URI: 
       # taz.de -- Kunstkrimi um Bildraub: Wallys langer Weg nach Hause
       
       > Ein US-Dokumentarfilm zeichnet die Odyssee eines in der Nazizeit
       > gestohlenen Egon-Schiele-Bilds nach. Seit 2010 hängt es wieder in Wien.
       
   IMG Bild: Lang ersehnter Augenblick: Im August 2010 enthüllte die Witwe Leopold die nach Wien zurückgekehrte Wally.
       
       Mit großen blauen Augen blickt die schöne blasse „Wally“ aus dem Bild, so,
       als würde sie durch den Betrachter hindurchschauen. Egon Schiele, der
       österreichische Maler, hatte das Porträt seiner jungen Geliebten Walburga
       Neuzil 1912 gemalt. Ihre Liebesgeschichte endete, als Schiele eine andere
       heiratete. Wallys melancholischer Blick scheint das und ihrer beider frühen
       Tod vorwegzunehmen.
       
       Weil das skandalumwobene Genie Schiele so jung starb, waren seine Bilder
       sehr begehrt. Auch die Kunsthändlerin Lea Bondi war ein Fan, sie verliebte
       sich in das „Bildnis Wally“, erwarb es, nicht, um es weiterzuverkaufen,
       sondern für sich und hängte es in ihre Wohnung. Dann aber kamen die Nazis.
       Lea Bondi musste fliehen. 1939 wurde das Bild gestohlen und ihre Galerie
       „arisiert“.
       
       Erst 1997 tauchte Wally wieder auf, in New York, in der großen Ausstellung
       „Egon Schiele: The Leopold Collection, Vienna“ am Museum of Modern Art
       (MoMA). Lea Bondi war also 1969 gestorben, ohne ihr geliebtes Bild je
       wieder gesehen zu haben. Wally gehörte da längst dem besessenen
       Schiele-Sammler Rudolf Leopold in Wien. Umso verblüffter waren Bondis
       Erben, als sie das einst gestohlene Bild in der MoMA-Schau entdeckten.
       
       Sie baten das Museum, das Bild nicht nach Wien zurückzuschicken, bis seine
       Herkunft ermittelt war. Das MoMA weigerte sich, in Absprache mit seinem
       Vorsitzenden Ronald Lauder, obwohl dieser sich ja eigentlich in seiner
       Rolle als Gründer der Commission of Art Recovery um die Restitution von
       Raubkunst bemüht. Die Leihverträge müssten eingehalten werden, hieß es von
       der MoMA-Leitung, auch ohne Herkunftsprüfung.
       
       Kurzerhand und zur Überraschung des Museums entschied der Staatsanwalt von
       New York City, Robert Morgenthau, im Januar 1998 das Bild zu
       beschlagnahmen, und leitete strafrechtliche Ermittlungen ein.
       
       ## Jahrelanger Rechtsstreit
       
       Der Fall löste einen Eklat aus und mündete in einem Rechtsstreit, der nicht
       nur die Kunstwelt erschütterte. Involviert waren zwei Regierungen, die
       österreichische und die des Staates New York, sowie eines der bedeutendsten
       Museen und der weltgrößte Schiele-Sammler. Der Dokumentarfilm „Portrait of
       Wally“ zeichnet diesen Fall nun spannend wie ein Thriller nach. Enorm dicht
       erzählen Regisseur Andrew Shea sowie der Ideengeber und Journalist David
       d’Arcy, der im Film selbst als Zeitzeuge auftritt, die verworrenen
       Ereignisse.
       
       Sie gehen zurück bis in die Zeit der Entstehung des Bildes, zeigen Schieles
       besessene Zuneigung zu seinem Modell Wally Neuzil, den Diebstahl durch den
       Salzburger Galeristen und fanatischen Nazi Friedrich Welz, die Folgen des
       Holocaust, die den Umgang mit Raubkunst im Österreich der Nachkriegszeit in
       undurchsichtigen Manövern münden ließen.
       
       Temporeich schneiden und überblenden sie Originalaufnahmen aus dem Wien der
       Zwischenkriegszeit und des österreichischen „Anschlusses“ 1938, stellen
       Fragen an Kunstexperten, Zeitzeugen und nahe Verwandte. Mit Lea Bondis
       Großnichte Ruth Rozanek kommt eine lebhafte Frau zu Wort, die erahnen
       lässt, welche Persönlichkeit Lea Bondi selbst gewesen sein mag.
       
