URI: 
       # taz.de -- Die Bedeutung fossiler Brennstoffe: Öl und Gas sind zu schade zum Heizen
       
       > Der Weltzukunftsrat hat ausgerechnet, dass fossile Brennstoffe zu
       > wertvoll für die Energieversorgung sind. Die chemische Industrie braucht
       > sie vielfach als Grundstoff.
       
   IMG Bild: Gas ist zu wertvoll zum Verfeuern, sagt der „Weltzukunftsrat“.
       
       BERLIN taz | Mit einem neuen Blick auf alte Probleme will der
       „Weltzukunftsrat“ (World Future Council, WFC) die Debatte um die
       internationale Energiewende voranbringen. Die fossilen Energieträger Öl,
       Gas und Kohle sind nach Ansicht des WFC viel zu wertvoll als Grundstoffe
       für die chemische Industrie, um sie zu verfeuern. Zudem verursache die
       Vernichtung dieser Ressourcen durch Verbrennung weltweit jeden Tag einen
       Schaden von rund 7 Milliarden Euro.
       
       Das ist das Ergebnis eines bisher unveröffentlichten Papiers des WFC, das
       der taz vorliegt. Wirtschaftswissenschaftler stehen den Resultaten
       allerdings kritisch gegenüber. Der Zukunftsrat ist eine einflussreiche
       Gruppe von Wissenschaftlern und Politikern rund um den Stifter des
       alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll.
       
       Das WFC-Papier „Die monetäre Bewertung der Nichtnutzung von erneuerbaren
       Energien“ geht davon aus, dass Öl, Gas und Kohle durch Verbrennung in der
       Zukunft nicht mehr für „vielfältige, nichtenergetische Produktionsprozesse“
       zur Verfügung stehen.
       
       So basieren etwa viele Artikel der chemischen Industrie, die Herstellung
       von Kunststoffen, Arzneien oder Computerteilen, auf Ölprodukten, die nicht
       durch andere Stoffe ersetzt werden können. Bei der Strom- und
       Wärmeproduktion kann statt Öl, Gas und Kohle allerdings durchaus Energie
       aus Wind, Sonne und Wasserkraft eingesetzt werden, argumentiert der WFC.
       Bislang wurden die Kosten des fossilen Energiesystems vor allem als die
       Schäden aus Klimawandel und Luftverschmutzung berechnet.
       
       ## Realsitisches Preisschild ausweisen
       
       Solche „externen Kosten“, die sich kaum in der Preisgestaltung für Öl, Gas
       und Kohle wiederfinden, betragen nach verschiedenen Kalkulationen zwischen
       14 und 300 Dollar pro Tonne Kohlendioxid. Mit der aktuellen Berechnung
       versucht der WFC jetzt zum ersten Mal, für den Verlust von künftigen
       Rohstoffen ein realistisches Preisschild auszuweisen.
       
       Bei ihrer Abschätzung kommen die WFC-Aktivisten auf enorme Summen. Sie
       haben Deutschland als hochentwickeltes Industrieland zum Maßstab genommen:
       Hier werden bis zu 17 Prozent des Öls, bis zu 5 Prozent des Gases und bis
       zu 0,8 Prozent der Kohle zu anderen Zwecken als dem Verfeuern eingesetzt.
       Rechnet man diese Verhältnisse weltweit hoch, kommt man auf einen Wert von
       bis zu 2,7 Billionen Euro jährlich.
       
       Die Summe müsste in die aktuellen Marktpreise als Schaden für die Zukunft
       eingerechnet werden, meinen die Autoren der Untersuchung. „Jeder Tag, an
       dem dies nicht geschieht und wertvolle fossile Rohstoffe durch rein
       energetische Verwertung vernichtet werden“, heißt es in der Studie,
       „verursacht einen zukünftigen Nutzerausfall von etwa sieben Milliarden Euro
       durch die Zerstörung von Naturkapital“.
       
