgrüner aus Essen. Wofür? Austermann vertritt
       eine urgrüne Position: Pazifismus. Also Frieden schaffen ohne Waffen.
       Deshalb lag er mit seiner Partei im Clinch. Nachdem die Grünen den
       Kosovo-Einsatz der Bundeswehr mitgetragen hatten, trat er wie viele aus.
       Zwar hat er seit 2003 wieder ein Parteibuch. Die alte Geschichte
       beschäftigt ihn aber immer noch. „Der Krieg unseres Heimatlandes 1999 gegen
       Jugoslawien hat die rote Linie vom 1. 1. 1939 in Polen – wo das unsagbar
       Ungeheuerliche passiert ist – überschritten“, heißt es etwas kryptisch in
       seiner Bewerbung. Er unterzeichnet „Mit grünen pazifistischen Grüßen“.
       Fazit: Taubengrün.
       
       Wer? Patrick Held, 24, studiert Philosophy & Economics in Bayreuth. Wofür?
       Held ist ein junger Rebell. „Opa Jürgen“, schreibt er in seiner Bewerbung,
       sei „ein Veteran, nicht die grüne Zukunft“. Die globalen Probleme wie
       Klimawandel und Staatsverschuldung aber träfen niemanden mehr „als uns
       junge Menschen“. Held kombiniert zeitgemäße Technik (Twitter, Homepage mit
       Bewerbungsvideo) mit urgrünen Positionen wie Ikonenfeindlichkeit und
       Rotation. Anstelle eines Fotos von ihm schmückt seine Bewerbung der Spruch
       „Antworten statt Gesichter“. Zudem will er Macht, etwa ein
       Bundestagsmandat, auf acht Jahre begrenzen. Fazit: Grüner Pirat.
       
       Wer? Nico Hybbeneth, 22, studiert Politik und Sozialwissenschaften in
       Marburg. Wofür? Freie und gleiche Bildung, Ausbau der Radwege,
       bedingungsloses Grundeinkommen. Die Positionen des jüngsten Bewerbers
       klingen sehr grün, und gerade damit reibt er sich an der Politik seiner
       Partei. So lehnt er nicht nur Hartz IV oder Ideen für eine privatisierte
       Bahn radikal ab, vor allem schimpft er auf die Europapolitik seiner Partei,
       die den Kurs von Angela Merkel unterstütze, um Griechenland zum
       Schwellenland zu degradieren. Er fordert „ein gemeinsames, solidarisches
       Europa“ und – das ist ja klar – einen Generationenwechsel. Fazit: Grün
       hinter den Ohren.
       
       Wer? Roger Kuchenreuther, 59, selbständiger Zimmermeister aus Scheßlitz bei
       Bamberg. Wofür? Der Oberfranke preist sich als humanistischer Freidenker
       sowie überzeugter Naturfreund an – und als Wassermann. „Unsere Natur wird
       gefoltert, Mensch und Tier werden entrechtet und gequält, nur für mehr
       Profit und Macht“, schreibt Kuchenreuther in seiner Bewerbung. Sein
       kompromissloses Programm: „Schluss damit!“. Ansonsten setzt er auf
       Information, denn die sei „der Schlüssel zur Veränderung des Bewusstseins“.
       Und deshalb informiert er dann gleich im nächsten Satz: „Obama wird
       wiedergewählt werden und er wird weiter kämpfen.“ Tja. Fazit: Naturgrün.
       
       Wer? Alfred Mayer ist Mitglied im Ortsverband „Berg am Laim/Trudering
       Messestadt-Riem“. Das Wortungetüm gehört zu München. Wofür? Eine Neuauflage
       von Rot-Grün meiden, denn beim ersten Regierungsbündnis habe es zu viele
       „faule Kompromisse“ gegeben. Dafür solle die Partei auch eine große
       Koalition in Kauf nehmen mit den Grünen als „unbestechliche Wächter“.
       Mayers Programm umfasst 23 Punkte, auf die er einen Eid ablegen würde,
       darunter: Subventionen allein für den ökologischen Landbau, Werbeverbot für
       Tabak und Alkohol, Radwege an allen Bundesstraßen und bedingungsloses
       Grundeinkommen. Fazit? Grasgrün.
       
       Wer? Markus Meister, 34, Parteimitglied seit 2010, lebt seit Kurzem in
       Kassel. Gelernter Diplom-Hotelbetriebswirt. Wofür? Meister hadert damit,
       dass die Partei „Ziele und Beschlüsse wie unverrückbare Manifeste oder
       Glaubensbekenntnisse“ vor sich hertrage. Bundespolitische Prominenz habe
       den Grünen in früheren Wahlkämpfen eher geschadet als genützt. Dennoch
       solle „mindestens ein Profi im Spitzenduo sein“. In „grünen Sozialbüros und
       Sozialsprechstunden“ sollten sich Bürger, vor allem in strukturschwachen
       Gegenden, an die Partei wenden können, damit es dort eine Alternative
       besonders zu rechtsradikalen Parteien gebe. Fazit: Graswurzelgrün.
       