       Außerdem widmen sich die Filmemacher Rudolf Leopolds Lavieren in dem Fall
       und dem schwerwiegenden Dilemma, in das die österreichische Regierung mit
       ihren unausgegorenen Restitutionsgesetzen durch den Fall Wally gerät. Der
       Film geht Widersprüchen und Täuschungen nach, stochert im Filz, der in der
       13-jährigen Schlacht um das Gemälde an den Gerichten in New York und Wien
       auseinandergenommen wird.
       
       ## Nach Jahren ans Licht gerissen
       
       In dieser Zeit, in der die Wally verschlossen in einem Hochsicherheitsdepot
       in New York lagerte, stiegen die Preise für Schieles schneller als die für
       Werke irgendeines anderen Künstlers. Wallys Wert hatte sich verzehnfacht.
       Brisant erscheint im Film auch die Rolle Ronald Lauders. Der derzeitige
       Präsident des Jewish World Congress ist selbst obsessiver Sammler von
       Schiele-Werken. Als er in den 80er Jahren Botschafter in Wien war, führte
       er eine erkleckliche Menge davon in die USA aus.
       
       Durch seine extremen Interessenskonflikte beförderte Lauder die jahrelange
       Verschleppung noch, sagt Journalist d’Arcy. 2004 wird der Journalist selbst
       Betroffener in dem Fall: In einem Radiobeitrag für den öffentlichen Sender
       National Public Radio (NPR) zur Eröffnung des umgebauten MoMA-Flügels
       benennt er Ungereimtheiten bezüglich des Verbleibs von Wally. Daraufhin
       setzt das MoMA die Senderleitung von NPR so lange unter Druck, bis sie
       einknickt und – entgegen aller journalistischen Unabhängigkeit – eine
       „inkorrekte“ Korrektur zu d’Arcys Bericht senden lässt.
       
       „Aberwitzig, absurd, schäbig“ nennt das ein New Yorker Medienanwalt im
       Film, der mit dem Sender hart ins Gericht geht: „Schlechtes Management! NPR
       sollte sich schämen.“ Die MoMA-Leitung weigerte sich, mit d’Arcy über den
       Vorfall zu sprechen. Er wurde gefeuert. Der Fall jedoch war nach sieben
       Jahren abrupt aus dem Dornröschenschlaf gerissen worden, zurück ans Licht
       der Öffentlichkeit, ganz zum Missfallen der Museumsverantwortlichen.
       
       „Wir würden heute nicht so über Kunstrestitution sprechen, wenn wir den
       Fall Wally nicht hätten. Es ist der Fall schlechthin“, bestätigt im Film
       der deutsche Provenienzforscher Willi Korte, der lange in den USA geforscht
       hat. Ihn hatten die Bondi-Erben 1997 in New York mit dem Rückgabeantrag an
       das MoMA beauftragt.
       
       ## Intriganter Leopold
       
       Und Rudolf Leopold? Die Bondi-Erben zeigen Briefe, in denen Lea Bondi 1967
       an einen Wiener Kollegen schreibt: „Ich würde alles tun, meinen Schiele
       zurückzubekommen, habe aber das Gefühl, in Wien ist jeder auf Leopolds
       Seite.“
       
       In detailreichen Archivaufnahmen aus dem österreichischen Fernsehen sieht
       man Leopold sich rechtfertigen, wie er nach dem Krieg an das Bild gelangte:
       Wally war unter falschem Namen in die Österreichische Nationalgalerie im
       Belvedere geraten, ohne dass seine genaue Herkunft geprüft worden war.
       
       Bereits 1954 hatte Lea Bondi den Wiener Arzt und Sammler Leopold um Hilfe
       gebeten, als dieser sie in London aufsuchte, um Schiele-Blätter von ihr zu
       kaufen. Dieser jedoch war durchtrieben genug, das Bild 1958 selbst von der
       Nationalgalerie für seine Sammlung – im Tausch gegen ein anderes, weniger
       wertvolles Schiele-Bild – zu erwerben. Eine Win-win-Situation: Leopold
       ignorierte die Herkunft des Bildes, und die Nationalgalerie hatte das
       Kunstwerk durch den Verkauf „weißgewaschen“.
       
       Durch die Beschlagnahmung des Bildes 1998 in New York sah die
       österreichische Bundesregierung plötzlich „akuten Handlungsbedarf“. Eine
       Kommission für Provenienzforschung wurde noch in jenem Herbst eingesetzt
       und ein Restitutionsgesetz auf den Weg gebracht. Denn anders als
       Deutschland war Österreich mit Kunstraubfragen bis dahin äußerst lax
       umgegangen, sah das Land sich doch lange aufseiten der Opfer und nicht der
       Täter.
       
