URI: 
       # taz.de -- Streit um Bankenrettung: Wenn 300 Ökonomen streiten
       
       > Es gibt keine Mehrheitsmeinung, was die volkswirtschaftlich beste Lösung
       > der Eurokrise wäre – aber immerhin eine rege Debatte. Für die Politik ist
       > das gar nicht schlecht.
       
   IMG Bild: Steile Thesen: Hans-Werner Sinn und andere Ökonomen kritisierten die geplanten Bankenhilfen.
       
       BERLIN taz | Fast 300 Ökonomen sind inzwischen in einen Streit verwickelt,
       der die Zunft spaltet. Dabei geht es um die Frage, ob die Eurozone marode
       Banken retten soll. Drei Papiere liegen vor, aber es ist nicht
       auszuschließen, dass noch weitere Memoranden erstellt werden.
       
       Es begann mit einem [1][„Protestaufruf“ von 172 Ökonomen], der am
       Donnerstag in der FAZ erschien und unter anderem von Ifo-Chef Hans-Werner
       Sinn unterzeichnet war. In ihrem offenen Brief wandten sich die Ökonomen
       gegen die Bankenunion, die auf dem EU-Gipfel Ende Juni beschlossen worden
       war.
       
       Denn dann würden „die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch
       soliden Länder“ für die „mehrere Billionen Euro“ haften, die die
       Bankschulden in den Krisenländern ausmachten.
       
       Implizit warfen die Unterzeichner den deutschen Politikern Naivität vor:
       Sie lieferten sich den Schuldnerländern aus, die „über die strukturelle
       Mehrheit im Euroraum verfügen“. Stattdessen fordern die 172 Ökonomen:
       „Banken müssen scheitern dürfen.“ Sonst wäre nur der Wall Street, der City
       of London, einigen Investoren in Deutschland und den maroden Banken
       geholfen.
       
       ## Nationale Klischees statt Begründungen
       
       Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. Am Freitag veröffentlichten
       sieben prominente Volkswirte eine [2][Gegenposition im] [3][Handelsblatt].
       Zentraler Vorwurf: Es sei „nicht die Aufgabe von Ökonomen, mit
       Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees
       geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu
       verunsichern“. Dies schade dem Ansehen des Fachs.
       
       Zudem vermissen die sieben eine stichhaltige Begründung: Es würden Ängste
       geschürt, „ohne dass dies mit den erforderlichen Fakten unterlegt wird“.
       Die Gipfelbeschlüsse ließen eine „Dramatisierung definitiv nicht zu“. Die
       Europäer hätten nur beschlossen, das sehr erfolgreiche Bankenrettungsmodell
       der USA zu übernehmen.
       
       An diesem Konter war nicht nur seine Vehemenz bemerkenswert, sondern auch
       die Zusammensetzung der Autoren. Die sieben Ökonomen gehören sonst sehr
       unterschiedlichen Denkrichtungen an. Um nur einige zu nennen: Gustav Horn
       und der Wirtschaftsweise Peter Bofinger lassen sich zu den Neokeynesianern
       zählen, während Michael Hüther Chef des arbeitgebernahen Instituts der
       deutschen Wirtschaft ist und die Neoklassik mit ihrem Glauben an den freien
       Markt vertritt.
       
       Am späten Freitag machte dann ein weiteres [4][Papier die Runde], das
       wieder von knapp 100 Ökonomen unterzeichnet wurde. Darunter ebenso der
       international sehr bekannte Martin Hellwig, die ehemalige Wirtschaftsweise
       Beatrice Weber de Mauro, Dennis Snower vom Kieler Institut für
       Weltwirtschaft und Gert Wagner vom Deutschen Institut für
       Wirtschaftsforschung.
       
       ## Abwicklung weitgehend ohne Steuermittel
       
       Sie versuchen, einen konkreten Vorschlag für eine europäische Bankenunion
       vorzulegen. Kernforderung: Die Gläubiger von maroden Banken sollen haften,
       indem ihre Forderungen an die Bank in Eigenkapital umgewandelt werden –
       „sodass die Abwicklung von Banken weitestgehend ohne Steuermittel auskommen
       kann“.
       
