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       # taz.de -- Rockerkrieg in Berlin: "Extrem hierarchische Strukturen"
       
       > Ohne ihre Kutten sind Rocker nackt, sagt der Leiter des LKA, Christian
       > Steiof. Ein Gespräch über kriminelle Machenschaften und warum es so
       > schwerfällt, den Outlaws das Handwerk zu legen.
       
   IMG Bild: Mit ihnen ist nicht zu spaßen, weiß die Polizei.
       
       taz: Herr Steiof, nicht nur in Berlin verändert sich die Rockerszene
       zurzeit rasant. Namenswechsel, Auflösungen, Übertritte. Haben Sie noch den
       Überblick? 
       
       Christian Steiof: Die Polizei hat immer den Überblick. (lacht) 
       
       Hätten Sie wohl gerne. 
       
       Wir sind dicht dran. Schon immer.
       
       Ende Mai ist das Hells-Angels-Chapter Berlin City verboten worden. Was hat
       das denn gebracht? 
       
       Es ist nicht die allheilmachende Maßnahme, aber ein Baustein. Ich bin da
       ganz anderer Meinung als beispielsweise der innenpolitische Sprecher der
       Grünen, Benedikt Lux, der neulich eher abfällig meinte, das Verbot habe
       keine Auswirkung. Weil die Kutte das Symbol dieser Outlaws ist, tut es
       ihnen extrem weh, wenn wir ihnen verbieten, diese zu tragen. Ein Rocker
       ohne seine Kutte ist nackt. Nackt kann man nach außen nicht so einfach
       Macht demonstrieren.
       
       Wo steckt denn Kadir P., der Chef des verbotenen MCs Berlin City? 
       
       Wir haben ihn unter Beobachtung. Er treibt sich in Berlin an Orten herum,
       die relativ nah an seinem alten Vereinsheim in der Residenzstraße in
       Reinickendorf liegen. Er hat keine Kutte an und verhält sich ruhig.
       
       Halten Sie es für möglich, dass einer wie Kadir P. abschwört? 
       
       Kadir P. ist aus meiner Sicht kein überzeugter Rocker. Ihm dürfte es
       leichterfallen, auf die Kutte zu verzichten, als einem wirklich überzeugten
       Outlaw, der seit 20, 30 Jahren für die Sache lebt. Das muss nicht heißen,
       dass sich Kadir P. zwangsläufig zum Besseren bekehren lässt. Vielleicht
       wendet er sich einfach anderen Kriminalitätsfeldern mit anderen
       Verbindungen zu.
       
       Was verstehen Sie unter einem überzeugten Outlaw? 
       
       OMCG, das ist die internationale Polizeidefinition: Outlaw Motorcycle
       Gangs. Sie sind gegen staatliche Strukturen und gehorchen nur ihren eigenen
       Gesetzen. Sie nennen sich selbst „Onepercenter“ oder „1%er“ und tragen
       dieses Zeichen auch auf ihren Kutten. Die Hells Angels und Bandidos zählen
       sich ganz bewusst zu diesem einen Prozent.
       
       Aus den Gangs auszusteigen ist nicht einfach, heißt es. 
       
       Aussteigen ist eigentlich überhaupt nicht möglich, ohne dass man zum
       Freiwild erklärt wird. „Out in bad standing“ ist der Begriff. In den
       Chaptern oder Chartern herrscht eine absolute Diktatur. Wer gegen die
       Vereinsstatuten verstößt, indem er zum Beispiel mit der Polizei
       zusammenarbeitet oder redet oder sich bestimmten Weisungen des Präsidenten
       widersetzt, wird im Schlechten aus dem Club „geschmissen“ und zum „Abschuss
       freigegeben“.
       
       War das auch so bei Holger B., dem früheren Vereinsvorsitzenden des Hells
       Angels MC Nomads? 
       
       Nach unseren Erkenntnissen ist Holger B. 2008 „out in bad standing“ gesetzt
       worden. 2011 wurde auf ihn ein Anschlag verübt. Ob der MC dahintersteckt,
       ist bisher nicht geklärt.
       
       Ende Mai gab es in Berlin vier Bandidos-Chapter und drei Charter der Hells
       Angels sowie 25 Supporter-Groups. Wie ist das heute? 
       
       Zurzeit scheint es zwei Hells Angels Charter und drei bis vier Bandidos
       Chapter zu geben. Aber das ist kaum seriös zu sagen. Die Charter/Chapter
       ändern sich ständig. Auch der Bereich der Supporter ist erheblich
       verunsichert. Die schweben plötzlich im luftleeren Raum, wenn sich ihr
       Chapter auflöst.
       
