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       # taz.de -- Bürgerwehr in Ostkongo: Totenschädel und Rebellion
       
       > Die Menschen im Osten Kongos sind die brutalen Überfälle der
       > Hutu-Rebellen leid: Sie verteidigen sich selbst. Eine neue Miliz
       > entsteht.
       
   IMG Bild: Rache als Antrieb: Kikuny, Anführer der Raia Mutomboki mit Totenschädel.
       
       SHABUNDA/NDUMA taz | Eine Stunde fliegt der UN-Hubschrauber über den
       ostkongolesischen Urwald. Mit dem Auto ist Shabunda noch immer nicht
       zugänglich – die Enklave liegt knapp 400 Kilometer von Süd-Kivus
       Provinzhauptstadt Bukavu entfernt.
       
       Heute herrscht Hochbetrieb in Shabunda, eine kleine Propellermaschine
       landet neben dem UN-Hubschrauber. Sie liefert Wasserkanister,
       Plastiksandalen und Bierdosen. Nach dem Entladen schleppen Männer schwere
       Säcke herbei, die randvoll mit den Erzen Coltan und Kassiterit gefüllt
       sind.
       
       Es gibt zahlreiche Minen mit wertvollen Mineralien und Edelmetallen wie
       Gold rund um Shabunda. Sowohl dieser Reichtum wie die Unzugänglichkeit der
       Region haben in der Vergangenheit stets auch die Rebellen angelockt.
       
       ## Bürgerwehr in Dschungeldörfern
       
       Bis vor wenigen Monaten hausten hier im Dschungel die Rebellen der
       ruandischen Hutu-Miliz FDLR, der brutalsten Miliz im Ostkongo. Doch jetzt
       ist die FDLR auf der Flucht – vor den „Raia Mutomboki“, was übersetzt
       „wütende Menschen, die sich rächen“, heißt. Eine Art Bürgerwehr,
       Selbstverteidigungsbewegung, die in den vergangenen Monaten in immer mehr
       Dschungeldörfern Fuß gefasst hat.
       
       Das einzige Transportmittel durch den Dschungel ist das Motorrad. Zwei Tage
       für 150 Kilometer – durch matschige Pfützen, kleine Flüsse, über umgekippte
       Baumstämme. Am Ende des Trampelpfades, der sich von Shabunda aus Richtung
       Norden schlängelt, liegt auf einem Hügel das Dorf Nduma, wo die
       Raia-Mutomboki-Bewegung ihren Ursprung hat.
       
       Hinter dem kleinen Dorf, das auf weißem Sand gebaut ist, erhebt sich der
       dunkle Wald wie eine undurchdringliche Wand. Hier beginnt der
       Kahuzi-Biega-Nationalpark – ein gewaltiges Naturschutzgebiet, durch das
       keine Wege hindurchführen. Zwei Wochen dauert es, wenn man zu Fuß den Park
       durchqueren will. Ein perfektes Versteck für die Rebellen.
       
       ## Die Schule abgebrannt
       
       „Sie hatten im Wald ein Dorf für ihre Familien eingerichtet, das sie Kigali
       Zwei genannt haben“, berichtet Emanuel Muntutugu. Der alte dürre Mann im
       schmutzigen T-Shirt ist der Schuldirektor von Nduma. Mit tief hängenden
       Schultern und vielen Runzeln auf der Stirn steht er am Waldrand an der
       Stelle, wo noch bis vor wenigen Monaten seine Schule stand. Doch was einst
       ein aus Holzlatten gezimmertes Haus mit drei Klassenzimmern war, ist heute
       nur noch verkohlte schwarzgraue Asche, die den weißen Sand schwarz färbt.
       Muntutugu seufzt: „Vier Mal schon haben sie unser Dorf abgebrannt. Wie
       sollen wir jetzt die Kinder unterrichten?“
       
       Er winkt, ihm zu folgen. Mit schlurfenden Schritten geht er einen
       Trampelpfad längs, der durch ein Maisfeld zur Dorfmitte führt. Dort haben
       sich die Einwohner Ndumas versammelt: die Clanchefs, der Dorfvorsitzende,
       die Frauen, die unzähligen Kinder – sie alle sitzen auf kleinen Hockern im
       Kreis. Die Clanchefs haben – in der Tradition des Barega-Volkes – einen
       Sprecher auserkoren, die für die Gemeinde sprechen darf: Priester Maurice
       Sambamba.
       