       Wer? Friedrich Wilhelm Merck, 67, Mitgründer der Partei in Hamburg. Wofür?
       Der Geschäftsführer einer Logistikfirma in der Hansestadt legt sich in
       seiner Bewerbung inhaltlich nicht fest. Nur so viel: Die Währungs- und
       Finanzkrise lässt sich lösen, und dabei kommt es darauf an, Menschenwürde
       und Grundrechte aller Menschen einzuhalten. Seine Hauptaufgabe sei es, die
       Wähler im Wahlkampf und später in der Debatte des Bundestags mitzureißen.
       Der gelernte Systemtheoretiker hat, schreibt er, unerwartet eine „neue Art
       von Weltformel“ gefunden. Aber die fehlt in seinem kurzen
       Bewerbungsschreiben. Fazit: Urgrün.
       
       Wer? Hans-Jörg Schaller, 52, lebt bei Köln. Er ist Inhaber einer Bierfirma
       namens Fucking Hell, benannt nach einem Ortsteil in der Gemeinde Tarsdorf
       im Bezirk Braunau am Inn. Wofür? Schaller widmet seine Bewerbung seinem
       verstorbenen Weggefährten Armin Zeeb. Sollte Schaller Spitzenkandidat
       werden, will er über die Atomausstiegspläne der letzten Regierung reden.
       Für den Fall der Fälle, und dazu zählt auch eine grüne Kanzlerschaft nach
       einer Atomkatastrophe, schlägt Schaller seinen ehemaligen Parteifreund
       Oswald Metzger als Finanzminister und Winne Hermann als
       Verteidigungsminister vor. Fazit: Schwarzgrün.
       
       Wer? Franz Spitzenberger, 64, Speditionskaufmann aus Sonthofen im
       Oberallgäu. Wofür? Spitzenbergers Bewerbungsschreiben strahlt große
       Sachlichkeit aus – allein schon durch die klare Gliederung. Er will vor
       allem das Themenspektrum der Partei erweitern. Rente, Mindestlohn und
       Europa: All das müsse ernsthafter behandelt werden als bisher. Seine
       politischen Argumente sind geerdet und schnörkellos. „Europa möchte ich
       nicht missen, aber ich will nicht, dass Guiness wie bayerisches Starkbier
       schmeckt.“ Präziser dürften die europapolitischen Probleme noch nie auf den
       Punkt gebracht worden sein. Fazit: Starkbierbraungrün.
       
       Wer? Werner Winkler, 48, aus Waiblingen, arbeitet als Berater, Coach,
       Dozent, Autor, Kalligraf. In seiner Bewerbung wird das politische Programm
       nur noch von der Länge des Biografieabsatzes überboten. Dieser reicht
       zurück bis zum Amt des Klassensprechers in der 2. Klasse. Zu dieser Zeit
       vertrat er 56 Schüler. Später war das Vorgehen der Polizei gegen friedliche
       Stuttgart-21-Demonstranten Winklers politisches Erweckungserlebnis. Wofür?
       Winkler will als Spitzenkandidat vor allem den Wahlkampf verändern. Zum
       Beispiel Bäume pflanzen statt Plakate drucken. Fazit: Grünschnabel,
       Grünhorn, Grünling? Nein, der Mann hat Verve. Insofern: Raketengrün
       
       Wer? Peter Zimmer, 44, aktiv für den Kreisverband Rottal-Inn, Tierarzt und
       Ökolandwirt. Wofür? Wer Peter Zimmer anruft, hört im Hintergrund schon Mal
       einen Hahn krähen. Die Lokalzeitung findet das Synonym „Muh-ologe“. Ein
       Mann der Basis also. Sein politisches Programm dreht sich um Umweltfragen.
       Hier kennt sich der promovierte Akademiker hervorragend aus, was er beredt
       in seiner Bewerbung darlegt. Zimmer kann die plutokratische Oligarchie
       genauso gut erklären wie den Krafttrunk der Demokratie. Er fordert den
       sofortigen Atomausstieg und Biodiesel aus Mikroalgen. Zimmer verbindet
       Expertise und Basisnähe. Fazit: Kraftfuttergrün.
       
       21 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR G. Asmuth
   DIR M. Lohre
   DIR J. Wendt
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
       
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