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       # taz.de -- Unruhen in Nordirland: Protestanten auf den Barrikaden
       
       > Die Protestanten in Nordirland fühlen sich als Verlierer des
       > Friedensprozesses. Weil sie ihre Privilegien einbüßen, gehen sie auf die
       > Straße.
       
   IMG Bild: Mit Wasserwerfern gegen die Randalierer: Drei Nächte in Folge fanden in Nord-Belfast schwere Unruhen statt.
       
       DUBLIN taz | Nach der dritten Nacht mit gewaltsamen Ausschreitungen in
       Belfast hat die nordirische Regierung eine Notstandssitzung anberaumt. Seit
       Sonntagnacht brennen im Norden der nordirischen Haupstadt Autos, die
       Randalierer bombardieren die Polizei mit Benzinbomben, Flaschen und
       Ziegelsteinen. Obwohl die Polizei Plastikgeschosse und Wasserwerfer
       einsetzte, bekam sie die Situation nicht unter Kontrolle, mehr als 60
       Beamte wurden verletzt.
       
       Hinter den Krawallen stecken die paramilitärischen loyalistischen
       Organisationen Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association
       (UDA). Beide befinden sich zwar offiziell im Waffenstillstand, doch die
       Polizei befürchtet, dass die beiden Organisationen nach internen
       Säuberungsaktionen wieder gewaltbereit sind. Ihre Sprecher bestreiten,
       irgendetwas mit den Krawallen zu tun zu haben. Sie kritisierten allerdings,
       dass die Kommission zur Genehmigung der Paraden einen Marsch katholischer
       Republikaner vorigen Samstag genehmigt hatte.
       
       Eine Woche zuvor war eine protestantisch-loyalistische Parade umgeleitet
       worden, weil die Strecke trotz eines Verbots an der katholischen
       St.-Patricks-Kirche vorbeiführte. Die Beteuerungen, man habe nicht gewusst,
       dass es sich um eine katholische Kirche handelte, sind unglaubwürdig. Zwar
       sind in Nord-Belfast katholische und protestantische Viertel wie ein
       Flickenteppich angeordnet, doch jeder weiß, wo die Grenzen verlaufen.
       
       Die Krawalle haben tiefere Ursachen. Seit Generationen gingen die
       protestantisch-loyalistischen Arbeiterkinder mit 16 von der Schule ab und
       bekamen Jobs in der Schiffswerft Harland and Wolff oder der Rüstungsfabrik
       Shorts, die Katholiken verschlossen blieben. Diese Jobs gehören der
       Vergangenheit an, aber die Anti-Bildungs-Kultur ist im Gegensatz zur
       katholischen Seite erhalten geblieben. Die Loyalisten sehen sich als
       Verlierer des Friedensprozesses, der Nordirland nach Jahrzehnten
       protestantischer Herrschaft eine Machtbeteiligung katholischer Parteien
       beschert hat.
       
       So hat sich bisher keine Klassenpolitik entwickelt, obwohl Jobs auf beiden
       Seiten Mangelware sind. Ihrer Privilegien beraubt, beharren die Loyalisten,
       angeführt vom streng antikatholischen Oranier-Orden, auf ihren Paraden, um
       die Illusion aufrechtzuerhalten, dass ihnen das Land nach wie vor gehört.
       3.000 Paraden veranstaltet der Orden jedes Jahr, die meisten davon
       verlaufen konfliktfrei, doch einige Paraden führen durch heute katholische
       Viertel, in denen allerdings früher überwiegend Protestanten gewohnt haben.
       Es sind diese demografischen Veränderungen, die den Protestanten Angst
       machen, weil sie in zehn Jahren zur Minderheit in Nordirland werden
       könnten.
       
       Für den 29. September, den 100. Jahrestag der Ablehnung einer
       Regionalregierung im britisch besetzten Irland, hat der Orden eine weitere
       Parade geplant. Die Polizei rechnet mit 20.000 Teilnehmern und 100
       Kapellen. Die Parade führt an der katholischen St.-Patricks-Kirche vorbei.
       
       5 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
       ## TAGS
       
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   DIR Nordirland
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   DIR Schwerpunkt Abtreibung
       
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