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       # taz.de -- Das Kaleidoskop der Entdecker: Forscher haben festgestellt
       
       > Ein buntes Sammelsurium von neuen Nachrichten aus der Welt der
       > Wissenschaften – zwischen Anthropologie und Sozialwissenschaften.
       
   IMG Bild: Wissenschaft ist, was Wissen schafft, finden diese beiden Experten.
       
       Calvinisten finden Gewinn-Gen: Philipp Köllinger von der Erasmus
       Universität Rotterdam und sein Team „wirtschaftswissenschaftlicher
       Genforscher“ macht sich anheischig, jene „Mischung aus verschiedenen Genen“
       zu finden, die „Risikofreude und Kreativität“ zu einer
       „Unternehmerpersönlichkeit“ bündeln. Sie wollten sich nicht länger nur auf
       Modelle der Spieltheorie und der Statistik verlassen, „sondern tiefer
       vordringen in die Menschen – bis in ihre Zellen“. Zuvor hatten zwei
       Soziobiologen der University of California bereits postuliert, dass
       Menschen mit einer bestimmten Genmutation ein 14 Prozent höheres Risiko für
       Kreditkartenschulden haben, dem sogenannten Schulden-Gen.
       
       ## CHEMIE
       
       Kein richtiges Leben auf dem Mars? Vor 36 Jahren landete die erste
       US-Raumsonde auf dem Mars, heraus kam dabei offiziell: „Es gibt kein Leben
       auf dem Mars.“ Wohl aber Methan, das die Astrologen weiterhin als Indiz für
       mögliches Leben auf dem Planeten deuteten. Das Max-Planck-Institut für
       Chemie in Mainz hat nun aber postuliert, dass das Methan nicht bakteriell,
       sondern in einem geochemischen Prozess entstand. Die Forscher hatten einen
       Meteoriten mit einer dem Mars ähnlichen Zusammensetzung analysiert. Und der
       setzte Methan frei, als sie ihn – quasi „unter Marsbedingungen“ – mit
       „starkem ultravioletten Licht“ bestrahlten.
       
       ## BOTANIK
       
       Kooperieren oder konkurrieren: Mit den Flechten, die nahezu bis in die
       Antarktis überall auf der Welt vorkommen, begann in Russland Ende des 19.
       Jahrhunderts die Symbioseforschung: Diese Pflanzen bestehen aus einer
       Kooperation zwischen einem Pilz und Bakterien (Blaualgen). Inzwischen hat
       man Tausende von Symbiosen – auch zwischen Tieren und Pflanzen (etwa
       Orchideen und bestimmte Wespenarten) untersucht, die Flechte bleibt in
       dieser Hinsicht jedoch der „Nummer-eins-Modellorganismus“, über sie wird
       weitergeforscht. Gleichzeitig werden Millionen Euro ausgegeben, um
       Hausmauern- und -dächer von Flechten zu befreien.
       
       Ein Team um Ulrich Pöschl vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz hat
       nun herausgefunden, dass Flechten im globalen Stoffhaushalt und für das
       Klima eine wichtigere Rolle spielen als bisher angenommen. Sie bedecken
       schätzungsweise 30 Prozent der Landflächen und fixieren etwa die Hälfte des
       Stickstoffs, der an Land auf natürliche Weise gebunden wird, gleichzeitig
       nehmen sie jährlich so viel Kohlendioxid auf, wie durch Waldbrände und
       andere Biomasse-Verbrennungen entstehen.
       
       Über die Symbioseforschung von den Anfängen bis zur Gegenwart
       veröffentlichte der FU-Biologe Ekkehard Höxtermann bereits 2007 eine
       umfangreiche Aufsatzsammlung: „Evolution durch Kooperation und
       Integration“.
       
       ## SOZIALWISSENSCHAFT
       
       Irrationales und Rationales am Ende identisch? Wenn der Soziologe Jürgen
       Habermas vermutet, Religiosität sei ein Widerstand gegen den
       „wissenschaftlich-technischen Fortschritt“, dem sich die „Modernisierer“
       weiterhin verpflichtet fühlen, dann müsse man aber auch sehen, „dass sich
       wissenschaftliches und politisches Denken gar nicht groß vom religiösen
       Denken der Massen unterscheidet“. Dies sagte der Leiter des
       Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Wolfgang Streeck, in der
       Zeitschrift Max Planck Forschung in seinem Artikel über die „Die Macht der
       Unschärfe“.
       
       Begründung: Indem die Experten Optimismus verbreiten und Panikmache
       vermeiden, dämpfen und schönen sie ihre Argumente. Daraus folgert Streeck:
       1. „Gesundbeterei kann die soziale Welt tatsächlich heilen.“ 2. Durch
       Verschönerungs-/Beschwichtigungstendenz können sich „Politik und
       Wissenschaft – und deren positivistische Spielart – in Magie verwandeln“.
       3. „Politiker neigen ohnehin zu einem magischen Weltbild.“ 4. „Der Abstand
       zwischen Theorie und Intuition dürfte geringer sein, als viele
       Sozialwissenschaftler glauben möchten.“
       
       ## ORNITHOLOGIE
       
       Gentrifizierung aus der Luft? Nicht nur McDonald’s und Starbucks planen
       ihre Expansion per Satellit und GPS von oben – auch die Krähen. Berliner
       „Bird Watcher“ wollen festgestellt haben, dass diese wehrhaften
       Fleischfresser die vegetarischen Tauben in der Stadt vertreiben – und auch
       bejagen. Der Naturschutzbund (Nabu) bestätigt dies insofern, als er davon
       ausgeht, dass nur noch etwa 10.000 Tauben in Berlin leben, 2001 waren es
       noch fast 30.000.
       
