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       # taz.de -- Buch über Landgrabbing in Afrika: „Europa muss sich zurückziehen“
       
       > Seit der Krise 2008 geht in Afrika der vielleicht größte Landraub der
       > Geschichte vor sich, vor allem die arme Bevölkerung leidet darunter.
       
   IMG Bild: Ausbeutung bis zum letzten Tropfen.
       
       taz: Herr Liberti, wie sind Sie darauf gekommen, Landgrabbing zum Thema zu
       machen? 
       
       Stefano Liberti: Es begann alles mit einer Reise im Jahr 2008, als ich
       einen Film über die Nahrungsmittelkrise machte und die Börse in Chicago
       besuchte. Das war ein eindrückliches Erlebnis. Im Anschluss besuchte ich
       weitere Orte in den USA und Brasilien. Ich ging damals der Frage nach:
       Warum explodieren die Nahrungsmittelpreise?
       
       Ich habe In Chicago Investoren und Händler gesprochen und einer hat mir
       erzählt, dass es eine Spekulationsblase gibt, die platzen wird, und dass in
       wenigen Monaten die Investoren direkt in die großen Farmen investieren
       werden. Über Fonds und Beteiligungen und da wurde ich hellhörig. Anfang
       2009 begann sich die Prognose des Händlers zu bewahrheiten.
       
       Waren Sie da schon in Äthiopien auf Recherche? 
       
       Nein, aber wenig später. Äthiopien war aus journalistischer Perspektive die
       Initialzündung. Die Regierung offeriert den Investoren erstklassiges
       Ackerland, obwohl es Probleme gibt, die Bevölkerung zu versorgen. In
       einzelnen Regionen mit Versorgungsproblemen produzieren die Investoren
       ausschließlich für den Export, zahlen keinen Pachtzins und die autoritäre
       Regierung unterdrückt alle Proteste der lokalen Bevölkerung. Nach der
       Visite in Äthiopien wollte ich die andere Seite sehen – die der Investoren,
       der Auftraggeber – und machte mich auf den Weg nach Saudi-Arabien.
       
       Um den größten Milchbetrieb mitten in der Wüste zu besuchen? 
       
       Ja, aber auch um zu sehen, wie dort gedacht und wie Investitionen geplant
       werden. Allerdings musste ich mit ansehen, wie afrikanische Staaten große
       Flächen anbieten und mit Steuernachlässen und sonstigen Boni um die
       Investoren konkurrieren. Das ist unglaublich, wie gefeilscht wird um
       ausländische Investitionen. Das hat eine psychologische und eine
       ökonomische Seite, denn die Regierung selbst hat seit Jahren nicht in die
       Landwirtschaft investiert und braucht dringend Investitionen, aber sie
       koppelt die Investitionen nicht an Bedingungen. Sie lässt den Investoren
       freie Hand.
       
       Aus Investorensicht paradiesische Bedingungen … 
       
       Genau, Steuervergünstigungen für Importe wie Exporte, keine Auflagen, was
       die Arbeitsrechte und die Versorgung des lokalen Marktes angeht oder die
       Wahl der Anbauprodukte. In Äthiopien kann ich ohne jeden Pachtzins 10.000
       Hektar bekommen und die Regierung will nicht mal wissen, was ich plane
       anzubauen.
       
       Aus dieser Perspektive scheint das Modell, welches Katar verfolgt, durchaus
       interessant, oder? 
       
       Ja, denn sie wollen direkt mit den Bauern kooperieren und 40 Prozent der
       Produktion verbleiben bei den Bauern. Weitere 20 Prozent gehen in den
       lokalen Markt, die restlichen 40 Prozent werden exportiert. Das ist ein
       interessanter Ansatz, aber nicht mehr. Katar plant, in Kenia zu
       investieren, aber es ist schwierig, Verträge mit lokalen Farmern ohne die
       Regierung zu machen. Die Regierungen in Afrika wollen dabei sein, haben
       oftmals die Hoheit über das Ackerland, betrachten den Staat als ihren
       Besitz, und Korruption ist weit verbreitet.
       
       Hohe Hürden für alternative Ansätze. Welche Rolle spielen Weltbank und
       UN-Ernährungsprogramm (FAO) in dem Kontext – unterstützen sie alternative
       Ansätze, denn die Nahrungsmittelkrisen, die Brotrevolten, sind ja nicht
       vorbei? 
       
       Sie sollten agieren, aber sie tun es nicht. FAO und Weltbank haben sich
       entschieden, große Investitionen im Agrarsektor zu unterstützen.
       
       Aber die Investitionen brauchen Leitlinien. Wäre eine internationale
       Konvention eine Alternative? 
       
       Das wäre ein Ansatz, aber darüber denkt derzeit kaum jemand nach. Es wird
       nur darüber nachgedacht, dass mehr Nahrungsmittel für eine wachsende
       Bevölkerung produziert werden müssen, und da gibt es nur ein Modell – das
       agroindustrielle. Aber das ist unser Modell in den Industrieländern und
       nicht jenes in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Da gibt es eine
       kleinteilige Landwirtschaft, die mit der großflächigen kollidiert. Die
       beiden Modelle sind nicht kompatibel.
       
       Sehen Sie eine Lösung angesichts zunehmender Spekulation im Agrarsektor und
       des systematischen Landgrabbing? Was kann die EU tun? 
       
       Die EU kann sich aus der Produktion und Förderung von so genannten
       Biotreibstoffen zurückziehen, denn die haben die Fonds auf den Plan
       gerufen, die nicht nur dort investieren, sondern auch die Spekulation mit
       Nahrungsmitteln anheizen. Das wäre ein Fortschritt, denn Landgrabbing
       produziert Landflucht und soziale Probleme in den Städten. Letztlich müssen
       die Anleger sich fragen, was passiert mit meinem Geld, und da ist mehr
       Transparenz gefragt.
       
       „Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus“. Aus dem Italienischen
       von Alexander Knaak. Rotbuch, Berlin 2012, 256 S., 19,95 Euro
       
       31 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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