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       # taz.de -- H.-J. Watzke zur 50. Bundesliga-Saison: „Fußball ist demokratisch“
       
       > Am Freitagabend startet die 50.Bundeliga-Saison. BVB-Geschäftsführer
       > Hans-Joachim Watzke über den Verein, Schwulenfeindlichkeit und Fankultur
       > im deutschen Fußball.
       
   IMG Bild: „Kirchen und Parteien verlieren Zuspruch. Nur im Fußball ist das anders." BVB-Fans feiern Gewinn der Deutschen Meisterschaft.
       
       taz: Herr Watzke, Borussia Dortmund kann gelingen, was in der 50-jährigen
       Bundesligageschichte bisher nur Bayern München und Borussia Mönchengladbach
       schafften: dreimal in Folge Meister werden. Wie machen Sie das? 
       
       Hans-Joachim Watzke: Die dritte Meisterschaft ist für uns gar nicht so
       wichtig. Wichtig ist, dass die mehr als sechs Millionen Dortmund-Fans am
       Ende der Saison das Gefühl haben: Die haben alles getan, was sie konnten.
       Wenn das zu einem Titel reicht – klasse.
       
       Das ist mal wieder die klassische Dortmunder Bescheidenheit: Tiefstapeln
       und immer das Wort Titelverteidigung vermeiden … 
       
       Das ist keine rhetorische Strategie, wie Sie vermuten, sondern Realismus.
       Wir haben als Meister und Pokalsieger nicht mehr investiert, als wir
       eingenommen haben. Vergleichen Sie das mal mit Bayern München, das offenbar
       gewillt ist, seine Transferausgaben durch den Kauf des Spaniers Martinez
       auf bis zu 70 Millionen Euro hochzuschrauben. Da wäre es doch Wahnsinn,
       wenn ich sagen würde: Sicher, wir werden wieder Meister. Die höchste
       Wahrscheinlichkeit auf die Deutsche Meisterschaft liegt in diesem Jahr
       wieder bei Bayern München. Auch wenn es stimmt, dass ich Ihnen das im
       letzten Jahr auch schon erzählt habe.
       
       In der Bundesliga lief es für den BVB großartig – in der Champions League
       gar nicht. Warum? 
       
       Weil wir keine Erfahrung in diesem Wettbewerb hatten. Sebastian Kehl hatte
       acht Champions-League-Spiele, der Rest keine einzige Partie.
       
       Deshalb ist der BVB international so dramatisch untergegangen? 
       
       In der Champions League wird anders Fußball gespielt – vorsichtiger,
       defensiver und in Zweikämpfen viel härter. Wir wollten das alles außer
       Kraft setzen, deswegen sind wir gescheitert. Wir sind in die Spiele
       reingegangen wie in normale Bundesligaspiele. Am Ende lagen wir nicht mit
       3:0 vorn, sondern mit 0:1 hinten. Das war naiv.
       
       Aber wie verhindern Sie, dass sich das jetzt wiederholt? 
       
       Wir könnten fünf international routinierte Spieler verpflichten, dann
       hätten wir deutlich bessere Chancen, in der Champions League zu bestehen.
       Aber das tun wir nicht, weil es unserer Philosophie widerspricht. Wir geben
       der Mannschaft eine neue Chance. Die spielerische Klasse hat sie. Unsere
       Hoffnung ist einfach: Erfahrungslosigkeit wird erledigt durch Erfahrung. Ob
       dazu ein Jahr ausreicht, weiß ich allerdings nicht.
       
       Wie steht es um die Finanzen von Borussia Dortmund? 
       
       Wir haben im abgeschlossenen Geschäftsjahr deutlich mehr als 200 Millionen
       Euro Umsatz gemacht. Das ist nicht schlecht. Als ich vor sieben Jahren
       anfing, waren es 70 Millionen. Wir werden viel in die Mannschaft
       investieren. Aber das muss in einer vernünftigen Relation zu den Einnahmen
       stehen – und die Mannschaft muss es auch wieder einspielen. Wichtig ist,
       den Misserfolg abzusichern. Wenn du Erfolg hast, dann kommt das Geld doch
       von allein. Aber was passiert, wenn wir in der Liga mal nur 59 Punkte
       holen. Das ist entscheidend im wirtschaftlichen Denken – dafür zu sorgen,
       dass Borussia Dortmund auch dann schwarze Zahlen schreibt.
       
