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       # taz.de -- Karikaturen in Frankreich: Mohammed als Brigitte Bardot
       
       > Das französische Satireblatt „Charlie Hebdo“ druckt Karikaturen über
       > Muslime. Der Staat schließt Botschaften, doch die Empörung hält sich in
       > Grenzen.
       
   IMG Bild: „Unsere Absicht ist es nicht, zu provozieren“, sagt Chefredakteur Charb.
       
       PARIS taz | Schon am frühen Morgen war bei den Zeitungshändlern Charlie
       Hebdo ausverkauft, nachdem bekannt geworden war, dass in der neuen Nummer
       neue Mohammed-Karikaturen veröffentlicht sind. Die Internetseite des
       Satireblatts wurde von Hackern lahmgelegt.
       
       Nach den gewaltsamen Protesten gegen den Anti-Islam-Film in der arabischen
       Welt befürchten die französischen Behörden nun Ausschreitungen gegen
       Botschaften und andere Einrichtungen im Ausland. In zwanzig Ländern hat
       Frankreich darum vorsichtshalber am Freitag, dem wichtigsten Tag der
       muslimischen Gebete, seine diplomatischen Vertretungen und die
       französischen Schulen geschlossen und Vorkehrungen zum Schutz seiner
       Staatsangehörigen getroffen.
       
       Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Dienstag via Internet die Nachricht
       der „Provokation“ des französischen Blatts. Französischen Journalisten in
       Libyen wurde angeraten, ihre Hotels zu verlassen. 
       
       „Intouchables“ lautet in Anspielung auf den gleichnamigen Erfolgsfilm
       (deutscher Titel: Ziemlich beste Freunde) die Überschrift von Charlie
       Hebdo. Die „Unberührbaren“ sind als Zeichnung abgebildet: Es handelt sich
       um einen bärtigen Muslim mit Turban und einen orthodoxen Juden. Das Blatt
       will damit kundtun, dass es heute fast unmöglich geworden sei, mit diesen
       Religionen satirisch umzugehen.
       
       Im Heftinneren sind weitere Karikaturen des Propheten Mohammed abgebildet.
       Die sind nach Ansicht von Chefredakteur Charb (so sein Künstlername) „nicht
       deftiger als üblich“. Ein Bild zeigt den Propheten Mohammed nackt auf einem
       Bett liegend – einer berühmten Filmrolle von Brigitte Bardot nachempfunden.
       
       Natürlich ist den Herausgebern des Wochenblatts bewusst, dass sie mit ihrer
       Ausgabe Öl ins Feuer der gegenwärtigen Aufregung über das US-Video „Die
       Unschuld der Muslime“ gießen. „Unsere Absicht ist es nicht, zu provozieren,
       sondern im Gegenteil auf die Provokationen zu antworten“, sagt dazu Charb.
       „Schockiert ist nur, wer schockiert sein will“, meint er. Im Übrigen sei ja
       kein strenggläubiger Muslim gezwungen, Charlie Hebdo zu kaufen. Er gehe ja
       auch nicht in eine Moschee, um sich Predigten anzuhören, die seiner
       Gesinnung zuwiderlaufen.
       
       ## Rat der Muslime ist konsterniert
       
       Mit „Konsternierung“ hat dagegen der Vorsitzende des repräsentativen
       Nationalen Rats des muslimischen Kultus, Mohammed Moussaoui, Stellung
       genommen. Er spricht von einem Fall von „Islamophobie“, da würden
       „vorsätzlich die religiösen Gefühle der Muslime verletzt“. Wesentlich
       gemäßigter erklärte der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, er sei
       „betrübt“ über die Veröffentlichung dieser Zeichnungen, weil diese „die
       generelle Empörung in der muslimischen Welt anzuheizen drohen“. Er rief die
       Gläubigen dazu auf, ruhig Blut zu bewahren.
       
       Premierminister Jean-Marc Ayrault erklärte, er verurteile „jede Form von
       Exzessen“ und er appelliere an „das Verantwortungsbewusstsein aller“. Er
       betonte aber, die Meinungsfreiheit sei ein in der französischen Verfassung
       verankertes Grundrecht, und wenn jemand einen Missbrauch geltend machen
       wolle, gebe es dazu Gerichte.
       
       Bereits vor einem Jahr war als Reaktion auf die Veröffentlichung einer
       Serie von Mohammed-Karikaturen ein Brandanschlag auf Charlie Hebdo verübt
       worden. Aus diesem Grund sind gestern die neuen Büros der Zeitung im Osten
       von Paris unter Polizeischutz gestellt worden.
       
       Während die einen dazu sagen, aufgrund dieses Präzedenzfalls suche Charlie
       offenbar die Konfrontation mit engstirnigen Glaubensfanatikern, halten es
       andere heute im Gegenteil für mutig und wichtig, dass die Redaktion trotz
       oder gerade wegen der zu erwartenden Wutreaktion den
       Einschüchterungsversuchen die Stirn bietet. Beiden Seiten geht es in diesem
       Konflikt um die Karikatur darum, ein Exempel zu statuieren.
       
       Dass ausgerechnet in Frankreich eine solche Runde im Seilziehen zwischen
       Scharia und Meinungsfreiheit beginnt, darf nicht verwundern. Die
       Französische Republik verteidigt seit der Revolution antiklerikale Kritik
       als Menschenrecht und seit hundert Jahren auch eine strikte Trennung von
       Staat und Religion.
       
       Zugleich ist Frankreich das westeuropäische Land mit dem höchsten Anteil
       muslimischer Mitbürger – schätzungsweise drei bis vier Millionen Muslime
       leben dort. Nach einer von der Polizei aufgelösten Kundgebung radikaler
       Islamisten vor der Pariser US-Botschaft am letzten Samstag sind weitere
       angekündigte Demonstrationen am kommenden Wochenende in mehreren Städten
       wegen der Risiken verboten worden.
       
       19 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Charlie Hebdo
   DIR Mohammed
       
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