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       # taz.de -- Wer zahlt, wird früher operiert: Klinikarzt verhökert Spenderleber
       
       > Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten – und schon hat man eine neue
       > Leber. An der Göttinger Uniklinik sollen Patienten mit Geld schneller an
       > neue Organe gekommen sein.
       
   IMG Bild: Uniklinik Göttingen: Für einige Patienten ging's offenbar schneller dem Pfeil nach, wenn mit ein paar Scheinen nachgeholfen wurde.
       
       GÖTTINGEN taz | Der Skandal um Lebertransplantationen in der Göttinger
       Universitätsklinik hat sich massiv ausgeweitet. Ein oder mehrere Mediziner
       haben in den Jahren 2010 und 2011 offensichtlich in großem Umfang Akten von
       Patienten gefälscht, um ihnen schneller zu einer Spenderleber zu verhelfen.
       
       Im Frühsommer waren Vorwürfe gegen einen ehemaligen Oberarzt bekannt
       geworden, der 2011 einen russischen Patienten gegen eine hohe Geldzahlung
       bei einer Lebertransplantation bevorzugt haben soll. Die Staatsanwaltschaft
       Braunschweig ermittelt gegen den Mediziner sowie gegen den Patienten wegen
       Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung.
       
       „Ja, es gibt 25 weitere Verdachtsfälle“, bestätigte Klinikvorstand Martin
       Siess am Freitag. Die Bundesärztekammer habe „Auffälligkeiten“
       festgestellt, als sie in Göttingen die Liste der Patienten aus den Jahren
       2010 und 2011, die auf dort auf eine neue Leber warteten, mit der Liste der
       tatsächlich erfolgten Verpflanzungen verglich.
       
       Wie die Manipulationen der Listen im Einzelnen erfolgten, blieb zunächst
       offen. Ein Medienbericht hatte nahe gelegt, dass jeweils Dialyseprotokolle
       gefälscht oder frei erfunden und Laborwerte wie die Blutgerinnungsneigung
       und der Kreatininwert, der ebenfalls ein Indikator für den Zustand der
       Nieren ist, manipuliert wurden. Das konnte oder wollte Siess aber nicht
       bestätigen.
       
       ## Viele Unwahrscheinlichkeiten
       
       Er schloss aber nicht aus, dass weitere Mediziner oder andere Mitarbeiter
       des Hauses in die Vorfälle verstrickt sind. „Theoretisch wären die Akten
       von einer Person manipulierbar gewesen“, sagte er. „Das ist allerdings
       höchst unwahrscheinlich.“ Ebenso unwahrscheinlich sei es jedoch, „dass es
       viele waren, die manipuliert haben“.
       
       Nach Ansicht von Wirtschaftsvorstand Sebastian Freytag geht es bei der
       Aufarbeitung aber nicht nur um mögliche aktive Mittäter. „Es geht auch
       darum, wer trug Mitverantwortung, wer hätte genauer hingucken müssen?“
       
       Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) forderte Konsequenzen, sollten
       sich die neuen Verdachtsfälle in Göttingen bestätigen. Ein Sprecher des
       Ministers sagte, es sei nicht nur gesetzeswidrig, „sondern höchst
       respektlos und ethisch in höchstem Maße verwerflich, wenn Organe nicht nach
       medizinischer Dringlichkeit transplantiert“ würden. Die Bereitschaft zur
       Organspende werde durch solche Vorgänge erschüttert.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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