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       # taz.de -- Das Ende von Acta: Sieg der Straße
       
       > Lange interessierte der geplante Pakt niemanden. Doch dann wuchs eine
       > Protestwelle gegen Acta, der sich das EU-Parlament schließlich beugen
       > musste.
       
   IMG Bild: Mit Anonymous-Masken protestieren diese polnischen Abgeordneten dagegen, dass die Regierung in Warschau Acta beitreten wollte.
       
       BERLIN/BRÜSSEL taz | Es ist ein Triumph für alle, die in den letzten
       Monaten gegen das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen Acta protestiert
       haben: Heute werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über das
       Abkommen abstimmen. Und derzeit sieht alles danach aus, als würden sie es
       endgültig beerdigen.
       
       Dass es so gekommen ist, überrascht selbst Netzaktivisten wie den Grünen
       Markus Beckedahl, die Acta schon länger wegen seiner Intransparenz
       kritisiert hatten. Sie fürchteten, die Telekommunikationsfirmen könnten
       künftig als Hilfspolizisten benutzt werden, um Urheberrechtsverstöße ihrer
       Kunden aufzuspüren (siehe Kasten).
       
       Ende Dezember 2011 habe er mit etwa zwanzig aktiven internationalen
       Acta-Gegner auf einem Kongress in Berlin zusammengesessen: „Wir waren
       ziemlich frustriert, weil sich niemand dafür interessierte.“ Kein Wunder,
       wenn es um ein internationales Handelsabkommen geht, über das wenig zu
       lesen war, weil es im Geheimen ausgehandelt wurde und dessen Inhalt so
       schwammig ist, dass selbst Experten Interpretationsschwierigkeiten hatten.
       
       Doch dann formierte sich in den USA Protest gegen den dortigen Stop Online
       Piracy Act (Sopa), der genau wie Acta den Schutz von geistigem Eigentum im
       Netz durchsetzen sollte. Digitalaktivisten, IT-Unternehmen und
       einflussreiche Webseiten kritisierten dies scharf. Besonders der „Sopa
       Blackout Day“ am 18. Januar sorgte international für Aufsehen – der Tag, an
       dem unter anderem die englischsprachige Wikipedia nur Erklärungen gegen
       Sopa zeigte. Den Schwung nutzten Acta-Gegner in Europa – und endlich
       stießen sie auf Gehör, vor allem beim jungen, netzaffinen Publikum.
       
       ## Thema auf den Titelseiten
       
       Zuerst protestierten die Polen. Keine Woche nach dem „Sopa Blackout Day“
       gingen dort Zehntausende gegen Acta auf die Straße. Das Abkommen war
       plötzlich europaweit ein Thema auf den Titelseiten – und im Netz: Ein
       veraltetes, alarmistisches Video der Hackergruppe Anonymous, das vor
       Passagen warnte, die längst aus dem Acta-Text gestrichen waren, wurde
       millionenfach geklickt. In Deutschland mobilisierte die Piratenpartei,
       ebenso wie einflussreiche Youtube-Blogger.
       
       Am 11. Februar kamen europaweit in mehr als 200 Städten Hunderttausende bei
       klirrender Kälte zu Demos. „Das ist ein Momentum, das man so nicht planen
       kann“, sagt Beckedahl. Die Politik reagierte überrascht auf den
       unerwarteten Widerstand – aber sie reagierte. Bundesjustizministerin Sabine
       Leutheusser-Schnarrenberger gab bekannt, Acta nicht unterzeichnen zu
       wollen. Vorerst.
       
       Während die Straßenproteste gegen Acta sich in den folgenden Wochen
       ausdünnten, starteten die Netzaktivisten die zweite Offensive: Aus vielen
       EU-Ländern chrieben Netzaktivisten Abgeordneten Mails, riefen in ihren
       Büros an, organisierten Veranstaltungen und Kundgebungen. „Der enge Kern
       kennt sich schon seit unseren Protesten gegen Softwarepatente“, sagt
       Beckedahl. Gegen die hatten sie bis 2005 erfolgreich bei EU-Politikern
       argumentiert. Diese Strukturen werden auch nach den Acta-Protesten nicht
       zerfallen, sagt Beckedahl.
       
       Die Welle des Protests in den folgenden Monaten war für die Abgeordneten
       des Europäischen Parlaments bemerkenswert, denn gewöhnlich bekommen sie nur
       sehr wenig Feedback ihrer Wähler. „Seit Anfang des Jahres bekommen wir jede
       Woche Hunderte von E-Mails gegen Acta, und zwar ganz persönliche, nicht nur
       Massenmails. Auch auf der Straße sprechen mich Leute auf Acta an“, sagt der
       grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. „Solch ein Interesse an unserer
       Arbeit ist eine Seltenheit.“
       
       ## Gemeinsame europäische Öffentlichkeit
       
       Plötzlich entstand, was der Europäischen Union sonst meistens fehlt: eine
       gemeinsame europäische Öffentlichkeit. Acta-Gegner aus halb Europa wandten
       sich an das einzige tatsächlich demokratisch gewählte Gremium der EU – das
       Parlament.
       
       Albrecht hatte schon 2011 versucht, an geheime Acta-Verhandlungsdokumente
       zu kommen – zunächst ohne Erfolg. Die Regierungen sträubten sich. Eine
       breite Debatte entstand im Parlament erst, als die Menschen gegen Acta auf
       die Straße gingen und das Abkommen fast zeitgleich Mitte Januar ins
       EU-Parlament kam.
       
       Mehrmals gab es Demonstrationen während der Parlamentssitzungen in
       Straßburg, nach und nach entschieden sich immer mehr Fraktionen, Acta
       abzulehnen: Erst die Linke und die Grünen, die das Abkommen schon vor den
       Protesten negativ beurteilt hatten, dann die Sozialdemokraten und
       schließlich große Teile der Liberalen. Sogar einige Konservative aus
       Südosteuropa wollen heute gegen das Abkommen stimmen.
       
       „Jahrelang haben sich nur wenige Spezialisten für Acta interessiert. Die
       massiven Proteste haben dafür gesorgt, dass sich die Abgeordneten mit dem
       Thema auseinandersetzen mussten“, sagt Albrecht. Und weil viele keine
       Ahnung hatten, war die Chance der Kritiker um so größer, mit ihrer Kritik
       zu überzeugen.
       
       Eine Chance, die die Acta-Gegner nutzten: Alle fünf zuständigen Ausschüsse
       des Europäischen Parlaments votierten in den vergangenen Monaten dagegen.
       Seitdem herrscht im Netz eine euphorische Stimmung. Denn den
       Netzbürgerrechtlern ist klar: Acta war nicht ihre letzte Schlacht ums
       Urheberrecht.
       
       3 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR R. Reichstein
   DIR M. Laaff
       
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