       Die Rechnung berücksichtigt nicht den künftigen Preisanstieg für die
       fossilen Energien – aber auch nicht, dass der Preis für Öl, Gas und Kohle
       drastisch sinken würde, wenn sie nicht mehr als Brennstoffe nachgefragt
       würden. Die Ökonomen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, die
       sich auch mit den Fragen von Energiewirtschaft beschäftigen, konnten auf
       Nachfrage der taz keine Bewertung der Berechnungen des WFC abgeben.
       
       ## Keine umfassende wissenschaftliche Untersuchung
       
       Auch die Experten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität
       Köln (EWI) wollten die Rechnungen nicht kommentieren. Jochen Diekmann,
       Vizechef der Energieabteilung beim Deutschen Institut für
       Wirtschaftsforschung (DIW), ist skeptisch: „Man müsste dafür nachweisen,
       dass die Knappheit der fossilen Ressourcen für den nichtenergetischen
       Verbrauch jetzt vom Markt nicht abgebildet wird.“
       
       Eigentlich müsse man aber davon ausgehen, dass die Nachfrage etwa der
       chemischen Industrie nach Öl bereits jetzt im Preis berücksichtigt sei. Der
       Autor der WFC-Studie, Matthias Kroll, räumte auf Nachfrage der taz ein,
       dass es sich bei dem Papier nicht um eine umfassende wissenschaftliche
       Untersuchung handelt.
       
       Eher gehe es dem WFC darum, einen bislang vernachlässigten Aspekt ins Licht
       zu rücken. „Immer wieder wird über die angeblich hohen Kosten von
       erneuerbaren Energien geklagt“, kommentiert Jakob von Uexküll. „Stattdessen
       muss gefragt werden, wie viel es die Menschheit kostet, wenn wir die
       erneuerbaren Energien nicht nutzen.“
       
       13 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
   DIR Singapur
   DIR fossile Energien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Luftverschmutzung in Singapur: Neuer Rekordwert
       
       Für Kranke und Alte kann der Dreck in der Singapurer Luft tödlich sein,
       warnen die Behörden. Verursacher sind vor allem die Waldbrände im
       benachbarten Indonesien.
       
   DIR Banken investieren in die Erderwärmung: Jede Menge Kohle für die Klimakiller
       
       Banken heizen durch Investitionen in Kraftwerke die Erderwärmung an, sagt
       ein Umweltverband. Spitzenreiter ist die Deutsche Bank.
       
   DIR Energiewende in der Krise: Atom gewinnt, Solar schmiert ab
       
       Der vor einem Jahr beschlossene Atomausstieg hat für die Branche höchst
       unterschiedliche Folgen. Die einstige Zukunftsindustrie Fotovoltaik droht
       unterzugehen.
       
   DIR Textilindustrie gegen Ökostromförderung: Die ängstlichen Schneiderlein
       
       Einige Verlierer der Subventionspolitik ziehen vor Gericht. Die
       Textilbranche glaubt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz sei
       verfassungswidrig. Auch FDP und CDU meckern.
       
   DIR FDP will Ökostromforderung stoppen: Lieber billig als umweltfreundlich
       
       Christian Lindner fordert eine Abschaffung des
       Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Auch FDP-Chef Philipp Rösler will die
       Fördersätze senken und „ein ganz neues System“.
       
   DIR Synthetische Kohlenwasserstoffe: Flüssiger Strom als Energiespeicher
       
       Gesucht wird ein Energiespeicher, der gut zu transportieren ist und
       schadstoffrei verbrennt. Künstlich hergestellte Kohlenwasserstoffe könnten
       die Lösung sein.
       
   DIR Wissenschaftler sind gegen Biosprit: Weg von den Energieblumen
       
       Neben Wind und Sonne sollen Pflanzen Autos antreiben oder Strom liefern –
       so wollen es Berlin und Brüssel. Ein Irrweg, sagt die einflussreiche
       Akademie Leopoldina.
       
   DIR UN-Umweltchef Steiner über Rio+20: Schluss mit den Benzin-Subventionen
       
       UN-Umweltchef Steiner erklärt, wie er mit „grüner Wirtschaft“ in Rio den
       Globus retten will. Und er spricht über Risiken für die Natur und
       selbstkritische Deutsche.