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       # taz.de -- Provinz Vojvodina in Serbien: Ein Angriff auf die Autonomie
       
       > Das serbische Verfassungsgericht beschneidet die Rechte der
       > multiethnischen Provinz Vojvodina. Deren Vertreter bezeichnen das Urteil
       > als politisch und wollen sich wehren.
       
   IMG Bild: Im März blockierten Bauern die Straße zwischen Vojvodina und Belgrad.
       
       BELGRAD taz | „Welcome to Novi Sad, the capital of Vojvodina“ stand
       vergangene Woche während des internationalen Musikfestivals Exit auf der
       alten Burg. Es war kein Willkommensgruß für die rund 100.000 Zuschauer,
       sondern eine politische Botschaft: Kurz vor dem Beginn des Festivals hatte
       das serbische Verfassungsgericht die Autonomierechte der Vojvodina
       eingeschränkt und 25 Artikel des entsprechenden Gesetzes für
       verfassungswidrig erklärt.
       
       So darf Novi Sad nicht mehr „Hauptstadt der Vovodina“, sondern nur
       „administratives Zentrum“ genannt werden; die Vojvodina darf keine
       Vertretung in Brüssel haben und das Provinzparlament darf keine Gesetze
       verabschieden oder öffentliche Unternehmen verwalten.
       
       Die Direktion von Exit ist ebenso empört wie führende Politiker und die
       Mehrheit der Bürger der Provinz. Es sei „Quatsch, von separatistischen
       Bestrebungen der Vojvodina zu reden“, hört man von allen Seiten, Vojvodina
       wolle sich lediglich im Sinne eines Europas der Regionen entwickeln können.
       „Die wollen uns das Recht nehmen, eigenständig Fischereischeine
       auszustellen“, sagt Nenad Canak, Chef der Liga der Sozialdemokraten der
       Vojvodina.
       
       Man wolle mit einem Federstrich auslöschen, was die Vojvodina seit der
       demokratischen Wende vor zwölf Jahren erreicht habe. Die
       „Internationalisierung der Vojvodina-Frage“ sei unumgänglich, weil es in
       Serbien keine Instanz mehr gebe, die die Rechte der Bürger der Vojvodina
       schützen könne.
       
       Auch der Regierungschef der Vojvodina, Bojan Pajtic, sieht in dem Urteil
       eine „politische Entscheidung“. „Wir werden für die Rechte der Vojvodina
       kämpfen“, sagt Pajtic. Das Ziel sei gewesen, die Autonomie der Vojvodina
       einzuschränken, in der fast 30 Prozent der Bevölkerung Serbiens leben und
       fast 40 Prozent des wirtschaftlichen Potenzials liegen. Das Urteil sei das
       Ergebnis der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai. Danach sei eine
       Stimmung entstanden, die „die Kräfte aus den 1990er Jahren beflügelt“, sagt
       Pajtic.
       
       Im Mai hatte der Chef der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) Tomislav
       Nikolic gegen Boris Tadic die Präsidentschaftswahlen und die SNS die
       Parlamentswahlen gewonnen. Die SNS hatte sich zuvor von der
       ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) abgespalten. Nun
       steht eine neue Koalitionsregierung fest, zwischen der SNS, der von
       Slobodan Milosevic gegründeten Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und
       einem dritten Partner.
       
       Aus Sicht der Vojvodina, in der die DS im Parlament die absolute Mehrheit
       hat, ist das ein „Comeback der kriegshetzerischen Kräfte“. 1989 hatte
       Milosevic auf der Welle des serbischen Nationalismus die Autonomie der
       Vojvodina und des Kosovo aufgehoben. Seit seinem Fall 2000 kämpft die
       Vojvodina gegen den Belgrader Zentralismus. Für die „nationalen Kräfte“ hat
       das Gericht die „Entstehung eines Staates im Staat“ verhindert, die SNS
       fordert Neuwahlen in der Vojvodina. Auch der Präsident des
       Provinzparlaments vom Bund der Ungarn der Vojvodina, Istvan Pasztor, sagte
       Belgrad den Kampf an.
       
       19 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrej Ivanji
       
       ## TAGS
       
   DIR Regionalismus
   DIR Serbien
       
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