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       # taz.de -- Besucherandrang: Touristen raus - nach Spandau!
       
       > Schon 2016 könnte Berlin auf 30 Millionen Touristenübernachtungen kommen.
       > Wegen des Unmuts vieler Bürger will Stadtvermarkter Besucher an die
       > Peripherie locken.
       
   IMG Bild: Tourismus in Berlin
       
       Vier junge Menschen mit Tattoos, Gitarre und Sonnenbrillen auf einem Hügel
       im Mauerpark, der Fernsehturm im Hintergrund: So etwas meint der
       Geschäftsführer des Berliner Tourismusvermarkters visitBerlin, Burkhard
       Kieker, wohl, wenn er sagt: „Berlin muss versuchen, authentisch zu
       bleiben.“ Das Mauerpark-Bild projizierte ein Beamer auf die Leinwand neben
       Kieker, als dieser am Montag mit Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz
       (parteilos) die neuesten Entwicklungen der Berliner Tourismusindustrie
       präsentierte.
       
       Berlins Authentizität soll die Entwicklung sichern: 30 Millionen
       Übernachtungen pro Jahr – dieses von Branchenvertretern genannte Fernziel
       wird die Stadt wohl schneller erreichen als gedacht. Schon 2016 könnte es
       so weit sein, prognostiziert die Investitionsbank Berlin in einer Studie,
       und damit vier Jahre früher als bisher angenommen. Im vergangenen Jahr
       zählte Berlin 22,4 Millionen Übernachtungen. Jeden Tag sind
       durchschnittlich 500.000 Gäste in der Stadt, mehr als zehn Milliarden Euro
       Umsatz erzielten Gastgewerbe, Einzelhandel und Dienstleistungssektor 2011.
       275.000 BerlinerInnen lebten vom Tourismus, hat der Senat ausrechnen
       lassen. „Berlin ist ein Magnet insbesondere für junge Kreative. Die
       Berliner Lebensart fasziniert Menschen weltweit“, sagte Kieker.
       
       Bekanntlich freuen sich nicht alle in der Stadt über den Zustrom. Zwar sind
       touristenfeindliche Aufkleber für Kieker das Werk einiger weniger
       Linksalternativer, „die am 1. Mai in Kreuzberg nicht mehr die gewünschte
       Aufmerksamkeit erzeugen“. Trotzdem steigt die Zahl touristenkritischer
       Stimmen, zum Beispiel im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: „Seit zwei,
       drei Jahren bekommen wir täglich Mails, deren Verfasser sich heftig über
       die Entwicklung in ihren Kiezen beklagen“, sagt Bezirksbürgermeister Franz
       Schulz (Grüne). „Wenn sich Massentourismus in Wohngebieten konzentriert,
       dann folgen automatisch Konflikte.“ Wütende Anwohner hätten das Gefühl, es
       ginge vielen Touristen um den „billigsten Saufladen in nächster Nähe und
       nicht um ein Interesse an der Gegend und ihren Bewohnern“. Dieser Ärger sei
       kein Wunder, da der Senat seit Jahren manisch auf die Zahl der
       Übernachtungen blicke, jegliches inhaltliche Konzept für sanften Tourismus
       aber vermissen lasse.
       
       Eine qualitative Weiterentwicklung des Tourismus steht als Ziel im
       rot-schwarzen Koalitionsvertrag. Laut Wirtschaftssenatorin von Obernitz
       will sich der Senat dessen Umsetzung bald annehmen. Marketing-Manager
       Kieker hatte gleich eine konkrete Idee: „Wir müssen auch in Spandau und
       Köpenick Anziehungspunkte schaffen, damit nicht alle Besucher in die
       Innenstadtbezirke rennen.“ Dafür habe die Stadt Talent: „Berlin schafft
       ständig aus sich selbst heraus Attraktionen.“ Solche müssten seine
       Branchenkollegen andernorts erst einmal initiieren: „In Schanghai denken
       die sich dann aus, ein Formel-1-Rennen auszurichten.“
       
       Dabei hatte gerade Schanghai als Gastgeber der Weltausstellung 2010
       bestaunen können, was BerlinerInnen eigeninitiativ anstoßen: Die
       Prinzessinnengärten vom Kreuzberger Moritzplatz waren Teil des deutschen
       Pavillons. Vergangene Woche hatten sich die Initiatoren der Stadtgärten
       darüber beschwert, zwar in aller Welt als Werbeträger „für das schöne und
       wilde Berlin“ fungieren zu dürfen, an ihrem Standort aber keine
       Planungssicherheit zu bekommen; der landeseigene Liegenschaftsfonds suche
       einen Käufer für die Fläche. Gerade die Prinzessinnengärten seien aber ein
       Beispiel dafür, wie die Begegnungen zwischen Anwohnern und Touristen
       gelingen könnten, sagt Bürgermeister Schulz: „Dort kommen viele Besucher
       hin, die riesiges Interesse an der Nachbarschaft und ihrem Projekt haben.“
       
       27 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Puschner
       
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