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       # taz.de -- Gewaltbereite Fußballfans: Lernen in der Kurve
       
       > Die ausufernde Gewalt im deutschen Fußball erschreckt mehr den je. Nun
       > fordern die Fanprojekte die Vereine zum Dialog auf.
       
   IMG Bild: Bedrohlich: FC-Fans nach dem Spiel gegen die Bayern im Mai 2012.
       
       Michael Gabriel und Volker Goll sind als leidenschaftliche Fußballfans oft
       genug im Stadion, um ihre Einschätzung zu einer besorgniserregenden
       Entwicklung abzugeben. „Es besteht ein allgemeines Problem mit Respekt. Die
       Hemmschwelle ist gesunken, das macht Bauchschmerzen“, erklärt Goll. „Die
       Grenze von verbalen Beschimpfungen zu körperlichen Bedrohungen hat sich
       verschoben“, ergänzt Gabriel.
       
       Die beiden Mitarbeiter der in Frankfurt ansässigen Koordinationsstelle
       Fanprojekte (Kos) haben am Montag eigentlich ihren neuen Sachbericht
       vorstellen wollen, doch es vergeht ja kaum ein Wochenende, an dem die
       Gewaltdebatte im deutschen Fußball nicht um neue Facetten bereichert wird.
       
       Der Fall Kevin Pezzoni, der seinen Vertrag beim 1. FC Köln aufgelöst hat,
       weil ihn gewalttätige Fans aus dem eigenen Lager erneut bedroht haben,
       stellt auch die Fanexperten vor Rätsel. „Es ist eine verfahrene Situation
       in Köln“, sagt Gabriel, der die beste Einlassung zu dieser Thematik dem
       Dortmunder Trainer Jürgen Klopp zuschreibt.
       
       Der insistierte, den Fußball nur als Spiel zu verstehen, „sonst müssen wir
       es lassen“. Gabriel: „Der Fußball erfährt in seiner Bedeutung eine
       ungeheure Überhöhung – durch die Vereine, durch die Medien.“ Die
       unheilvolle Mixtur braut sich dann zusammen, „wenn nur der Fußball jungen
       Menschen eine soziale Zusammengehörigkeit vermittelt, die woanders längst
       verloren gegangen ist.“
       
       ## Angst vor englischen Verhältnissen
       
       Genau an dieser Schnittstelle setzen die präventiv agierenden Fanprojekte
       an, bei denen sich oft zwei Mitarbeiter einer Tausende Köpfe zählenden
       Szene gegenüberstehen. Die Kos spricht von „der Stehplatz-Kurve als
       Lernort“, warnt vor Verhältnissen wie in englischen Stadien, wo die
       Abschaffung der Stehplätze und die Erhöhung der Eintrittspreise dazu
       geführt haben, dass das Durchschnittsalter des Besuchers bei 48 Jahren
       liegt.
       
       Goll und Gabriel wollen die „einzigartige Fankultur“ hierzulande erhalten,
       setzen auf „Kommunikation statt Konfrontation“ und zählen Beispiele von
       Selbstreinigungskräften selbst bei problematischen Fangruppierungen von
       Dynamo Dresden auf. Allerdings, führt Goll aus, „müssen die Vereine auch
       auf die Fans zugehen und so pflegen, wie sie das mit den Sponsoren tun“.
       
       In manchen Vorständen herrsche Hochnäsigkeit gegenüber den Fanvertretern.
       Am Ende bleiben irreparable Missverständnisse. Gabriel glaubt: „Vereine
       dürfen sich nicht scheuen, Grenzen zu ziehen. Je mehr ein Verein sich auch
       in ruhigen Zeiten mit seiner Fanszene auseinandersetzt, desto höher ist die
       Akzeptanz in schwierigeren Phasen.“
       
       Es ist ein zweischneidiges Schwert, wenn 96-Präsident Martin Kind wie am
       Sonntag die eigene Anhängerschaft für Schmähgesänge gegenüber dem nach
       Wolfsburg gewechselten Verteidiger Emanuel Pogatetz scharf angeht. Kind
       hatte Teile der eigenen Fans wegen der Sprechchöre („Sohn einer Hure“) als
       „Arschlöcher“ tituliert und ihnen empfohlen, „nur Sky zu kaufen und zu
       Hause zu bleiben“. Gabriel glaubt, dass damit das Problem nicht gelöst
       wird.
       
       ## Basisarbeit ohne Alternative
       
       Im Gegenteil: „Die wichtigsten Player im Zusammenhang mit Fanverhalten sind
       die Entscheidungsträger der Vereine. Es ist immer besser, mit den Fans
       hinter verschlossenen Türen zu sprechen, anstatt sich öffentlich über sie
       zu äußern.“ Zur Basisarbeit gibt es aus Sicht der Kos kaum eine
       Alternative. Anders als 1993, als es nur ein Dutzend Fanprojekte mit 24
       Mitarbeitern gab, sind solche Einrichtungen mittlerweile in 47 Städten mit
       115 hauptamtlichen Spezialisten installiert.
       
       Gleichwohl: Nicht nur die Fluktuation unter den vielfach überlasteten
       Mitarbeitern macht Sorge, sondern auch die Finanzierung, die sich bislang
       Kommune, Land und DFB/DFL zu je einem Drittel geteilt haben. Eigentlich
       wurde beim Sicherheitsgipfel in Berlin im Juli fix zugesagt, die
       Zuwendungen für die Fanprojekte zu erhöhen, „aber bis jetzt ist kein
       zusätzlicher Cent angekommen“, versichert Gabriel.
       
       4 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Hellmann
       
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