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       # taz.de -- Britischer Sportsgeist bei Olympia: Jubeln, bis der Letzte gegangen ist
       
       > Die Briten feierten jeden und alles. Selbst der Name eines britischen
       > Punktrichters war ihnen Anlass für frenetischen Applaus. Dennoch: Usain
       > Bolt überschattete alles.
       
   IMG Bild: Die Kolumbianerin Caterine Ibargüen: Ihr Dreisprung-Silber hat kaum einer beachtet
       
       Weiße Zelte an den Eingängen. Sicherheitsschleusen. Soldaten in Uniform,
       die Verdächtiges scannen wollen, wenn es piept. Die Friedensspiele finden
       in Kriegszeiten statt. Der Einsatz der Armee ermöglicht erst das große
       Sportfest. Die Soldaten müssen freundlich sein. Es ist ein PR-Einsatz an
       der Heimatfront.
       
       Olympia soll heiter sein. Auch die Bobbys mit ihren Maschinenpistolen
       lächeln wie die lila- und rosafarben gekleideten Volunteers. Da lang
       geht’s! Kein Schritt ohne Hilfe. Bitte links halten! Gelenkte Fröhlichkeit
       hinter den Zäunen. Einen schönen Tag, und da lang bitte! Keiner, der
       ausschert. Alle folgen dem Weg, den die Helfer weisen. Folgsames Volk.
       
       Die Briten funktionieren besonders gut. „Dein Team braucht dich!“ Steht
       überall. Die Olympiabesucher stecken sich Fähnchen in den Rucksack. Der
       Union Jack ist allgegenwärtig. Die Olympianarren wollen sich ein Stückchen
       von den Spielen nehmen. Man hat ihnen gesagt, dass man sie braucht, also
       sind sie da und jubeln in der Boxarena sogar, wenn der Name eines
       britischen Punktrichters genannt wird. Nach dem Kampfabend watscheln sie in
       der Herde dahin, wo die Helfer sie hinschicken. Das kann manchmal dauern.
       Macht nichts.
       
       ## „Jetzt alle einmal klatschen!“
       
       Irgendwo sitzt ein Volunteer auf einem Hochsitz und fragt: „Na, wie
       geht’s?“ Und alle jubeln. Die Animation geht weiter. „Jetzt alle einmal
       klatschen!“ Und alle klatschen. Warum ist keiner sauer, dass man ihn auf
       einen halbstündigen Umweg zur U-Bahn geschickt hat? [1][Olympia hat gute
       Laune bei den Briten bestellt]. Sie machen mit. Machen sie alles mit?
       Weinen sie nur auf Befehl, wenn eines Tages mal die Königin sterben sollte,
       und sind erst dann traurig? Vielleicht ist Pjöngjang gar nicht so weit weg.
       
       Zu den Gästen sind die britischen Sportfans höflich. Toll? Höflich waren
       die Chinesen vor vier Jahren auch. Und der sprichwörtliche Sportsgeist? Der
       kann durchaus faszinieren. Ein Volleyballtag in der riesigen
       Ausstellungshalle Earl’s Court ist ziemlich lang. Von der Früh um zehn bis
       Mitternacht. Wer eine Karte hat, kann den [2][ganzen Tag mit Volleyball
       verbringen]. Engländer, die zuvor noch nie ein Volleyballspiel gesehen
       haben, gehen nicht, bevor der letzte Punkt gespielt ist. Sie lassen sich
       ein auf einen unbekannten Sport und meckern nicht.
       
       Die leeren Plätze, die in den Verkauf gelangen, weil Funktionäre und
       Sponsoren nicht verteilte Tickets zurückgeben, sind schnell verkauft. Eine
       irrwitzige Olympiabegeisterung treibt die Menschen zu den Ereignissen. Wer
       keine Karte bekommt, [3][stellt sich in die 20. Reihe an den Straßenrand]
       und versucht einen Blick auf Bradley Wiggins zu erhaschen, wenn der
       vorbeirast.
       
       Der Radler ist der erste große Held der Spiele, der beste britische
       Sportler aller Zeiten, so lange, bis Chris Hoy, ein anderer Radler auf der
       Bahn, sein insgesamt sechstes Olympiagold [4][gewinnt]. Der Größte. Der
       Erste. Die Spiele schreiben schnell Geschichte, auch weil Briten so gut
       sporteln wie noch nie zuvor.
       
