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       # taz.de -- Wohnen in Bremen: Die Angst vor dem Auszug
       
       > Die rot-grüne Koalition will die Flüchtlingsheime auflösen. Doch trotz
       > der Enge empfinden viele BewohnerInnen diese als sichere Orte und wollen
       > bleiben.
       
   IMG Bild: Kaum Platz für Persönliches: Gegen Massenunterbringung demonstrierten Flüchtlingen in Bremen im Mai 2011 vor dem Wohnheim in der Ludwig-Quidde-Straße.
       
       Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das Viertel kämpft
       gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse werden
       geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen in
       armen und reichen Vierteln? Die taz beleuchtet, wie BremerInnen wohnen und
       sich der urbane Raum verändert. 
       
       Wenn die fünfjährige Zeinab von „zu Hause“ spricht, dann meint sie: Zwei
       Zimmer im ersten Stock des ehemaligen Bauamts in Bremen-Vegesack. 23
       Quadratmeter für sie, ihren drei Jahre älteren Bruder Basem und ihre
       Eltern, Jihad und Hiba. Vor einem Jahr sind sie als Verfolgte des syrischen
       Regimes nach Deutschland geflohen, genau solange leben sie in dem
       Flüchtlingsheim in der Johann-Lange-Straße in Bremen-Nord. Doch nächste
       Woche ziehen sie um, in eine Vier-Zimmer-Wohnung in Sankt Magnus, 60
       Quadratmeter größer als die Räume, die sie jetzt bewohnen. „Eine gute
       Wohnung in einer guten Gegend, so wie ich es mir gewünscht habe, mit Schule
       und Kindergarten in der Nähe“, sagt der 35-jährige Jihad Matouk, der anders
       heißt, aber aus Angst vor Racheakten darum gebeten hat, ihm, seiner Frau
       und den Kindern andere Namen zu geben.
       
       ## Ein Auszug löst nicht alles
       
       Dass die Familie jetzt schon die Sammelunterkunft mit Gemeinschaftsküchen
       und -toiletten verlassen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Bis 2011
       mussten Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Bremen mindestens drei Jahre in
       den Einrichtungen leben, die offiziell „Übergangswohnheime“ heißen. Jetzt
       sind es noch 12 Monate und nach dem Willen der rot-grünen Koalition sollen
       die Wohnheime ganz aufgegeben werden. Flüchtlingsinitiativen fordern dies
       schon lange. Der Zwang, mit Angehörigen, aber auch Fremden auf engstem Raum
       zusammenzuleben, mache krank und hindere am Lernen, argumentieren sie.
       Dieser Argumentation schloss sich in diesem Jahr die Bremer SPD an. Auf
       ihre Initiative beauftragte im April die Bremische Stadtbürgerschaft den
       Senat, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Frist auf drei Monate verkürzt
       werden kann.
       
       Doch bereits jetzt zeigt sich, wie schwer dies umzusetzen sein wird. Zum
       einen gibt es wenig geeignete Wohnungen. „Deutsche haben es schon schwer,
       etwas zu finden, Ausländer erst recht“, sagt Mageda Abou-Khalil, die
       Leiterin des Flüchtlingsheims in der Johann-Lange-Straße. Die günstigen
       Wohnungen liegen in Problemvierteln wie in Bremen-Nord in der Grohner
       Dühne, einer Hochhaussiedlung am Bahnhof Vegesack.
       
       Viele kämen zunächst dort unter, erzählt Abou-Khalil. „Die meisten wollen
       aber nach kurzer Zeit wieder weg.“ Jene Wohnungen, in denen man gerne
       länger bleibt, sind oft zu teuer. Höchstens 600 Euro inklusive Betriebs-
       aber ohne Heizkosten durfte die Wohnung kosten, die Jihad Matouk nach
       sechsmonatiger Suche und vielen Misserfolgen aufgetrieben hatte. Sie lag
       aber zehn Euro darüber. Der auszahlenden Behörde war dies zu viel. Dass sie
       sie trotzdem mieten können, ist der Heimleiterin Abou-Khalil zu verdanken.
       Sie überredete die Vermieterin, den Mietpreis um die strittigen zehn Euro
       zu senken.
       
       In dieser Geschichte zeigt sich der zweite Haken in der gut gemeinten Idee,
       den Flüchtlingen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, in dem sich
       nicht drei Fremde eine Dusche und manchmal auch das Zimmer teilen müssen.
       Und das Wohnzimmer gleichzeitig Schlaf-, Arbeits- Ess- und in einigen
       Fällen auch Kinderzimmer ist. Denn ohne Hilfe von Menschen, die Deutsch
       sprechen und sich hier auskennen, findet niemand eine Wohnung. Und selbst
       dann: Auf Übersetzungshilfe sind die meisten weiter angewiesen.
       
