URI: 
       # taz.de -- Bundespräsident wird Ehrenbürger Rostocks: „Gauck hat die Gesellschaft polarisiert“
       
       > Bundespräsident Gauck wird zum Ehrenbürger von Rostock. Das ist gut so,
       > meint sein Weggefährte Christoph Kleemann, auch wenn viele Rostocker dies
       > ablehnen.
       
   IMG Bild: Joachim Gauck im Herbst 1989 während einer Fürbittandacht in der Rostocker Marienkirche.
       
       taz: Herr Kleemann, Joachim Gauck wird Ehrenbürger von Rostock. Er steht
       damit in einer Reihe mit Walter Kempowski, Hindenburg und Bismarck.
       Erkennen Sie eine Stringenz? 
       
       Christoph Kleemann: Nein. Es ist eine bunte Mischung. Der erste Ehrenbürger
       ist Fürst Blücher, dem folgen einige politische Größen. Daneben gab es auch
       noch zwei Ehrenbürgerschaften aus der Nazi-Zeit: Adolf Hitler und Friedrich
       Hildebrandt, der Gau-Leiter von Mecklenburg. Ansonsten vor allem
       Wissenschaftler und Männer, die sich um Rostock verdient gemacht haben. Der
       erste Ehrenbürger nach der Wende war Yaakov Zur. Er ist der letzte Lebende
       der jüdischen Gemeinde von Rostock. Dem folgte dann Walter Kempowski und
       nun Joachim Gauck.
       
       Reiht er sich da würdevoll ein? 
       
       Nachdem wir die Ehrenbürgerschaft von Hitler und Hildebrandt 1990 gelöscht
       haben: ja.
       
       Wie sehen es die Rostocker? 
       
       Ich glaube, die Mehrzahl der Rostocker sieht das sehr positiv. Es wird
       immer Leute geben, die so einem Anliegen widersprechen. Gauck ist ein Mann,
       der auch in der Gesellschaft polarisiert hat, und dann ist es auch
       verständlich, dass es Leute gibt, die das befürworten und welche, die damit
       nicht glücklich sind. Die Mehrheit begrüßt das aber.
       
       Aber in der Bürgerschaft war die Mehrheit nicht so deutlich. 
       
       Ich hätte es gut gefunden, wenn die Bürgerschaft bei einer
       Ehrenbürgerschaft zusammengestanden und über etwaige Mängel hinweggesehen
       hätte. Dass das nicht zustande gekommen ist, bedauere ich ein bisschen,
       finde es aber nicht so schlimm.
       
       Im Februar sprachen sich 60 Prozent der Leser der Ostseezeitung gegen die
       Ehrenbürgerschaft aus. Alles Betonköpfe? 
       
       Ich kann mir vorstellen, dass es darunter auch Leute gibt, die sich
       ernsthaft Gedanken machen. Man müsste sich aber genau anschauen, wie der
       Abonnentenkreis zusammengesetzt ist. Davon hinge ab, wie repräsentativ eine
       solche Umfrage ist.
       
       Woran liegt es, dass Gauck im Westen eher Anhänger findet? 
       
       Er hat den Menschen im Westen die DDR erklärt. Das war für viele ein
       Aha-Erlebnis. Im Osten hat er versucht, uns die neue Demokratie schmackhaft
       zu machen und Menschen in Verantwortung zu ziehen: bringt euch ein in die
       neue Gesellschaft; für das, was ihr heute tut, landet ihr morgen nicht mehr
       im Knast. Viele, die der falschen Mütterlichkeit der DDR nachweinen, haben
       damit große Probleme. Wer mag es schon gerne, kritisch in seine eigene
       Geschichte zurückblicken. Viele wollen die alte Zeit beschönigen, um nicht
       an die eigenen Wurzeln zu müssen.
       
       Gauck hat kürzlich Angela Merkel ermahnt, die Eurokrise besser zu erklären.
       War das nicht ein bisschen anbiedernd an die Volksmeinung? 
       
       Finde ich nicht. Wenn er schon keine eigenständige Politik machen kann –
       die kritischen Anfragen sollte er stellen. Da ist er als ein Mann des
       Volkes gefragt. Und gerade bei der Eurokrise ist die Bundesregierung den
       Bürgern ja einiges schuldig geblieben.
       
       Gauck werden sentimentale Züge nachgesagt. Wird ihm die Ehrenbürgerschaft
       etwas bedeuten? 
       
       Er versteckt seine Emotionalität nicht. Das finde ich sympathisch. Er
       zeigt, dass er rührbar ist. Ich kann mir also vorstellen, dass ihn die
       Ehrenbürgerwürde anrühren wird. Es ist seine Heimatstadt und er hat eine
       ziemlich starke Verbindung nach Rostock.
       
       9 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai Schlieter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Doku zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen: Zwischen Schweigen und Verdrängen
       
       Die Doku „Als Rostock-Lichtenhagen brannte“ entstand gegen drastische
       Widerstände. Bürger wollten sich nicht erinnern, Politiker sagten
       Interviews ab.
       
   DIR Gaucks Kritik an Merkel: Der Oberlehrer und die Nüchterne
       
       Joachim Gauck rüffelt die Kanzlerin: Sie müsse ihre Politik „sehr
       detailliert“ erklären. Doch seine scheinbar bürgernahe Kritik ist ein
       schlecht getarntes Eigenlob.
       
   DIR Pro und Contra Gaucks Bundeswehrrede: Koalition der Erregten
       
       Der Bundespräsident äußert sich über Krieg und Frieden, und schon regen
       sich die Leute wieder auf. Recht so? Ein Pro und Contra.
       
   DIR Debatte um Gaucks Äußerungen zum Islam: Sind Muslime „der Islam“?
       
       Bundespräsident Gauck distanziert sich indirekt von Christian Wulffs
       Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland. Cem Özdemir distanziert sich von
       Gauck.