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       # taz.de -- Wohnungspolitik: Neubau ist nicht alles
       
       > Köln und Hamburg gehen neue Wege in der Wohnungspolitik. Nun holt sich
       > Berlin den Rat beider Städte. Doch nicht alles ist an der Spree
       > umsetzbar.
       
   IMG Bild: "Wahlsieg der Hamburger SPD dank des Themas Mieten".
       
       Ein bisschen hanseatischer Stolz war natürlich auch dabei. „Die SPD hat in
       Hamburg die Wahlen mit dem Thema Mieten gewonnen“, betonte Michael Sachs,
       Staatsrat im Hamburger Senat sowie Koordinator der Wohnungs- und Baupolitik
       in der Hansestadt, und schaute zufrieden in die Runde. Der selbstbewusste
       Input aus Hamburg war einer der beiden Blicke über den Tellerrand, den sich
       Berlin am Montag auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung leistete, um
       die eigene Wohnungspolitik einer Standortbestimmung zu unterziehen. Der
       andere Blick stammte von Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters.
       
       „Wohnen in Berlin“ lautete der Titel der Tagung, die vor allem
       Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) dazu nutzte, für mehr
       Engagement in der Wohnungspolitik und beim Neubau zu werben. Der erhoffte
       Rückenwind aus Hamburg und Köln machte aber auch klar, welchen Rückstand
       Berlin aufzuholen hat. Nicht nur im öffentlichen Wohnungsbau Hamburgs
       müssten ein Drittel der Wohnungen Sozialwohnungen sein, betonte Michael
       Sachs: „Auch von privaten Investoren verlangen wir diese Drittelregelung.“
       
       „Das Hamburger Selbstbewusstsein zeigt, dass wir auch in Berlin wieder
       etwas fordern können“, sagte Stadtentwicklungssenator Michael Müller.
       Allerdings hat Hamburg den privaten Investoren etwas zu bieten. Die
       Hansestadt hat nämlich ein ambitioniertes Förderprogramm für den sozialen
       Wohnungsbau aufgelegt. Gleiches gilt für Köln, das 35 Millionen Euro im
       Jahr für den Bau von 1.000 neuen Sozialwohnungen ausgibt.
       
       ## Sozial ist teurer als privat
       
       „In Berlin dagegen haben wir den sozialen Wohnungsbau nach leidvollen
       Erfahrungen abgeschafft“, sagte Lichtenbergs Bürgermeister Andreas Geisel
       (SPD). Zu diesen Erfahrungen gehört inzwischen auch, was die grüne
       Sozialstadträtin Sibyll Klotz aus Tempelhof-Schönefeld so formulierte: „In
       Berlin sind die Sozialwohnungen deutlich teurer als der private
       Wohnungsbestand.“ Klotz plädierte dafür, etwa den Bau barrierefreier
       Wohnungen wieder öffentlich zu fördern.
       
       Um auch in Berlin mit Wohnungspolitik wieder punkten zu können, muss also
       mehr Geld in die Hand genommen werden. Das war wohl der Leitgedanke, der
       Müller und die SPD-nahe Stiftung veranlasst hatte, die beiden SPD-Politiker
       aus dem Norden und dem Westen nach Berlin einzuladen. „In Köln sind sich
       alle Dezernenten einig, dass der Verkauf von Flächen nicht dazu dient, die
       Einnahmen für den Haushalt zu steigern“, betonte Kölns OB Jürgen Roters.
       Ganz anders dagegen in Berlin: Hier muss sich der Stadtentwicklungssenator
       seit Monaten mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum herumärgern, der die Berliner
       Liegenschaften nach wie vor gerne als cash cow nutzen würde. Selbst das
       „Bündnis für Wohnen“, mit dem Müller die landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaften auf eine sozial gerechtere Politik verpflichten
       will, ist noch nicht unterschrieben, wie er am Rande der Tagung einräumte.
       „Da gibt es noch Bedenken seitens des Finanzsenators“, so Müller. Wenn das
       Bündnis heute im Senat beschlossen werden soll, muss also der Regierende
       Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ein Machtwort sprechen.
       
       Dass Neubau nicht alles ist, sondern auch der Bestand mehr Aufmerksamkeit
       braucht, war eine weitere Botschaft an den Senat. So betonte Lichtenbergs
       Bürgermeister Andreas Geisel, Neubaumieten mit einem Preis von neun Euro
       pro Quadratmeter wirkten nicht dämpfend auf den Mietspiegel. Ähnlich
       argumentierte auch der Stadtsoziologe Andrej Holm von der
       Humboldt-Universität. Er rechnete vor, dass eine Übernahme der
       Förderpolitik aus Hamburg oder Köln in Berlin nicht so einfach machbar sei:
       „Neubau in Köln macht Sinn, weil die Differenz zwischen den Bestandsmieten
       und den Neubaumieten im sozialen Wohnungsbau gering ist.“ In Berlin dagegen
       würde ein solches Programm mit ähnlichen Effekten 270 Millionen im Jahr
       kosten. Holm forderte auch deshalb ein „Konzept für den Bestand“.
       
       ## Sechs Jahre im Mietspiegel
       
       Tatsächlich führten derzeit die Neuvermietungs-Mieten zu Kostenexplosion
       und Verdrängung, stellte die grüne Stadträtin Klotz fest. „Da hat Berlin
       einen noch größeren Anstieg als Köln.“ Guter Rat kam da aus Hamburg: „Warum
       erfasst der Mietspiegel nur die Abschlüsse der vergangenen vier Jahre und
       bildet damit im Wesentlichen die Steigerungen bei den Neuvermietungen ab?“,
       fragte Staatsrat Sachs. In der Hansestadt, erklärte er, fließen die
       Mietabschlüsse der vergangenen sechs Jahre in den Mietspiegel ein.
       
       Stadtentwicklungssenator Müller versprach, sich auch um dieses Thema zu
       kümmern. „Untätigkeit kann man uns aber nicht vorwerfen“, betonte er. „Die
       Effekte einer neuen Politik wird man ohnehin erst in einigen Jahren
       erleben.“
       
       3 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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