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       # taz.de -- Kommentar Julian Assange: Er sollte sich stellen
       
       > Assange sollte sich den schwedischen Behörden stellen. Wenn die Vorwürfe
       > haltlos sind, ist er frei. Und wird er dann wegen Wikileaks bedroht,
       > gebührt ihm Solidarität. Aber nur dann.
       
   IMG Bild: Die Regierung Ecuadors und Superchecker weltweit meinen zu wissen: die Vorwürfe gegen Assange sind ein Fake.
       
       Das war großer Jubel am Donnerstag, als Ecuadors Regierung bekannt gab,
       Julian Assange „diplomatisches Asyl“ zu gewähren. Mit keinem Wort war
       Außenminister Ricardo Patiño auf das eingegangen, was Assange in Schweden
       eigentlich vorgeworfen wird – sexuelle Nötigung und Vergewaltigung von zwei
       Frauen.
       
       Sowohl der Regierung Correa als auch allen Supercheckern, die sich weltweit
       in Internetforen über den Fall auslassen, ist von vornherein klar, dass die
       gegen Assange gerichteten Vorwürfe ein Fake sind, um den Robin Hood der
       Informationsbeschaffung in die Fänge der USA zu treiben. Dort, so
       Außenminister Patiño, drohten Assange Folter, ein unfaires Verfahren und
       womöglich die Todesstrafe.
       
       Wir lernen daraus Folgendes:
       
       Erstens: Wenn jemand sich um die Pressefreiheit verdient gemacht hat, ist
       er gegenüber Vergewaltigungsvorwürfen als immun zu behandeln, denn es kann
       sich nur um Verleumdung handeln.
       
       Zweitens: Dass Assange sich in Großbritannien, immerhin dem engsten
       Verbündeten der USA, ganz rechtsstaatlich durch alle Instanzen klagen und
       gegen die Auslieferung wehren konnte, ist nicht so wichtig.
       
       Drittens: Dass seine Unterstützer, die viel Geld für seine Kaution
       aufgebracht hatten, von seinem Gang in Ecuadors Botschaft komplett
       überrumpelt wurden und dem Schritt mehr oder weniger offen kein Verständnis
       entgegenbrachten, ist auch nicht so wichtig.
       
       Viertens: Dass Schweden – wie alle EU-Staaten – nicht in Länder ausliefert,
       wenn dem Beschuldigten dort die Todesstrafe drohen könnte, stimmt
       wahrscheinlich nicht.
       
       Fünftens: Dass Ecuadors Regierung, die einen autoritären Umgang mit der
       eigenen Presse pflegt, sich hier als Gralshüter der Menschenrechte
       aufspielt, um im Grundkanon – historisch berechtigter! –
       lateinamerikanischer US-Ablehnung ein paar billige Populismuspunkte zu
       sammeln, tut ebenfalls nichts zur Sache.
       
       Mit Verlaub: Das ist doch alles Mist!
       
       Unbestritten: Assange und Wikileaks haben mit der Veröffentlichung der
       vielen Dokumente zum Afghanistan- und Irakkrieg unendlich viel dazu
       beigetragen, dass Skandale, die die US-Regierung gern verheimlicht hätte,
       bekannt geworden sind. Und ja: Assange sollte besser nicht in die USA
       reisen.
       
       ## Den eigenen Maßstäben gerecht werden
       
       Allerdings: Selbst wenn er je dort vor Gericht gestellt werden sollte,
       würde es ihm nicht so gehen wie seinem mutmaßlichen Informanten Bradley
       Manning, der isoliert in Militärgewahrsam sitzt und auf sein Urteil wartet.
       Assange ist kein Militärangehöriger, er kann davon ausgehen, dass bei so
       einem Prozess vor einer zivilen Strafkammer die ganze Welt zusähe; und er
       hätte mit Baltasar Garzón einen der weltweit gewieftesten Juristen an
       seiner Seite. Trotzdem: Das vermeiden zu wollen, kann man ihm nicht
       vorwerfen.
       
       Nur: Darum geht es überhaupt nicht. Zu Recht reagiert Schwedens
       Justizminister unangenehm berührt auf den Vorwurf, Schweden würde Assange
       so eben mal an die USA überstellen. So wenig, wie Ecuador eine Kolonie
       Großbritanniens ist, ist Schweden eine Kolonie der USA, und wie in
       Großbritannien gibt es auch in Schweden Gesetze, die Assange schützen.
       
       Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange mögen berechtigt sein oder nicht:
       Das herauszufinden, ist Aufgabe der Justiz, und solange er nicht verurteilt
       ist, hat Assange als unschuldig zu gelten. Bei jedem anderen, der sich
       solchen Ermittlungen – es gibt bislang keine Anklage – durch Flucht
       entzieht, würde die Öffentlichkeit vermuten, dass er etwas zu verbergen
       hat. Assange hingegen wird die Story des politisch Verfolgten abgenommen.
       
       Die Veröffentlichungen von Wikileaks haben dazu beigetragen, hinter
       Kulissen zu schauen. Laut vorgetragene Werte entpuppten sich als Betrug an
       der Öffentlichkeit, behauptete Rechtsstaatlichkeit als brüchig und
       ausgehöhlt. Die Veröffentlichungen waren auch ein Ordnungsruf: Zurück zu
       den Regeln!
       
       Es ist nicht zu viel verlangt, dass auch Assange diesen Maßstäben gerecht
       wird. Er sollte sich stellen und den schwedischen Ermittlungsbehörden Rede
       und Antwort stehen. Wenn sich die Vorwürfe als haltlos erweisen, ist er ein
       freier Mann. Sollte er dann aufgrund seiner Wikileaks-Tätigkeit bedroht
       werden, gebührt ihm alle Solidarität in Worten und Taten. Aber nur dann.
       
       17 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
       ## TAGS
       
   DIR Guantanamo
       
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