       Die Politik reagiert empört bis ratlos auf diesen Ökonomenstreit.
       Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warf den Volkswirten rund um Sinn
       vor, den Begriff „Bankschulden“ unpräzise zu verwenden. Denn sobald ein
       Sparer Geld anlege, sei dies eine Schuld seiner Bank, die ihm dieses
       Vermögen ja irgendwann wieder zurückzahlen müsse. Die Ökonomen verwirrten
       die Öffentlichkeit damit vorsätzlich. „Finanzwissenschaftler sollten mit
       dem Begriff Bankschulden verantwortlich umgehen.“
       
       Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wies darauf hin, dass die Politik
       allein entscheiden muss, wenn sich die Experten nicht einigen können. „Von
       allen denkbaren Verfahren in der Bewältigung dieser Krise in den
       vergangenen Monaten ist das am wenigsten taugliche die Umsetzung von
       Expertenempfehlungen gewesen.“ Würde die Politik den Ökonomen folgen, müsse
       sie „ihre Entscheidungsunfähigkeit zu Protokoll geben.“
       
       8 Jul 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/protestaufruf-der-offene-brief-der-oekonomen-im-wortlaut-11810652.html
   DIR [2] http://www.handelsblatt.com/politik/international/gegenposition-im-wortlaut-keine-schreckgespenster/6846830.html
   DIR [3] http://www.handelsblatt.com/politik/international/gegenposition-im-wortlaut-keine-schreckgespenster/6846830.html
   DIR [4] http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/nachrichten/volkswirtschaftslehre-oekonomenaufruf-warum-wir-nicht-dabei-sind/3169684.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neues Buch von Hans Werner Sinn: Von wegen goldene Kreditkarte
       
       Wer ist schuld an der Krise? Für den Ökonomen Hans-Werner Sinn sind die
       Feindbilder klar. Das ist auch in seinem neuen Buch, „Die Target-Falle“,
       so.
       
   DIR Kommentar Euro-Finanzminister: Lang getagt und nichts beschlossen
       
       Die Finanzminister der Eurozone haben sich die Nacht um die Ohren
       geschlagen. Die Ergebnisse sind dürftig: Statt Beschlüsse zu fassen, wurde
       lediglich die Gegenwart interpretiert.
       
   DIR Europa in der Krise: Der verlorene Marktplatz
       
       Die Finanzkrise, die Krise der Demokratie und der deutsche
       Finanznationalismus sorgen für hässliche Vorurteile. Was hält Europa im
       Kern zusammen?
       
   DIR Kommentar Streit Ökonomen: Das Ende der Wahrheiten
       
       Auch für die Politik ist es heilsam, die Volkswirte im totalen Streit zu
       erleben. Denn bisher wurde allzu sehr auf die Expertokratie gesetzt.
       
   DIR Kommentar Appell Wirtschaftsprofessoren: Politischer Muntermacher
       
       Der Appell der 172 Wirtschaftsprofessoren ist ein wichtiger Schritt der
       ökonomischen Alphabetisierung. Das Papier ist ein Beitrag zur Aufklärung.
       
   DIR Experten zoffen sich um die Euro-Rettung: „Sarrazin der Ökonomie“
       
       Der linke Wirschaftwissenschaftler Rudolf Hickel wirft den Kritikern der
       Euro-Beschlüsse „Links-Rechts-Populismus“ vor. Nötig sei eine bessere
       Banken-Kontrolle in Europa.
       
   DIR Widerstand gegen ESM-Vertrag: Klagen für Karlsruhe
       
       Das Bundesverfassungsgericht muss zügig einen Eilbeschluss zu ESM-Vertrag
       und Fiskalpakt vorbereiten. Der Bundespräsident will Gesetze vorerst nicht
       unterschreiben.