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       # taz.de -- Giftexport: Tauziehen um Schrottschiff
       
       > Niedersachsens Umweltminister verhindert das Auslaufen eines
       > Containerschiffs aus Wilhelmshaven, das offenbar in Indien abgewrackt
       > werden soll.
       
   IMG Bild: Die Northern Vitality ist ein schrottreifer Kahn mit zynischem Namen.
       
       Das Containerschiff „Northern Vitality“, das wegen Verstößen gegen
       internationales Umweltrecht nicht auslaufen darf, hat bis zum
       taz-Redaktionsschluss gestern Abend den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven
       nicht verlassen. Dabei hatte es am Morgen vonseiten der Stadt Wilhelmshaven
       geheißen, es gebe keine rechtliche Handhabe, das Schiff aufzuhalten. Die
       Schifffahrtsagentur Neptun, die das Schiff im Auftrag der „Norddeutsche
       Reederei H. Schuldt“ verwaltet, bestätigte gestern Morgen, dass die
       Northern Vitality um 11 Uhr auslaufen sollte. Später hieß es, die Abfahrt
       würde sich verzögern, bis klar wurde, dass das Schiff noch länger im Hafen
       bleiben muss. Ein Sprecher der Wasserschutzpolizei bestätigte am
       Nachmittag, dass das Schiff nicht auslaufen dürfe.
       
       Der Hintergrund: Das Umweltministerium war vergangene Woche von der in
       Brüssel ansässigen Nichtregierungsorganisation Shipbreaking Platform darauf
       hingewiesen worden, dass das Schiff in Indien verschrottet werden sollte.
       Dies verstößt gegen das 1992 in Kraft getretene Basler Abkommen, das den
       Transport von verseuchtem Müll in Entwicklungsländer verbietet. Schiffe
       stellen aufgrund ihrer Bauteile und Anstriche Sondermüll dar.
       
       Auch bei der erst 15 Jahre alten „Northern Vitality“ muss man davon
       ausgehen, dass das Abwracken ohne hohe Sicherheitsauflagen – wie es für
       Südasien dokumentiert ist – für die Arbeiter lebensgefährlich ist und die
       Umwelt verseucht. Doch der Eigentümer schien ein Schlupfloch gefunden zu
       haben: Nach Auskunft des Neptun-Mitarbeiters Sven Jacobs sollte das Schiff
       gestern nicht nach Indien aufbrechen, sondern „auf Reede“ gehen, also
       ankern. „Dort soll es an den neuen Eigentümer übergeben werden, wir wissen
       nicht, wer das ist und was er vorhat.“
       
       Anders als die Stadt Wilhelmshaven ließ sich das niedersächsische
       Umweltministerium davon nicht beirren. „Wir haben die untere Umweltbehörde
       in Wilhelmshaven darüber informiert, dass das Auslaufen eine Straftat
       darstellt“, sagte Sprecherin Inka Burow gestern Mittag. Hinweise, dass das
       Schiff widerrechtlich in Indien entsorgt werden solle, müssten erst geprüft
       werden.
       
       Dass das Schiff verschrottet werden soll, war zuletzt in Presseberichten
       über den Jade-Weser-Port, der in anderthalb Wochen eröffnet werden soll, zu
       lesen. Die „Northern Vitality“ hatte danach als Übungsschiff zum Be- und
       Entladen gedient. Auf der Homepage des letzten bekannten Eigentümers, der
       Hamburger „Norddeutsche Vermögen“, steht, dass sie bereits 2009
       ausgemustert werden sollte. Das Unternehmen wollte nicht sagen, ob das
       Schiff bereits an einen Zwischenhändler verkauft ist.
       
       Laut dem Branchenreport „GMS Weekly“ vom 24. August 2012 ist das Schiff
       bereits verkauft, um gemeinsam mit zwei Schwesterschiffen in Indien
       abgewrackt zu werden. Das globale Unternehmen GMS, der nach eigenen Angaben
       weltweit größte An- und Verkäufer von Schiffen, die „recycelt“ werden
       sollen, bestreitet, selbst etwas mit dem Kauf zu tun zu haben.
       
       Dass die Behörden überhaupt von der Transaktion erfahren und umgehend
       reagiert hatten, ist ein seltener Ausnahmefall. „Meistens ist das Schiff
       schon weg, bevor geklärt ist, wer zuständig ist“, hatte die Shipbreaking
       Platform-Mitarbeiterin Delphine Reuter am Montag gesagt. Sie begrüßte, dass
       das Umweltministerium auch gestern am Ball geblieben war und die Stadt
       angewiesen hatte, das Verbot aufrechtzuerhalten.
       
       Die 2006 gegründete Organisation ist selbst auf Tipps angewiesen. Häufig
       kommen diese von europäischen Abwrackfirmen, die weniger für die Schiffe
       zahlen können, weil das Verschrotten viel aufwändiger ist und die Löhne
       wesentlich höher sind als in den Entwicklungsländern. Laut Shipbreaking
       Platform enden dort 80 Prozent aller Schiffe, die wegen des Stahls begehrt
       sind. Der Rest bleibt meistens einfach am Strand liegen.
       
       11 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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