       ## Deutscher Sumpf statt Multikulti-Party
       
       Man muss englischen Medien aus dem Weg gehen, wenn man mitbekommen will,
       dass auch andere Sportler Geschichte, zumindest Geschichten schreiben.
       Südafrika gewinnt [5][Rudergold im Leichtgewichtsvierer]. Das hat es noch
       nie gegeben. Im Boot sitzt zwischen drei Weißen Sizwe Ndlovu aus
       KwaZulu-Natal. Er wird gefeiert wie ein König seines Volkes. Noch Stunden
       nach dem Rennen kann er sich nicht beruhigen. „Ich und Gold“, sagt er, „das
       ist doch ein Witz!“
       
       Er und seine Kameraden wollen gar nicht mehr aufhören zu tanzen. Es ist der
       Tag, an dem der deutsche Ruderverband eine Frau aus dem Achter vor der
       Presse versteckt, weil die von ihr wissen will, was dran ist an den
       Geschichten über sie und ihren Nazifreund, der auch einmal Ruderer war.
       Während Ndlovu feiert, sitzt Nadja Drygalla mit der deutschen Teamleitung
       zusammen und [6][verlässt kurz danach das olympische Dorf]. Deutscher Sumpf
       statt Multikulti-Party.
       
       Am Ende ist es dann doch kein Brite, der der ganz große Held der Spiele
       wird, auch wenn das Bild des heulenden [7][Chris Hoy] immer wieder und viel
       zu oft gezeigt wird. Es ist Usain Bolt. Eine Kreditkartenfirma hat ihn
       allüberall in London überlebensgroß plakatiert. Bolt erklärt sich selbst
       zur Legende. Mit seinem Erfolg scheißt er alles zu, was sonst noch in den
       Wettbewerben passiert.
       
       ## Bolt, Bolt, Bolt
       
       Die irrwitzige Freude der Kolumbianierin Caterine Ibargüen über ihr Silber
       im Dreisprung bekommt kaum einer mit. Dass sie einen ihrer besten Sprünge
       irrtümlicherweise abgebrochen hat, weil sie dachte, sie hätte übertreten,
       geht unter. Die [8][400-Meter-Sprinter von den Bahamas], die die Staffel
       gewinnen, sind Sternchen für einen Tag. Und dass die
       US-Sprinterinnenstaffel der [9][DDR einen ihrer letzten Weltrekorde
       abnimmt], reicht auch nicht über die Dämmerung hinaus. Als die
       venezolanische Boxerin Karlha Magliocco früh ausscheidet, ist sie längst
       ein Star in der Halle, weil sie ihre Landsleute mit ihrer irren Stimme so
       laut angefeuert hat, dass sie dafür Applaus bekommen hat. Wen
       interessiert’s?
       
       [10][Bolt], [11][Bolt], [12][Bolt]. Selbst Polizisten, die nach den
       Wettbewerben am Stadion patrouillieren, zeigen die Bogenschützengeste des
       Jamaikaners. Der ist einer von vielen Spitzensportlern bei diesen Spielen
       und der einzige echte Star. Da kann selbst Team GB nicht mithalten – Andy
       Murray nicht, der endlich in [13][Wimbledon gewinnnt], Mo Farrah nicht, der
       über die [14][10.000 Meter] und die [15][5.000 Meter] siegt, [16][Nicola
       Adams] nicht, die zu den ersten Olympiasiegerinnen des Frauenboxens gehört,
       und auch [17][Bradley Wiggins] nicht, wegen dessen Erfolgen im Königreich
       mehr Räder verkauft werden als je zuvor. 302 Goldmedaillen waren am Sonntag
       gewonnen und doch scheint es, als sei es eine einzige [18][Bolt-Show]
       gewesen. Den finden auch die Briten toll.
       
       Die feiern nebenbei noch ganz andere Sieger: die Soldaten, eigentlich
       Frontkämpfer in Afghanistan oder sonst wo. Die Armee hat sich an der
       Heimatfront bewährt. Man darf sich am Ende sogar mit ihnen fotografieren
       lassen. Merkwürdige Bilder.
       
       13 Aug 2012
       
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