       ## Stiftung Leopold unter Druck
       
       Das Gesetz hatte allerdings einen Haken: Das Leopold Museum war als
       Privatstiftung gar nicht davon erfasst, was zu Kritik Anlass gab, da es
       auch öffentliche Gelder erhält.
       
       Filmemacher D’Arcy sieht eine Menge Erinnerungslücken, „die ein
       Niemandsland schaffen, ein Territorium aus Ignoranz in einer sinnlosen
       Rechtsschlacht am Bundesgerichtshof, zwischen der Regierung des
       Bundesstaats New York und dem Museum of Modern Art“.
       
       Der Druck auf die Stiftung Leopold wurde so groß, dass sie 2010 die
       Bondi-Familie schließlich mit einer Summe von 16 Millionen Euro für das
       Bild entschädigte – und es ins eigene Museum hängte. Der Streit hätte 1998
       mit viel weniger Geld beigelegt werden können. „Ronald Lauder hätte es aus
       der Penny-Schatulle bezahlen können“ und damit seinem Freund Leopold einen
       großen Gefallen getan, sagt d’Arcy.
       
       Zwölf Jahre lag „Wally“ also unter Verschluss. Warum hat es so lang
       gedauert? Und warum würden die Parteien über etwas streiten wollen, was so
       offensichtlich von einem Nazi erbeutet war? Diese Frage sei nie richtig
       beantwortet worden, sagt d’Arcy. Leopold habe sich nicht darum gekümmert,
       wie dieses Bild zu ihm kam, sondern habe sich nur gesagt: Es gehört mir.
       Der Kunstsammler starb 2010, kurz bevor Wally nach Wien zurückkehrte. Dass
       der Fall erst gelöst wurde, als Leopold starb, sei nicht erstaunlich.
       
       ## Zu viele Hüte
       
       Bleibt die Frage nach der Rolle des jüdischen Funktionärs Lauder, der seit
       Jahren für die Rückgabe von geraubtem jüdischem Eigentum kämpft. Warum hat
       er nicht interveniert? „Weil er viele Hüte trägt“, mutmaßt d’Arcy. Für den
       Film „Portrait of Wally“ wollte Lauder nicht kooperieren und war auch jetzt
       für die taz nicht zu sprechen.
       
       Der „Schlüsselfall Wally“ ist also abgeschlossen, Österreich hat ein
       Restitutionsgesetz, wodurch viele Geschädigte ermutigt wurden, hoffnungslos
       aufgegebene Eigentumsansprüche geltend zu machen. Die Aufarbeitung der
       Nazi-Kunstraubzüge ist aber längst nicht abgeschlossen. Der Film bietet ein
       äußerst wichtiges, weil aufschlussreiches und enthüllendes Dokument dazu.
       Einen Verleih in Deutschland oder Österreich hat er noch nicht. Vielleicht
       ist das Thema doch immer noch zu brisant.
       
       28 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Irmgard Berner
       
       ## TAGS
       
   DIR Kunst
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neuer Restitutionsfall in Wien: Schikanen gegen den Sammler
       
       Der Beethoven-Fries von Gustav Klimt ist eine Ikone des Jugendstils. Wie
       Österreich in seinen Besitz kam, ist allerdings eine zweifelhafte
       Geschichte.
       
   DIR Kolumne Lidokino: Ein feuchter Traum vom Filmfestival
       
       Mittwoch wird in Venedig die „Mostra internazionale darte cinematografica“,
       das älteste Filmfestival der Welt, eröffnet. Es überrascht mit tollen
       Filmen.
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: Was treibt Gentrifizierung?: "Wir Künstler sind auch Opfer der Verdrängung"
       
       Künstler haben in der Gentrifizierungsdebatte einen schlechten Ruf:
       "Entdecken" sie ein Viertel, scheinen steigende Mieten die Folge zu sein.
       Oder ließe sich das verhindern?
       
   DIR Popmusiker Konstantin Gropper: Ganz großes Kino
       
       Auf seinem dritten Album schreibt Konstantin Gropper Musik zum Film. Mit
       Talent und Kalkül schafft er ein menschliches und spannendes Werk.
       
   DIR Distanzierung nach Kunstaktion: Occupy bereut Buchverbrennung
       
       Zwei Aktivistinnen verbrennen Buch des New Yorker Occupisten David Graeber
       - auf dem Berliner Bebelplatz. Nun folgt die Entschuldigung.