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       # taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Mensch-Maschine in den Bergen
       
       > Wenn nur die Internetverbindung langsam genug ist, hat man endlich Zeit,
       > sich Gedanken zu machen. Und googlen muss man dann eben wieder zu Hause.
       
       Das Wort „Vajales“ steht auf einem kleinen Zettel, den unser Gastgeber mir
       durch die Tür reicht. Kurz nachdem ich den Rucksack auf das Bett im zweiten
       Stock dieses winzigen, ochsenblutroten Hutzelhäuschens irgendwo in den
       Bergen geworfen habe. Darunter eine lange Zahlenkolonne. Ich schaue ihn
       verwirrt an.
       
       „Vajales“, sagt er, deutet mit den Händen Tastaturtippen an. Wireless! Hier
       in den Bergen. Alles klar. Verbindungsfreier Eskapismus kurz vor diesem
       abgeschiedenen Nationalpark – das ist wohl nur so eine komische
       Städterromantik.
       
       Eigentlich hätte ich mich nicht wundern brauchen. Inzwischen erklärt ja
       jede Mittsiebzigerin, die Privatzimmer vermietet, wie man bei ihr ins Netz
       kommt, bevor sie einem die Dusche zeigt. Apple-Mitgründer Steve Jobs würde
       wahrscheinlich ohnehin im Grab rotieren, wenn er erführe, wie die Leute
       sein akribisch designtes iPad im Urlaub vergewaltigen: Kürzlich sah ich
       einen Touristen, der sein völlig zerscheppertes Tablet als Stadtführer vor
       sich hertrug – keine Ahnung, wie er auf diesem Bruchglas-Display noch etwas
       erkennen konnte.
       
       Schlimmer sind nur noch die Horden, die mit ihren iPads in der Luft
       herumrudern, um Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. Ästhetisch wird man so
       von jedem Rentner mit zehn Jahre alter Digitalkamera in die Tasche
       gesteckt. Aber klar, dafür ist es nur ein einziges Gerät, mit dem man die
       Fotos im Hotel dann auch gleich bei Flickr hochjagen kann.
       
       Mitleid hatte ich mit einer Deutsch-Amerikanerin, mit der ich mir in einer
       der schönsten Städte Europas eine Unterkunft teilte und die abends zwei
       Stunden am Rechner beim Skypen mit ihren Liebsten verbrachte, statt den
       wundervollen lauen Abend draußen zu verbringen.
       
       Mitleid hatte ich aber auch mit mir selbst, als ich in der Berghütte in
       Ermangelung eines anderen internetfähigen Geräts versuchte, mit meinem
       eBook-Reader Mails zu checken. Dauerte gefühlte Stunden. Genug Zeit, um
       darüber nachzudenken, wie weit wir auf dem Weg zum Cyborg, zur
       Mensch-Maschine, schon sind. Weil wir uns so ans immer zugängliche Netz
       gewöhnt haben, dass es uns auf Reisen manchmal kalt erwischt, wenn wir
       nicht mal schnell nachschauen können.
       
       Von wegen Kontrollverlust im Netz – wer jemals in einer Stadt ohne Hotel
       gestrandet ist, weiß wieder, wie sich Kontrollverlust ohne Netz anfühlt.
       Das Internet hat viele Reisende zu kleinen Bausparern gemacht: Keine
       Straße, kein Must-see-Highlight, das man nicht schon vorher übers Netz
       inspizieren kann – inklusive Reiseberichten, wie es denn so war. Wer Action
       will, der kann ja raften gehen. Und wer im Netz nicht nachschauen mag,
       tapert der Lonely-Planet-Horde hinterher oder lernt die Inneneinrichtung
       von Bushaltestellen und Wartehallen kennen.
       
       Nicht Cyborg, überlegte ich weiter in dem ochsenblutroten Häuschen in den
       Bergen. Das Internet als Erfahrungs-Add-on fürs Hirn, das ist doch
       Transhumanismus. Die Optimierung des Menschen durch Technik. Oder so
       ähnlich. Leider wusste ich sonst nichts über diese Denkschule. Und konnte
       sie auch nicht googeln. Die Verbindung war einfach zu langsam.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Meike Laaff
   DIR Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
   DIR Senioren
       
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