       Der alte Mann hat graues krauses Haar, er trägt ein schwarzes, edles Hemd
       mit Stickereien und ein hölzernes Kreuz um den Hals. Er berichtet, wie
       alles anfing mit den Raia Mutomboki: „Wenn dich jemand ausraubt oder deine
       Frau vergewaltigt, dann wirst du wütend. Das ist es, was wir sind“, nickt
       er und zählt detailliert all die Verbrechen auf, die die FDLR seit ihrer
       Ankunft 1996 in Nduma begangen hat. Wenn er einen Übergriff auslässt,
       weisen ihn die anderen alten Herren darauf hin. „Wir haben diese
       Hutu-Mörder beherbergt, nachdem sie in ihrer Heimat Ruanda schlimme
       Verbrechen an den Tutsi begangen haben. Doch dann haben sie sich auch gegen
       uns gewandt“, schließt Sambamba.
       
       ## Frische Gräber
       
       Der Priester steht auf und wandert in schnellen Schritten durch das Dorf.
       Alle paar hundert Meter bleibt er an verkohlten Holzbalken oder einem
       Haufen Backsteinen stehen: einst die Kirche, die Schule, die Markthütten,
       die Häuser. Regelmäßig überfiel die FDLR nachts Nduma, die Einwohner
       versteckten sich dann im Wald, während die FDLR ihre Hütten plünderte und
       anschließen die Strohdächer in Brand steckte.
       
       Sambamba marschiert am Friedhof vorbei, es gibt dutzende frische Gräber mit
       Kreuzen aus Bambusstengeln. Erst jüngst hätte die FDLR junge Männer in
       einer Goldmine massakriert. Im vergangenen Jahr seien die Attacken
       besonders schlimm geworden, als die Armee aus dieser Region abgezogen
       worden sei. Die Menschen in Nduma seien der FDLR schutzlos ausgeliefert
       gewesen. „Die Regierung hat uns damals gesagt, wir sollten uns selbst
       verteidigen“, berichtet der Priester. „Dann haben wir unsere Macheten
       ergriffen und sind auf sie losgegangen“, brüllt er plötzlich voller Zorn.
       
       Die versammelten Einwohner nicken. Es befinden sich nur eine Handvoll
       junger Männer unter ihnen. Erst später wird klar, warum. Der harte Kern der
       Raia-Kämpfer lebt im Wald beim Kommandanten. Wenige Kilometer von Nduma
       entfernt haben sie ihr Dschungelcamp errichtet. Ihre Anführer nennen sich
       selbst „die Juristen“ – zwei Männer, die einst in Bukavu Jura studiert
       haben und, als das Geld für das Examen nicht reichte, in ihr Heimatdorf
       Nduma zurückgekehrt sind. Hier mobilisierten sie die jungen Männer des
       Dorfes, um auf andere Art für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Wir haben schon
       jemanden losgeschickt, um die Anführer zu holen“, sagt Sambamba.
       
       Am nächsten Morgen, die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen, hängt
       dichter, feuchter Nebel über den Bäumen. Aus einer größeren Lehmhütte mit
       einem halb verkohlten Strohdach dringt der Rhythmus der Trommeln. Noch
       etwas verschlafen strömen die Leute zur Morgenandacht herbei. Sie beten für
       Frieden und dass Gott die Anführer der Raia Mutomboki beschützen möge.
       
       ## Heimliche Versammlung
       
       Nach der Andacht hasten die alten Männer im Dorf umher. Priester Sambamba
       kommt angelaufen. Flüsternd verkündet er, dass der zweite Anführer der
       Bürgermiliz eingetroffen sei. Doch man müsse vorsichtig sein. Es geht das
       Gerücht, dass der oberste Raia-Kommandeur Eyaduma am Tag zuvor von der
       Armee verhaftet worden sei. Deswegen könne sich sein Stellvertreter mit
       Namen Kikuny nicht öffentlich zeigen, erklärt Sambamba. Auch am Dorfeingang
       sind einige Soldaten postiert.
       
