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       # taz.de -- Welt-Aids-Konferenz: Die soziale Krankheit
       
       > Die Welt-Aids-Konferenz in den USA zeigt eine einfache Wahrheit: Das
       > HI-Virus ist einzudämmen. Doch Geld und Aufklärung fehlen überall.
       
   IMG Bild: So einfach ist das.
       
       WASHINGTON taz | Die Botschaft ist durchwachsen. Da sind einerseits die
       Fortschritte der Forschung, zu denen neben der Verbesserung der Behandlung
       von HIV-Positiven auch die nunmehr auch medikamentöse Vorbeugung gegen
       Neu-Infektionen und erste Erfolge bei der Heilung gehören. Aber da sind
       auch jene vielen Betroffenen, die kaum – oder wenig - von den Fortschritten
       profitieren: jene in Niedriglohnländern, aber auch sozial benachteiligte
       Minderheiten in den reichsten Ländern.
       
       Und da ist die düstere politische Bestandsaufnahme: wo Homosexualität
       weiterhin kriminalisiert, wo Prostitution ein Delikt, wo Spritzentausch
       verboten und wo Sexualaufklärung ein Fremdwort ist. Und da ist die
       finanzielle Lage, wo die Mittel für die Behandlung der Epidemie seit Jahren
       stagnieren und zurückgehen.
       
       „Aids“, so hat Phill Wilson, der Präsident des „Black AIDS Institute“ bei
       der Eröffnung der 19. Internationalen Aids Konferenz in Washington gesagt,
       „ist eine Geschichte von zwei Städten“. Manchmal liegen diese beiden Städte
       sehr nach beeinander. Der Standort, der am Freitag zuende gegangenen
       Konferenz ist dafür ein krasses Beispiel. In den wohlhabenden Stadtteilen
       Washingtons sind nur 253 von 100.000 BewohnerInnen HIV-positiv. In den
       sozial schwachen, mehrheitlich schwarzen Wohngebieten östlich sind es mehr
       als 3.301.
       
       „Die Lage ist so viel besser in Deutschland“, sagt Kim Crump, von der
       US-amerikanischen HIV Medicine Association. Sie nennt zahlreiche politische
       Widerstände, gegen die US-amerikanische ÄrtzInnen und HIV-Verbände
       ankämpfen müssen. So hat die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus
       gerade wieder entschieden, den Spritzentausch zu verbieten. Und der
       republikanische Präsidentschaftskandidat will an seinem ersten Amtstag die
       Gesundheitsreform abschaffen.
       
       Zahlreiche Gruppen und auch die US-amerikanische Gesundheitsministerin
       Kathleen Sibelius haben sich während der fünf Tage in Washington Rat bei
       den Ständen jener Länder geholt, die ihre HIV-Neuinfektionen radikal
       gesenkt haben.
       
       ## Obama war nicht da
       
       US-Präsident Barack Obama, der von der kommenden „aidsfreien Generation“
       spricht, ist nicht zu der Konferenz, die wenige Blocks von seinem Amtssitz
       statfand, gekommen. „Ich bin enttäuscht“, sagt ein mexikanischwer
       Anti-HIV-Aktivist, einer der 25.000 TeilnehmerInnen des Treffens, „wir
       brauchen die Unterstützung der Politiker um die Epidemie zu besiegen.“
       
       Die US-Gruppe, „AIDS Healthcare Foundation“ verteilt ein Poster mit einer
       Fotomontage von George W. Bushs und Obamas Kopf. Versehen mit der Frage:
       „Wer ist besser bei Aids?“ Sprecher Deniyz Nazarov beklagt, dass Obama die
       finanziellen Mittel für die US-Aidshilfe Pepfar gekürzt hat und sagt
       bitter: „Aids ist keine Priorität für den Präsidenten“.
       
       Die meisten anderen US-amerikanische TeilnehmerInnen sehen das anders.
       Insbesondere wegen der Gesundheitsreform. Aber auch, weil Obama endlich das
       Einreiseverbot für HIV-Positive aufgehoben und damit erst die Abhaltung der
       Konferenz möglich gemacht hat.
       
       ## Keine spektakulären Aktionen
       
       Spektakuläre Aktionen – politische Proteste oder aufrüttelnde Reden wie
       zuletzt in Durban – sind bei der Konferenz in Washington ausgeblieben. Wohl
       auch, weil die US-amerikanischen Nicht-Regierungsorganisationen, die wegen
       des Einreiseverbotes für HIV-Positive seit 22 Jahren keine internationale
       Aidskonferenz im eigenen Land hatten, dringend den Erfahrungs-Austausch im
       Gespräch mit ausländischen Gruppen brauchten.
       
       Stark vertreten waren in Washington die Hersteller von medizinischen
       Geräten. Erstmals auf einer Internationalen Aids-Konferenz bieten gleich
       mehrere Stände neue Geräte zur Beschneidung von neugeborenen Jungen und
       Erwachsenen Männern an. In verschiedenen afrikanischen Ländern haben
       Beschneidungen die HIV-Infektionrate um bis zu 50 Prozent gesenkt. Auch
       tragbare Geräte zur ambulanten HIV-, TBC- und Malaria-Diagnose unter
       schwierigen Bedingungen und ohne Strom und fließendes Wasser werden von
       Herstellern aus aller Welt angeboten.
       
       Am präsentestens sind jedoch die Pharmakonzerne. Die Firma Gilead hat
       wenige Tage vor Konferenzbeginn die US-Zulassung für den prophylaktischen
       Einsatz von Truvada erhalten. Das bislang nur in der Behandlung von
       HIV-Positiven benutzte Mittel wird damit zu dem ersten Präparat, das vor
       einer HIV-Infektion schützen soll. Ein riesiger Markt.
       
       28 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt HIV und Aids
       
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