       Ihr Toptorjäger Robert Lewandowski, hört man, will nur verlängern, wenn er
       mit Prämien 7,5 Millionen Euro im Jahr beim BVB verdient. Ist das drin? 
       
       Was Sie gehört haben, stimmt so nicht. Aber um Ihre Frage zu beantworten:
       nein! Man muss allerdings immer dazu sagen: derzeit nicht. Ich weiß nicht,
       was noch kommt. Ich hätte mir ja 2004 auch nicht träumen lassen, dass wir
       jetzt mehr als 200 Million Umsatz machen. Das Wichtige ist: Das Verhältnis
       muss stimmen.
       
       Und bei 7,5 Millionen Gehalt für einen Spieler stimmt dieses Verhältnis
       nicht? 
       
       Definitiv nicht.
       
       Weil es das Gehaltsgefüge sprengt? 
       
       Ja. Fußball ist ein Spiel, in dem es extrem um Anreize geht. Es verdient
       nicht jeder das Gleiche. Fußball ist nicht sozialistisch. Aber die
       Proportion muss stimmen.
       
       Dortmund spielt heute Abend gegen Werder Bremen. Die Bremer werden mit dem
       Logo des umstrittenen Hühnerfleischproduzenten Wiesenhof auflaufen.
       Werder-Fans haben dagegen protestiert. Haben Sie dafür Verständnis? 
       
       Ich will mich nicht drücken, aber ich weiß zu wenig über Wiesenhof.
       Dortmund sucht sich seine Sponsoren selber. Wir haben keinen Vermarkter,
       der uns einen Hauptsponsor aufs Auge drücken kann, den wir nicht wollen.
       
       Haben Sie Offerten von Sponsoren abgelehnt? 
       
       Ja, ein halbes Dutzend. Die Namen sage ich aber nicht.
       
       Wo ist für den BVB die Grenze für Sponsoren? Würde der BVB mit dem Logo
       eines Rüstungskonzerns wie EADS auflaufen? 
       
       Ein Rüstungskonzern ist für mich nicht per se schlecht. Einen Sponsor nur
       deshalb abzulehnen, fände ich albern.
       
       Wo ist dann die Grenze? 
       
       Sponsoren, die nachweislich von Kinderarbeit profitieren oder im
       Pornografie-Geschäft sind, kommen zum Beispiel nicht infrage.
       
       Der Fall Bremen-Wiesenhof zeigt aber auch: Die Fans wollen mehr mitreden,
       weil sie sich so stark mit dem Verein identifizieren. Finden Sie das in
       Ordnung? 
       
       Fußball ist in Deutschland ziemlich demokratisch organisiert. Es gibt nicht
       die Finanztycoons, die sich Vereine kaufen und dort regieren. Wer in einem
       Fußballverein Gehör finden will, hat eine einfache Möglichkeit: Mitglied
       werden. Dann kann er mitreden und mitentscheiden.
       
       Brauchen wir eigentlich Fußball? 
       
       Ja, mehr als früher. Die großen Kollektivorganisationen – Kirchen,
       Parteien, Gewerkschaften – verlieren ja Zuspruch. Die Bindungskräfte in der
       Gesellschaft werden schwächer. Nur im Fußball ist das anders. Vom Malocher
       bis zum Vorstandsvorsitzenden gehen alle ins Stadion. Die Bundesliga ist
       ein sinnstiftendes, verbindendes Element dieser Gesellschaft.
       
       Und wohin entwickelt sich die Liga? 
       
       Die Liga muss die Klubs stärken, die sie bewegen. Die Gefahr ist, dass wir
       immer mehr finanzstarke Klubs haben, die nie den Geruch des Künstlichen
       loswerden und die wenig Fans mobilisieren. Wir haben im Pokal gegen den
       Viertligisten Oberneuland gespielt. Dafür sind 15.000 Dortmund-Fans nach
       Bremen gefahren. Das liegt ja nicht direkt vor der Haustür. Für Leverkusen
       oder Hoffenheim würden keine tausend mitfahren. Wenn da noch so ein
       künstlich aufgepumpter Verein, etwa RB Leipzig, hinzukommt, wird es
       schwierig.
       
       Also mehr Geld aus der Liga für Dortmund, weniger für Hoffenheim? 
       
