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       # taz.de -- Kolumne Besser: We love Dosenpfand
       
       > Vertreibung trifft nicht immer die Falschen. Und ein bisschen
       > Gentrifizierung hat noch keinem Stadtteil geschadet.
       
   IMG Bild: Was aber ist das Gegenteil von Gentrifizierung? Protest in Berlin-Kreuzberg
       
       Erinnert sich noch jemand, welch düsterer Ort der Berliner Stadtteil
       Friedrichshain in den neunziger Jahren war? Gott hatte diese Gegend (halb
       Stasi, halb Nazi oder beides in einem) sicher nie betreten. Dafür waren
       andere gekommen: Hausbesetzer und Partygänger, viele von ihnen aus dem
       Westen zugereist, die nach und nach den Stadtteil wenn schon nicht in einen
       Garten Eden, so doch in einen halbwegs zivilisierten Ort verwandelten.
       Natürlich vertrieben sie die „alteingessene Bevölkerung“. Und sie taten
       ihre Sache gut.
       
       Gar nicht so lange her ist der Wandel des Bezirks Neukölln. Vor zehn Jahren
       noch ein Reservat der Hisbollah und des Schultheiß-Proletariats, wo die
       Restaurants „al-Quds-Falafel-Imbiss“ hießen und die Bars „Zur warmen
       Stube“. Auch hier waren es junge, sich oft als alternativ verstehende
       Leute, Künstler, Studenten, Linke, die „Kinderarmee der Stadtsanierung“,
       wie Jörg Sundermeier sie einmal [1][genannt hat], die sich als Avantgarde
       der Gentrifizierung betätigten. Auch hier wurden „Alteingessene“
       vertrieben. Vertreibung aber trifft, die deutsche Geschichte lehrt es,
       nicht immer die Falschen.
       
       Den „alternativen“ Kneipen und Ateliers folgten die Galerien, schließlich
       die Läden, die veganes Eis, Holzspielzeug und anderen Utensilien für das
       spaßfreie Leben verkaufen. Und dennoch Neukölln wurde zu einem passablen
       Stadtteil. Kein Ort zum Sterben, aber einer zum Leben, was auch nicht zu
       unterschätzen ist.
       
       Das zeigt: Ein bisschen Gentrifizierung hat noch keinem Stadtteil geschadet
       – wie auch, um das schon wieder erledigte [2][Großthema] dieses Sommers
       aufzugreifen, ein bisschen Körperverletzung noch keinem Mann geschadet hat.
       Ganz im Gegenteil, meistens wurden die Dinge durch die Gentrifizierung
       besser. Ein verlässliches Verfahren, um den Gehalt eines Begriffes zu
       überprüfen, besteht in der simplen Frage nach dem Gegenteil. Was aber ist
       das Gegenteil von Gentrifizierung? Verslumung? Und was ist dann das
       Idealziel? Das Wohnen mit Küchendusche, Außenklo und Schlafburschen?
       
       ## Perverse Liebeserklärung
       
       Jetzt ist – nicht nur, aber besonders in Berlin – wieder viel von
       Gentrifizierung viel die Rede. Wobei oft vergessen wird, dass ein Stadtteil
       viel häufiger von innen verändert wird, als dass er von außen annektiert
       würde, dass sich also Lebensstile der „eingessenen Bewohnern“ wandeln und
       es meist nicht irgendwelche Investoren aus Süddeutschland oder Südeuropa
       sind, die den „gewachsenen Stadtteil kaputtmachen“.
       
       Lustigerweise sind es genau die Leute, die selbst einst auf der Suche nach
       einem aufregenderen Leben nach Neukölln oder Kreuzberg zogen und sich diese
       Stadtteile aneigneten, also andere Leute vertrieben, die sich nun über die
       böse Gentrifizierung beklagen. Oder sie verlassen entnervt ihren Stadtteil
       und ziehen in ärmere Gegenden wie an den Rand von Neukölln oder in den
       Wedding, um dort denselben Prozess in Gang zu setzen.
       
       Andere [3][wehren sich] und veranstalten Proteste, auf denen sie so putzige
       Transparente wie „We love Miete“ durch die Stadt tragen – was eine ziemlich
       perverse Liebeserklärung ist und obendrein die schwachsinnigste Parole der
       jüngeren Protestgeschichte. Nicht einmal in Stuttgart wurden jemals
       Transparente mit der Aufschrift „We love Kopfbahnhof" gesichtet. „We love
       Miete“ ist so, als würden Kreuzberger Flaschensammler mit „I love
       Dosenpfand“-T-Shirts durch die Straßen ziehen.
       
       Um nicht missverstanden zu werden: Weniger Miete zu zahlen ist besser als
       zu viel Miete zu zahlen. Noch besser aber ist es, gar keine Miete zu
       zahlen. Das kann man, indem man Häuser besetzt (wofür die [4][Umstände]
       nicht günstig sind) oder indem man welche kauft (wofür die [5][Umstände]
       günstig sind).
       
       *** 
       
       Besser: Besser kaufen und die Gentrifizierung in die eigenen Hände nehmen.
       
       14 Aug 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://jungle-world.com/artikel/2008/34/22492.html
   DIR [2] /!97428/
   DIR [3] /Gentrifizierungsgegner-in-Berlin/!98829/
   DIR [4] /!96432/
   DIR [5] http://www.test.de/Baufinanzierung-3-Prozent-Zins-auf-Dauer-4343004-4345484/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
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