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       # taz.de -- USA nach dem Botschaftssturm: Wahlkampf und Diplomatie
       
       > US-Präsident Obama verspricht Aufklärung und Verfolgung der Verbrechen in
       > Libyen. Sein Herausforderer Romney greift Obamas Regierung scharf an.
       
   IMG Bild: Entschlossenheit zeigen, ohne zu viel Porzellan zu zerbrechen: Präsident Obama und Außenministerin Clinton.
       
       WASHINGTON taz | Die USA haben Halbmast wegen eines neuen 11. September
       geflaggt. Sie haben Marines nach Libyen geschickt, plus Spionage-Drohnen,
       die aus der Luft die Verstecke der Botschaftsangreifer finden sollen, dazu
       Kriegsschiffe, die vor der libyschen Küste patroullieren.
       
       Der gewaltsame Tod von US-Botschafter Chris Stevens, seinem Mitarbeiter
       Sean Smith sowie zwei weiteren US-Amerikanern in Libyen und der Sturm auf
       die US-Botschaft in Kairo, bei dem statt der US-Fahne eine schwarze
       islamistische Fahne gehisst wurde, hat den US-Präsidentschaftswahlkampf auf
       einen Schlag außenpolitisch gemacht.
       
       Während Präsident Barack Obama Aufklärung und Verfolgung der Verbrechen in
       Libyen verspricht, verbeißt sich sein Herausforderer Mitt Romney in eine
       Attacke an der Heimatfront. Weil die US-Botschaft in Kairo, schon vor der
       Ankunft der aufgebrachten Menschenmenge in einer nicht von Washington
       autorisierten Erklärung auf Distanz von einem anti-muslimischen Video aus
       den USA gegangen ist, eifert Romney, die US-Regierung würde sich
       entschuldigen, anstatt „amerikanische Werte zu verteidigen“.
       
       Romney hält an seiner Attacke auch fest, als das Außenminsterium in
       Washington längst die Erklärung der Botschaft vom Netz genommen hat. Ältere
       US-Amerikaner fühlen sich an das Jahr 1979 erinnert, als zuletzt ein
       US-Botschafter ermordet wurde. Damals schlossen die USA ihre Botschaft in
       Kabul für 13 Jahre.
       
       ## Vier lange Stunden
       
       „Wie konnte dies passieren?“, fragt Außenministerin Hillary Clinton am Tag,
       nachdem der bewaffnete Mob das US-Konsultat in Bengasi gestürmt hat, „In
       einem Land, bei dessen Befreiung wir geholfen haben. In einer Stadt, bei
       deren Rettung wir geholfen haben“. Die Leichen der Ermordeten sowie die bei
       der Attacke verletzten US-Amerikaner wurden in die US-Basis Ramstein
       gebracht. Doch der Ablauf der Ereignisse der Vornacht ist noch weitgehend
       unklar.
       
       Die Schießerei in Bengasi soll um 22 Uhr Ortszeit begonnen und vier lange
       Stunden gedauert haben. Wie und wann Botschafter Stevens ums Leben kam ist
       ebenso unbekannt, wie die Frage, weshalb keine Sicherheitsleute bei ihm
       waren. Offen ist auch, wer ihn – oder seine Leiche – in ein Krankenhaus der
       Stadt gebracht hat.
       
       Angaben über die Sicherheitsvorkehrungen in ihren diplomatischen
       Vertretungen und die Zahl ihrer Mitarbeiter machen die US-Behörden nicht.
       Sie erklären lediglich, dass das – inzwischen geschlossene – Konsulat in
       Bengasi einen libyschen Schutz vor seiner Aussenmauer und einen „robusten“
       us-amerikanischen Schutz im Inneren hatte. Vor dem 11. September sollen die
       Sicherheitsvorkehrungen überprüft worden sein.
       
       ## Geplante islamistische Attacke
       
       Experten in den USA sprechen von zwei „getrennten Zwischenfällen“ in
       Bengasi und in Kairo. „Das war eine gut und von langer Hand geplante
       Attacke mit starken Waffen“, sagt Ed Husain, vom Council on Foreign
       Relations am Mittwoch in einer Telefonkonferenz zu Libyen, „kein Zweifel:
       das sind Al Qaida Sympathisanten“. Im Gegensatz dazu stehe die ägyptische
       Empörung über den Film „Innocence of Muslims“, die während mehrerer Tage
       gewachsen sei.
       
       Nach den blutigen Protesten gegen den antiislamischen Film hat das
       Internetportal Youtube den Zugriff auf das Video aus Libyen und Ägypten
       erschwert. Zwar verstoße der Inhalt des Films nicht gegen die
       Youtube-Richtlinien, angesichts der „schwierigen Lage in Libyen und
       Ägypten“ sei der Zugang in beiden arabischen Ländern jedoch „vorübergehend
       eingeschränkt“ worden, erklärte ein Sprecher des Google-Dienstes am
       Donnerstag laut afp.
       
       Die Spitzen in Libyen und Ägypten reagierten völlig unterschiedlich auf die
       Attacken gegen die US-Vertretungen in ihren Ländern. Aus Libyen kam sehr
       schnell eine Entschuldigung von Mohammed Magarief bei den USA. Der
       Parlamentespräsident bat zugleich die internationale Gemeinschaft um
       Unterstützung bei der Verfolgung der Täter. Aus Kairo hingegen beauftragte
       Präsident Mohammed Mursi seine Botschaft in den USA, gerichtlich gegen den
       Film vorzugehen, der den „heiligen Propheten“ beleidigt habe.
       
       Barack Obama verurteilte die Morde von Bengasi in mehreren über den Tag
       verteilten Erklärungen. Dabei versicherte er jedes Mal, dass die USA an
       ihren freundschaftlichen Beziehungen zu Libyen festhalten werden. Zu
       Ägypten hingegen äußerte sich Präsident Obama erst am Mittwoch Abend.
       
       In einem Interview mit dem US-amerikanischen Latino-Sender „Telemundo“ sagt
       er, Ägypten sei „kein Alliierter“, aber auch „kein Feind“. Sondern „eine
       neue Regierung, die ihren Weg sucht.“ Der US-Präsident wird seinen
       ägyptischen Kollegen Ende des Monats bei der UNO-Vollversammlung treffen.
       
       ## Meinungfreiheit und Gewalt
       
       Über den Film, der als Begründung für die Attacken herhalten soll, spricht
       die US-Spitze nicht. Der filmische Versuch, den Propheten unter anderem als
       schwul, als pädophil, und als Schürzenjäger lächerlich zu machen, fällt in
       den USA unter die Rubrik: „Meinungsfreiheit“. Allerdings hat am Mittwoch
       General Martin Dempsey aus dem Pentagon bei Pastor Terry Jones in Florida
       angerufen.
       
       Der General hat den radikal rechten Pastor an der Spitze einer winzigen
       Gemeinde, der schon zuvor mit Koran-Verbrennungen für gewalttätige Aufruhr
       in muslimischen Ländern gesorgt hat, gebeten, über seine Unterstützung für
       den Film nachzudenken. Der Pastor soll zugehört haben, ohne dem General zu
       folgen.
       
       Über den Filmemacher, ein gewisser „Sam Basile“, hieß es zunächst, er sei
       ein „israelischer Jude“, der in Kalifornien im Immobiliengeschäft tätig
       sei. Doch nach Recherchen US-amerikanischer Journalisten könnte hinter dem
       Pseudonym des Filmemachers ein aus Ägypten stammender koptischer Christ
       stecken, der die Mittel für seinen Film aus rechten christlichen Kreisen in
       den USA geholt hat.
       
       13 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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