       Nein, es geht nicht um Dortmund. Ich sage: Klubs wie St. Pauli oder der 1.
       FC Köln bewegen emotional mehr als Wolfsburg. Das sind Marken. Wir haben
       einen Vorschlag gemacht, wie die Liga die Geldverteilung neu ordnen kann
       und dabei berücksichtigt, was Klubs für die Bindung der Fans leisten.
       
       Der Plan ist alt. Wird etwas daraus? 
       
       Unser Vorschlag liegt seit einem Jahr bei der DFL. Wir haben eben nur eine
       Stimme von 36.
       
       Viele der Fans, von denen Sie reden, haben das Gefühl, nur noch Störfaktor
       im Geschäft zu sein. Borussia Dortmund hat gegen 50 Fans Stadionverbote
       verhängt, weil die bei der Meisterfeier bengalische Feuer zündeten – obwohl
       die Polizei die Feier als „friedlich“ einstufte. Warum diese Härte? 
       
       Weil das dramatisch gefährlich ist, wenn in dichtestem Gedränge Bengalos
       gezündet und Temperaturen von 1.200 Grad erzeugt werden. Da standen Kinder
       direkt in der Nähe. Ich habe das vom Wagen aus gesehen, und mir ist der
       Atem gestockt. So ein Verhalten können wir doch nicht akzeptieren.
       
       Als sich die Liga mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich traf, waren
       die Fanvertreter außen vor. Warum? 
       
       Da sind doch keine Beschlüsse getroffen worden. Es gab ja noch nicht mal
       Beratungen. Das war ein Auftakt, bei dem sich die Klubs auf die Linie
       „Keine Gewalt, keine Pyrotechnik im Stadion“ verständigt haben. Der Dialog
       mit den Fans kommt jetzt.
       
       Viele Fans, vor allem die Ultras, fühlen sich ausgegrenzt. 
       
       Wir können aber keine Pyrotechnik zulassen. Bengalos sehen schön aus, sind
       aber zu gefährlich. Es ist kein Zeichen mangelnder Fannähe, wenn man 1.200
       Grad heiße Pyros in Menschenmengen für keine gute Idee hält.
       
       Reden Sie denn mit Ultras? 
       
       Ja, ständig. Aber wir haben vereinbart, nicht öffentlich darüber zu
       sprechen.
       
       Im März haben Borussen-Fans im Spiel gegen Bremen ein homophobes Plakat
       gezeigt. Sie haben mit denen später geredet. Hat das Gespräch genutzt? 
       
       Ja, hat es. Erst mal: Schwulenfeindlichkeit ist nicht verhandelbar. Dieser
       Fall ist aber speziell. Die Bremer Fans hatten ein provokatives
       Anti-BVB-Transparent gezeigt. Ein paar BVB-Fans haben mit diesem
       improvisierten Plakat geantwortet, das eine Anspielung auf die schwule
       Bremer Fangruppe war. Die BVB-Fans waren dann selbst darüber entsetzt, wie
       ihr Plakat gewirkt hat.
       
       Werden Sie den ersten schwulen Bundesliga-Spieler, der sich outet, noch
       erleben? 
       
       Glaube ich nicht.
       
       In der Gesellschaft ist Homosexualität viel akzeptierter als vor 20 Jahren.
       Warum im Profifußball nicht? 
       
       Das ist was anderes. Man ist da näher zusammen, im Trainingslager, in der
       Umkleidekabine, im Doppelzimmer. Dass Fußballprofis aus verschiedenen
       Kulturen und Religionen kommen, macht es nicht einfacher. Deshalb kann ich
       jeden homosexuellen Spieler verstehen, der sich nicht outet.
       
       Was würden Sie einem Spieler raten, der sich vielleicht outen will? Lieber
       den Mund zu halten? 
       
       Kommt drauf an, wo der Vorteil für ihn liegt, wenn er sich outet. Wenn er
       damit eine gesellschaftspolitische Debatte auslösen will, würde ich sagen:
       Dann mach es. Aber du musst stark sein. Sehr stark. Da kämen Hunderte
       Medienanfragen aus der ganzen Welt monatlich. Bundesligaprofis müssen
       hochkonzentriert sein.
       
       Hätte ein Spieler, der sich outet, Zeit, sich ordentlich aufs Training
       vorzubereiten? 
       
       Kaum.
       
       24 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR S. Reinecke
   DIR T. Haselbauer
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Fußball-EM 2024
       
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