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       # taz.de -- Pussy Riot-Punkerinnen vor Gericht: Gefährlicher als Terroristen
       
       > Der Prozess gegen die Punkerinnen von Pussy Riot beginnt unter höchsten
       > Sicherheitsvorkehrungen. Sie hatten in einer Kirche gegen Putin getanzt
       > und Kreml und Klerus empört.
       
   IMG Bild: Sehen schon fies aus, die Pussy-Riot-Mädels.
       
       MOSKAU taz | Vor dem Gebäude im Moskauer Zentrum hatte sich ein riesiges
       Polizeiaufgebot in Stellung gebracht. Mit so viel Aufmerksamkeit seitens
       der Staatsmacht können in Russland nicht einmal Terroristen rechnen. Hinter
       dicken Mauern und verschlossenen Türen verhandelte gestern das
       Chamowniki-Gericht gegen die Frauenpunkband Pussy Riots. In einer ersten
       Anhörung sollte der Termin für den Beginn der Hauptverhandlung festgelegt
       werden, stattdessen verlängerte das Gericht die U-Haft um ein halbes Jahr.
       
       Die Causa Pussy Riot entwickelte sich in den letzten Monaten in Russland zu
       einem Politikum, an dem sich die zunehmende Realitätsferne des Systems
       Putin ablesen lässt. Zur Erinnerung: Im Februar, kurz vor den
       Präsidentschaftswahlen vom 4. März, hielt die fünfköpfige Frauenband ein
       spontanes Stoßgebet im Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche, der
       Moskauer Christi Erlöser Kathedrale.
       
       Die Feministinnen wandten sich an die Jungfrau Maria mit der Bitte:
       “Heilige Mutter, vertreibe uns den Putin“, und forderten sie auf, ihrem
       Beispiel zu folgen und Feministin zu werden. Fünf Minuten dauerte der
       Auftritt in Häkelmasken und schrillen Netzstrümpfen, bis himmlische Wächter
       den Altarraum gesäubert hatten. Seither sitzen drei der fünf jungen Frauen
       und Mütter in Untersuchungshaft.
       
       Was in Rechtsstaaten höchstens als Ordnungswidrigkeit geahndet würde, fällt
       in Russland unter das Strafrecht. Den Frauen drohen eine Anklage wegen
       Rowdytums sowie eine Gefängnisstrafe bis zu sieben Jahren. Amnesty
       International hat die Punkerinnen bereits als politische Gefangene
       anerkannt.
       
       ## Hysterie wie bei der Inquisition
       
       Kreml, Klerus und ein fanatisierter Teil des Kirchenvolkes ziehen in der
       Affäre an einem Strang. Die Hysterie erinnert zuweilen an die Inquisition.
       In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft kommen ausführlich gläubige
       Zeugen zu Wort, die von dem Tanzgebet „schwere seelische Folgen“
       davongetragen haben wollen. Unter ihnen der Oberpriester, die
       Kerzenbeauftragte und der Schließmeister der Kirche.
       
       Sie sahen ihren Seelenfrieden durch „das chaotische Wackeln mit Händen und
       Beinen“ aus dem Gleichgewicht gebracht. Andere monierten den „vulgären
       Tanzstil“ und sahen den „Teufel am Werke“. Anstoß erregten vor allem die
       „unangebracht offenen sexuellen“ Bewegungen und das „Anheben der Beine
       höher als die Gürtellinie“ (obwohl in Hosen). Darin sahen die Gläubigen
       ihre „Vorstellung von Gerechtigkeit“ verletzt.
       
       Schon der große russische Literat des Paradoxen, Daniil Charms, nahm sich
       absurder und grotesker „Zwischenfälle“ in der Stalinzeit an, weil sie auf
       paradoxe Weise die Atmosphäre des Alltagslebens widerspiegelten. Wie damals
       in den 1930er hat auch der Quatsch heute reale Konsequenzen. Kreml und
       Kirche kämpfen um den Machterhalt und sind bereit, dafür auch die Risse in
       der Gesellschaft zu vertiefen. Die schwindende Demut des russischen Volkes,
       wichtigste Tugend der Gläubigen, beunruhigt beide gleichermaßen.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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