       Lars Lachmann vom Nabu erklärt die Zunahme der Krähen in Berlin mit ihrer
       „Verstädterung“. Die Bestände würden zwar nicht zunehmen, aber auf dem Land
       werden die Lebensbedingungen für die in Ostdeutschland verbreiteten
       Nebelkrähen und die im Westen verbreiteten Rabenkrähen immer schlechter
       wegen der intensiven Landnutzung.
       
       ## MIKROORGANISMEN
       
       Alles wird gut, alles wird Energie: Der Fachbereich Bioengineering der FH
       Campus Wien hat Milchsäurebakterien gefunden, mit denen sich
       „verunreinigtes Glycerin“, das bei der Herstellung von Biodiesel (etwa aus
       Raps oder Mais) anfällt, zu hochwertigem „Propandiol“ umwandeln lässt. Die
       bisher durch Hydrolyse aus Erdöl gewonnene Flüssigkeit wird als Weichmacher
       in Kosmetika und Zigaretten verwendet. Mit dem zum Patent angemeldeten
       Verfahren wird der Anbau nachwachsender Rohstoffe zur Energiegewinnung
       lukrativer.
       
       Dadurch werden jedoch künftig noch mehr Pflanzen als Rohstoff für die
       Industrie statt zur Nahrungsmittelproduktion angebaut. Die Grünen, die
       diese Erdölsubstitution anfangs propagierten, wollen dabei nun
       detaillierter vorgehen – und speziell den Anbau von Kleegras für
       Biogasanlagen fördern, wie ihre Bundestagsfraktion gerade verlauten ließ.
       2012 gilt jedoch weiterhin wegen der Trockenheit in vielen Teilen der Welt:
       „Der Preis ist heiß für Mais.“
       
       ## ANTHROPOLOGIE
       
       Macht Not gemein oder gemeinsinnig? Zwar bezeichnet der Darwinismus im
       Wesentlichen wirtschaftliche Selbstsucht, nicht zufällig heißt das
       berühmt-berüchtigte Buch des „Erzdarwinisten“ Dawkins: „Das egoistische
       Gen“. Seit der Dotcom-, der Finanz- und der Eurokrise kümmern sich jedoch
       die „Life Scientists“ wieder vermehrt um die Erforschung des „Altruismus“
       und der „Empathie“ in der Tier-, Menschen-, Pilz- und Pflanzenwelt. Berühmt
       wurde inzwischen das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre
       Anthropologie mit ihrer experimentellen Altruismusforschung bei
       Schimpansen. Ihr Ergebnis: Sie helfen nur quasi halbherzig, also
       kurzfristig, ihren Artgenossen.
       
       Gründlicher geht der holländische Primatenforscher Frans de Waal den
       Altruismus bei Menschenaffen an. 2011 veröffentlichte er dazu seine auf
       Beobachtungen basierende Studie: „Das Prinzip Empathie“. Forscher der
       Universität Chicago fanden derweil heraus, dass auch Ratten altruistisch
       handeln: Wenn sie eine Ratte inmitten einer größeren Gruppe in einen
       Behälter steckten, „lernten die anderen Ratten schnell, die Gefängnistür zu
       öffnen. Sie halfen ihren Gefährten hinaus, öffneten jedoch nie die Tür für
       Stoffmäuse oder andere Gegenstände.“
       
       Zuvor hatten sich Schweizer Ökonomen das Thema „Altruismus“ vorgenommen.
       Zur Begründung ihrer Konferenz hieß es: Vertrauen, Altruismus und Mitgefühl
       seien in ihren Augen wichtige Bedingungen für Wohlstand und
       wirtschaftlichen Erfolg.
       
       Neuerdings werden auch Kinder auf Altruismus abgeklopft. Das
       Online-Wissenschaftsmagazin „Plos One“ veröffentlichte dazu eine Studie der
       US-Anthropologin Jessica Sommerville und des Leipziger Max-Planck-Forschers
       Marco Schmidt. Zusammengefasst heißt es darin: „Der Mensch ist gar nicht
       das egoistische Wesen. Schon im Alter von 15 Monaten haben Babys ein Gefühl
       für Fairness und Gerechtigkeit.“ Zwar meint die Genetikerin und
       Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard nach wie vor, dass „die
       Natur in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert.“ Aber wie lange noch?
       
       ## PRIMATENFORSCHUNG
       
       Affen auf der Höhe der Zeit: Das Karisoke Research Center in Ruanda wurde
       1967 von der Gorillaforscherin Dian Fossey gegründet. Sie verteidigte
       „ihre“ dort im Naturpark wild lebende Gorillagruppe derart rabiat – schoss
       auf die Kühe der Bauern, verprügelte junge Hirten und zerstörte die Fallen
       von Wilderern –, dass sie 1985 ermordet wurde – vermutlich von Wilderern.
       Die jetzigen Primatenforscher im Karisoke Research Center beobachteten nun,
       wie drei männliche Gorillas mehrere Fallen von Wilderern auseinandernahmen,
       und zwar äußerst fachmännisch.
       
       Die Fallen waren für sie als Erwachsene zwar nicht gefährlich, jedoch sei
       wenige Tage zuvor ein kleiner Gorilla in solch einem „Schnappseil“ zu Tode
       gekommen, nachdem er sich beim Versuch, daraus zu entkommen, die Schulter
       gebrochen hatte. Das habe bei der an sich friedlichen Sippe wohl das Fass
       zum Überlaufen gebracht.
       
       17 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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