       Deshalb ist Mageda Abou-Khalil in ihrem Büro auch selten alleine. Jetzt, im
       Fastenmonat Ramadan, wenn viele HeimbewohnerInnen länger schlafen, hat sie
       vormittags etwas Ruhe, um Verwaltungsaufgaben nachzukommen, für ihre
       KlientInnen mit Behörden oder Ärzten zu telefonieren. Spätestens gegen
       Mittag ist der Raum im Erdgeschoss voll. Ein junger Mann, ein ehemaliger
       Bewohner, sagt, er sei „zu Besuch“. Abou-Khalil lacht. „Von wegen Besuch“,
       sagt sie und deutet auf Briefe, die er bei sich hat.
       
       Andere kommen der Geselligkeit wegen. Auch Jihads Frau Hiba Matouk hat
       angekündigt, trotz eigener Wohnung jeden Tag vorbeizukommen. Wie so viele
       ist sie Abou-Khalil dankbar für die Unterstützung. Sie habe die ersten zwei
       Monate nur geweint, ihre Familie in Syrien vermisst, erzählt die
       Heimleiterin über die Frau. Wer ihr in dieser Zeit beistand? Die
       Dreißigjährige lächelt und zeigt auf Abou-Khalil. „Sie.“
       
       Trösten, Streit schlichten, zwischen Eltern und Kindern vermitteln: Dies
       gehört neben der Hilfe bei Behördenangelegenheiten und der Wohnungs- und
       Arbeitssuche genauso zu Abou-Khalils Aufgaben wie die Kontrolle der
       Gemeinschaftsräume und das Durchsetzen von Putzplänen.
       
       Seit 1993 ist die 51-Jährige in der Johann-Lange-Straße. Sie, die selbst
       aus dem Libanon stammt und deshalb arabisch spricht, kam über ihre
       Mitarbeit in Flüchtlingsinitiativen zu dem Job. Natürlich, sagt sie, sei es
       für sie ein Problem, wenn das vom Arbeiter-Samariter-Bund betriebene Heim
       tatsächlich geschlossen wird. „Ich bin schon so lange hier, ich kennen
       jeden Winkel.“ Und die Johann-Lange-Straße befinde sich anders als viele
       andere Heime nicht in einem Gewerbegebiet, sondern in einer guten Lage,
       Bahnhof, Schulen und Kindergärten seien nahe. Das Heim selbst liegt am Ende
       der schmalen Straße mit seinen bürgerlichen Einfamilien-Häusern. Hinter dem
       Haus gibt es einen großen Garten: Die Kinder spielen hier oder im
       Gemeinschaftsraum direkt neben dem Büro der Heimleiterin.
       
       Ja, auch hier müssen die BewohnerInnen über lange, im Winter dunkle Flure
       zu ihren Zimmern laufen. Immerhin sind diese mit Kinderzeichnungen von
       Bremer Sehenswürdigkeiten geschmückt. So etwas fehlt in den karg
       ausgestatteten Küchen, vor den Schränken hängen Vorhängeschlösser. 63
       Menschen, darunter 14 Kinder zwischen sieben Monaten und 15 Jahren leben
       hier, verteilt auf 37 Zimmer in drei Stockwerken. Viel Platz für
       Persönliches bleibt da nicht: Acht Quadratmeter stehen laut
       Verwaltungsvorschrift einem Haushaltsvorstand zu, allen weiteren
       Haushaltsmitgliedern nur noch jeweils vier.
       
       ## Beratung bleibt nötig
       
       Dennoch wollen viele im Wohnheim bleiben. Auch die Matouks wollten zunächst
       gar nicht ausziehen, sondern erst die Sprache noch besser lernen, erzählt
       die Heimleiterin. Das Problem ist, dass die Flüchtlinge erst dann einen
       Sprachkurs finanziert bekommen, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis haben.
       Das kann Monate oder Jahre dauern. Bei Jihad Matouk ging es vergleichsweise
       schnell, aber er spricht nach ein paar Monaten Deutschunterricht noch nicht
       so gut, um Verhandlungen führen zu können. Aber die Sozialbehörde habe die
       Plätze gebraucht und im Februar mehreren BewohnerInnen eine dreimonatige
       Auszugsfrist gesetzt.
       
       Selbst einer älteren Frau, die zu 80 Prozent schwer behindert ist. „Die saß
       weinend hier und fragte, ’warum wollt ihr mich loswerden, was habe ich
       getan?‘“, erinnert sich Abou-Khalil. Zum Glück habe die Behörde im Mai
       einen Rückzieher gemacht und setzt jetzt wieder auf Freiwilligkeit. Aber
       selbst wer froh über eine eigene Bleibe ist: Ohne eine ambulante Beratung,
       da sind sich Abou-Khalil und die Flüchtlingsinitiativen einig, werden die
       Menschen aufgeschmissen sein.
       
       19 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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