       Hinter der Dorfkirche steht etwas versteckt am Waldrand eine Lehmhütte.
       Priester Sambamba schleppt Plastiksessel herbei. Kinder und Frauen sammeln
       sich neugierig. Eine Gruppe junger kräftiger Männer tritt aus dem Unterholz
       hervor und postiert sich um die Hütte. Die Männer tragen schmutzige Hosen
       und T-Shirts, dennoch verhalten sie sich wie Soldaten, die ihren Kommandeur
       beschützen müssen.
       
       Ein Mann tritt zu der Versammlung, mit einem schweren Sack auf dem Rücken.
       Behutsam setzt er ihn auf dem staubigen Boden ab. Er öffnet die Kordel, mit
       der der Sack verschnürt ist. Ein fauliger Geruch breitet sich aus. Alle
       verstummen ehrfürchtig. Es sind Totenschädel, die der Mann aus dem Sack
       hervorholt.
       
       Vizekommandeur Kikuny betritt die Hütte und verneigt sich vor den Schädeln.
       Der kleine Mann trägt einen schwarzen Trainingsanzug und Gummistiefel.
       Lässig setzt er sich auf einen Plastikstuhl. Seine Stimme ist laut und
       schrill, als wolle er seine Botschaften in die Welt hinausschreien: „Wir
       bewahren die Schädel unserer Angehörigen, Freunde und Nachbarn auf, die von
       der FDLR massakriert wurden, weil sie uns ermahnen, Rache zu üben“, sagt er
       und zieht den Vergleich zu Ruanda, der Heimat der Hutu-Rebellen. Dort habe
       man ganze Gedenkstätten aus Schädeln errichtet, um der Welt zu zeigen, was
       die Völkermörder den Tutsi angetan haben. „Doch niemand redet darüber, was
       sie uns antun“, sagt er.
       
       ## Konflikt mit Armee
       
       Deswegen hätten sie zu Macheten, Lanzen und Pickhacken gegriffen und seien
       losmarschiert, berichtet Kikuny, von Dorf zu Dorf – durch zwei Provinzen.
       Überall haben sie die dortigen jungen Männer angestachelt, zu den Macheten
       zu greifen und die FDLR zu verjagen. Auch Schusswaffen haben sich manche
       besorgen können. An Kikunys Hüftgürtel steckt ein Satellitentelefon, mit
       dem er Befehle erteilen kann. UN-Beobachter sprechen noch immer von vielen
       einzelnen Bürgerwehren, die nicht organisiert seien oder in individuellen
       Gruppen aufträten. Doch hört man Kikuny so reden, dann wirkt es, als seien
       die Raia Mutomboki bereits eine Miliz, die sich koordiniert und über weite
       Gebiete hinweg operiert.
       
       Das führt unausweichlich zu Konflikten mit der Regierungsarmee, die seit
       Ende des vergangenen Jahres nach Nduma zurückgekehrt ist. In jüngster Zeit
       kam es zu heftigen Gefechten zwischen den Raia und den Soldaten. Denn
       Kikuny stellt jetzt Forderungen. Die UNO versucht, die beiden Seiten an
       einen Verhandlungstisch zu setzen. Doch Kikuny winkt ab: „Wir trauen den
       Soldaten nicht. Wir bestehen darauf, dass sie uns das Territorium von
       Shabunda überlassen“, sagt er, um dann weiter zu grölen: „Wir werden erst
       Ruhe geben, wenn wir alle FDLR getötet haben.“
       
       Als Kikuny aufsteht und sich aufmacht, in das Hauptquartier im Dschungel
       zurückzukehren, stimmen die Frauen des Dorfes ein Loblied auf die
       Raia-Anführer an: „Gott behüte Eyaduma und Kikuny, denn sie beschützen uns
       vor Vergewaltigungen und Plünderungen!“
       
       20 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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