       Um wie viele Personen handelt es sich ungefähr? 
       
       Wir rechnen in etwa mit 800 bis 1.000 Mitgliedern, darin sind aber auch die
       Supporter enthalten. 850 kennen wir namentlich.
       
       Sind die OMCGs verunsichert oder orientieren sie sich zurzeit einfach nur
       neu? 
       
       Ich würde sagen, beides. Es ist ja keine neue Erkenntnis, auch innerhalb
       der Motorrad-Clubs in Deutschland, dass die Länder vermehrt auf Verbote
       hinarbeiten. Eigentlich rechnen alle damit. Diese Selbstauflösungen sind
       nichts anderes als der Versuch, den befürchteten Verboten zu entgehen. Das
       sieht man auch in Niedersachsen. Hells Angels Hannover, der größte Club der
       Hells Angels in Deutschland mit dem Vorsitzenden Frank Hanebuth, hat sich
       aufgelöst. Die haben sich natürlich nicht faktisch aufgelöst. Sie versuchen
       nur, ein mögliches Verbot zu untergraben.
       
       Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hat Hanebuth von endgültiger Auflösung
       gesprochen. 
       
       In der Öffentlichkeitsarbeit sind die Hells Angels mittlerweile recht
       professionell. Ich glaube da nicht dran.
       
       Auch im Fall des kürzlich in Berlin niedergeschossenen Chefs der Hells
       Angels Nomads, André S., haben dessen Leute auf einer Pressekonferenz von
       einer Hetzkampagne gegen sich gesprochen. Sie seien harte Jungs, aber nicht
       kriminell. Was soll man glauben? 
       
       Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Sicherheitsbehörden Glauben schenken
       würden. Sich als die alten Motorradfreaks darzustellen, die ihren Enkeln am
       Lagerfeuer Geschichten erzählen, ist reine Propaganda. Weltweit,
       insbesondere aber auch deutschlandweit, sind Angehörige der Rocker in
       Straftaten ziemlicher Größenordnung verstrickt. Das geht von Zuhälterei
       über Rauschgifthandel bis zu gezielten Tötungsdelikten.
       
       Dennoch hat die Polizei erhebliche Schwierigkeiten, den Nachweis zu
       erbringen. 
       
       Das liegt zum Teil an diesen extrem hierarchischen Strukturen. Wenn ein
       Präsident oder ein Funktionärsmitglied eines solchen MCs Straftaten
       anordnet, heißt das noch lange nicht, dass er sie selbst ausführt. Da es
       ein Schweigegelübde – eine Omerta, um den Begriff aus dem mafiösen Bereich
       zu nehmen – gegenüber der Polizei gibt, wird es auch keinen geben, der uns
       gegenüber Angaben macht, wer wen mit einem Auftrag losgeschickt hat. Das
       ist eine extreme Schwierigkeit, das personell nachzuweisen.
       
       Kaum ein Tag vergeht, an dem Rocker nicht auffällig werden. Das geht von
       Schießereien untereinander bis zu Übergriffen auf Polizisten. 
       
       Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen können wir zumindest die Identitäten
       feststellen. Das heißt aber nicht, dass die Rockerclubs, die sich
       gegenseitig bekriegen, uns gegenüber Aussagen machen. Durch anderweitige
       Feststellungen können wir aber immerhin Bezüge herstellen zu Täter und
       Opfer.
       
       Das heißt, Sie arbeiten in der Rockerszene viel mit verdeckten Ermittlern? 
       
       Ich würde es so sagen: mit verdeckten Maßnahmen. Natürlich gibt es
       Möglichkeiten, angefangen von Observation oder Telefonüberwachung in
       einzelnen Ermittlungsverfahren. Das ist ein bunter Blumenstrauß von
       Maßnahmen, an die jeweilige Lage angepasst. Es gibt keine festen Standards.
       Zu taktischen Einzelheiten kann und werde ich hier natürlich nichts sagen.
       
       In der Zeit von 2004 bis 2011 hat die Polizei 1.532 Straftaten im
       Rockermilieu erfasst. 387 Jahre Freiheitsstrafe sind gegen Beschuldigte
       verhängt worden. Das hört sich erfolgreich an. 
       
