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       # taz.de -- Open Access in Großbritannien: Forschungsergebnisse für alle
       
       > Die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen ist teuer, gerade für den
       > Steuerzahler. Das soll sich mit Open-Access-Verlagen in Großbritannien
       > ändern.
       
   IMG Bild: Bislang teuer und unzugänglich: In Großbritannien sollen wissenschaftliche Arbeiten zukünftig per Open Access publiziert werden.
       
       LONDON taz | Die britische Regierung will bis 2014 staatlich finanzierte
       Forschung frei verfügbar machen. Bislang sind weltweit nur drei Prozent
       wissenschaftlicher Forschungsdaten frei zugänglich – ein verschwindend
       geringer Anteil eines Marktes auf dem wissenschaftliche Zeitschriften
       immerhin jährlich 6,5 Milliarden Euro umsetzen.
       
       In Großbritannien alleine haben renommierte Magazine wie Science, Cell und
       Nature lukrative Verträge in Höhe von 200 bis 250 Millionen Euro mit
       Universitätsbibliotheken abgeschlossen. Auf diese Weise haben die
       Zeitschriften Zugang zu wissenschaftlichen Beiträgen, die von
       Wissenschaftlern im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit verfasst werden.
       
       Und das macht sich für die Verlage bezahlt. Die britische
       Verlagsgesellschaft Reed Elsevier verlegt mehr als 2.000 Magazine und
       erzielte letztes Jahr mit ihren Zeitschriften-Abonnements einen Gewinn von
       rund 990 Millionen bei 2,7 Milliarden Euro Umsatz.
       
       Dieses „Abo-Modell“ ist inzwischen ins Kreuzfeuer der Kritik von britischen
       Wissenschaftlern geraten, die Verlagen vorwerfen, sich an staatlich
       finanzierter Forschung gesund zu stoßen. Der Dumme ist Otto
       Normalverbraucher, der gleich zweimal zur Kasse gebeten wird: Seine
       Steuergeldern werden zu Forschungszwecken eingesetzt und er muss trotzdem
       zahlen, um die Resultate dieser Tätigkeit kennenzulernen.
       
       Ein Unding, wie die britische Regierung findet: „Da der Steuerzahler diese
       Forschung bereits finanziert hat“, erklärte der britische
       Wissenschaftsminister David Willets, „sollten die Früchte dieser Arbeit
       nicht hinter einer Bezahlschranke versteckt werden, bis der britische
       Bürger sie genießen kann … diese Abonnements zu beseitigen wird
       gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile bringen.“
       
       ## Artikel kostenlos abrufbar
       
       Wie es aussehen kann, wenn Forschung frei zugänglich ist, zeigt die
       britische Public Library of Science, ein sogenanntes wissenschaftliches
       „Open Access“-Verlagsprojekt. Die Public Library of Science verlangt von
       Wissenschaftlern Gebühren für die Veröffentlichung von Artikeln, die Lesern
       später kostenlos zur Verfügung stehen.
       
       Die britische Regierung folgt mit ihrer Entscheidung den Empfehlungen des
       Finch-Reports, der von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der
       Soziologieprofessorin Janet Finch erstellt wurde. Die Hochschullehrerin und
       ihr Team veranschlagten Kosten in Höhe von 65 bis 77 Millionen Euro für die
       Umstellung auf „Open Access“. Ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich
       zu den rund 6 Milliarden Euro, die die Briten jährlich für Forschung
       hinblättern. Zukünftig sollen die Wissenschaftsverlage von Autoren eine
       Gebühr von 2.500 Euro für die Veröffentlichung eines Artikels verlangen,
       der anschließend der Öffentlichkeit kostenlos im Internet zur Verfügung
       steht.
       
       Die Europäische Kommission, die über eines der weltgrößten
       Wissenschaftsbudgets verfügt, schlug inzwischen dieselbe Marschrichtung
       ein. „Steuerzahler sollten nicht zweimal für wissenschaftliche Forschung
       bezahlen und sie brauchen nahtlosen Zugang zu Rohdaten“, sagte Neelie
       Kroes, Vize-Präsidentin für das digitale Programm der Europäischen
       Kommission.
       
       ## Den Steuerzahlern mehr bieten
       
       Freier Zugang soll eine Grundsatzbedingung für alle Stipendien des 80
       Milliarden Euro schweren „Horizon“-Programms für Forschung und Innovation
       der Europäischen Kommission sein. Bis 2016 sollen 60 Prozent der öffentlich
       finanzierten Forschung in Europa frei zugänglich sein. „Wir müssen
       Steuerzahlern mehr für ihr Geld bieten“, resümierte Máire Geoghegan-Quinn,
       europäische Kommissarin für Forschung, Innovation und Wissenschaft, in
       einer Stellungnahme, „freier Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten und
       Daten ist eine wichtige Maßnahme, um dies zu erreichen.“
       
       Jonathan Gray von der britischen Open Knowledge Foundation begrüßte die
       Entscheidung der Europäischen Kommission: „Soweit wir wissen, gab es
       bislang noch keine vergleichbare Richtlinie, die eine derartige solide und
       ausdrückliche Unterstützung für die freie Verfügbarkeit von
       wissenschaftlichen Daten bietet.“
       
       Die Open Knowledge Foundation setzt sich bereits seit geraumer Zeit
       gemeinsam mit Interessenvertretern für eine ungehinderte Verbreitung von
       wissenschaftlichen Daten ein. Früchte dieser Kooperation sind
       richtungsweisende Initiativen wie die Panton Principles, die Panton
       Fewllowships oder die vor kurzem ins Leben gerufene Open
       Source-Crowdsourcing-Plattform Py Bossa in Zusammenarbeit mit dem
       britischen Citizen Cyberscience Centre.
       
       „Die Vorzüge von frei verfügbaren Wissenschaftsdaten für Forscher und
       Forschungsinstitute“, führte Gray aus, „sind hinlänglich bekannt. Bestes
       Beispiel hierfür dürfte das 'Human Genom Project' sein. Man darf sich
       getrost fragen, mit welchen Innovationen Laien aufwarten können und was
       weitere 'Open Access'-Richtlinien für das öffentliche Verständnis der
       Wissenschaften bedeuten.“
       
       23 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Heinz Diebel
       
       ## TAGS
       
   DIR Forschungspolitik
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