       Klar, deshalb erzählen wir das ja auch. Letztendlich muss man feststellen,
       dass es sich dabei fast immer um Gewaltdelikte oder Betäubungsmittelhandel
       drehte. Delikte also, die per se von Staatsanwaltschaften und Gerichten mit
       Freiheitsstrafen bedacht werden.
       
       Den OMCGs wird nachgesagt, in die organisierte Kriminalität verstrickt zu
       sein. Wie verhält es sich damit? 
       
       Die kriminellen Geschäftsfelder, mit denen die Rocker insbesondere ihre
       Gelder machen, sind Rauschgift und Rotlicht. In Hannover ist es kein
       Geheimnis, dass Herr Hanebuth in etlichen Immobiliengeschäften steckt. Das
       ist aus unserer Sicht bei MCs hier in Berlin noch nicht der Fall. Wir tun
       auch alles dafür, dass es nicht dazu kommt. Wir haben vielleicht ein
       bisschen das Glück, dass unsere Rocker einen relativ ausschweifenden
       Lebensstil pflegen. Das heißt, eine extreme Anhäufung von Vermögen fällt da
       eigentlich nicht an. Das ist zumindest unsere Erfahrung – auch aus
       Finanzermittlungen.
       
       Mindestens eine Shisha-Bar und eine Gaststätte soll in Berlin im Besitz von
       Rockern sein. 
       
       In Einzelfällen mag das so sein, aber nicht so, dass man sagen könnte, das
       hat System. So etwas stellen wir bundesweit bei den Rockern noch nicht in
       größerem Umfang fest.
       
       Wie verhält es sich mit dem Gerücht, Hells Angels hätten versucht, sich in
       Geschäfte am Winterfeldtplatz einzukaufen? 
       
       Das habe ich auch gehört. Die Hells Angels, Bandidos, Gremium und wer da
       noch alles eine Rolle mit spielt, führen gegeneinander einen permanenten
       Kampf. Bisher waren ihre lokalen Bereiche in Berlin relativ aufgeteilt. Das
       sind die von uns festgestellten Versuche, ihre Einflussgebiete auszudehnen.
       Und da spielte auch der Winterfeldtplatz eine Rolle. Aber etabliert sind
       sie da nicht.
       
       Wem gehört der Straßenstrich in der Oranienburger Straße im Moment? 
       
       Im Bereich des Straßenstrichs hat es in den letzten Jahren einen Wechsel
       gegeben. Weg von einem gewissen bekannten Zuhälter hin zu den Hells Angels.
       Sie haben die kleinen Zuhälter, die es schon gab, ein bisschen an die Leine
       genommen. Das ist relativ schnelles Geld.
       
       Ist das immer noch so? 
       
       Den MC Berlin City haben wir durch das Verbot ein bisschen auf den Boden
       der Tatsachen gebracht.
       
       Der Einsatz gegen die Rocker scheint für die Polizei ziemlich
       personalintensiv zu sein. 
       
       Im Moment bindet das viele Kräfte, weil wir insbesondere in der stadtweiten
       Aufklärung viele Beamte eingesetzt haben, um zu sehen, wer wo auftaucht,
       wer sich wo zusammenfindet. Ob die verbotenen Hells Angels verbotene Kutten
       tragen. Ein Verbot nutzt ja nur, wenn man guckt, ob es umgesetzt bleibt.
       Bislang haben wir aber noch keinen einzigen mit einer verbotenen Kutte
       erwischt.
       
       Dafür gibt es ständig Reibereien. In der Residenzstraße haben Rocker
       Polizisten in einem Lokal letzte Woche von innen die Tür zugehalten. 
       
       Hat ihnen aber nichts genutzt. Wir lassen uns doch nicht aussperren. Da ist
       eine Einsatzhundertschaft dazugeholt worden, und dann ist man durch die Tür
       rein, ganz klar. Das ist wie bei kleinen Kindern. Die gehen auch immer an
       die Grenze. Immer.
       
       Das hätten wir gern genauer. 
       
       Rocker kann man nur beeindrucken, wenn man die Toleranzschwelle
       polizeilicherseits so tief wie möglich ansetzt. Dazu gehören auch
       niedrigschwellige Maßnahmen. Das heißt, sie müssen fleißig zahlen, wenn man
       bei ihnen ein verbotenes Messer findet. Wenn sie verkehrswidrig parken,
       bekommen sie sofort Strafzettel, oder das Auto oder Motorrad wird
       umgesetzt.
       
       13 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
   DIR Plutonia Plarre
       
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