URI: 
       # taz.de -- Schulschwimmen: Eine erbitterte Wasserschlacht
       
       > Muslimische Eltern aus Bremen ziehen vors Bundesverfassungsgericht, weil
       > sie ihre neunjährige Tochter vom Schwimmunterricht befreien wollen.
       
   IMG Bild: Schulschwimmen: für manche Muslime nicht akzeptabel.
       
       HAMBURG | taz Alle Anläufe sind gescheitert. Mit dem Versuch, ihre
       neunjährige Tochter durch eine einstweilige Anordnung vom Schwimmunterricht
       der dritten Klasse befreien zu lassen, war eine Bremer Familie vor dem
       Oberverwaltungsgericht (OVG) gescheitert. Nun rufen sie das
       Bundesverfassungsgericht an.
       
       Am 13. Juni hat das OVG Bremen entschieden, dass die Drittklässlerin am
       Schwimmunterricht teilnehmen muss. Das Gericht vertritt die
       Rechtsauffassung, dass muslimische Schülerinnen erst nach Einsetzen der
       Pubertät Anspruch auf eine Befreiung hätten.
       
       Diesen Zeitpunkt setzt das Gericht mit der Vollendung des zwölften
       Lebensjahres an. Erst dann könne die Teilnahme am Unterricht sie „in einen
       persönlichen Gewissenskonflikt bringen“. Dieser Konflikt sei laut OVG im
       Grundschulalter nicht zu erwarten.
       
       Nach der Koran-Auslegung, der die Eltern folgen, erreicht das Mädchen
       spätestens mit neun im Kalender üblichen Mondjahren die religiöse Reife,
       das entspricht achteinhalb Sonnenjahren. Damit gehe auch die
       Kleidervorschrift einher, die zwar eine Teilnahme am Sportunterricht in
       weiter Kleidung möglich mache, nicht aber am gemischten Schwimmunterricht.
       
       „Unsere Tochter kann bereits schwimmen!“, beteuert der gebürtige Jordanier.
       Seit 33 Jahren lebt er hier. Seine Frau ist in Halle geboren. „Unsere
       Tochter geht regelmäßig zu Privatstunden in Gröpelingen. Da sind dann auch
       nur Mädchen, keine Jungs“, sagt er. Und um mehr gehe es der Familie auch
       nicht. Sie wollten ihre Tochter nicht im gemischten Schwimmunterricht
       haben.
       
       Deshalb trug auch der Vorschlag des OVG, ihre Tochter könne doch einen
       Ganzkörperanzug, den so genannten Burkini, tragen, nicht zur Lösung des
       Konfliktes bei. Denn: „Trotzdem schwimmt sie dann mit Jungs!“, sagt der
       Vater des Mädchens.
       
       Das von der Stadt verhängte Bußgeld in Höhe von 150 Euro könne und wolle er
       nicht zahlen. „Ich bin ein einfacher Arbeiter, wie soll ich das bezahlen?“,
       sagt der Vater von sieben Kindern. Seine Tochter fühle sich außerdem nicht
       wohl im Wasser. Sie sei schon oft mit Schwindelgefühl, Bauchschmerzen und
       Erbrechen von den privaten Schwimmstunden gekommen und habe ärztlich
       behandelt werden müssen.
       
       „Sie hat Angst vor dem Wasser. Das haben wir versucht, auch den Lehrern zu
       erklären, aber sie wollen es nicht verstehen“, sagt der Vater. „Man kann
       doch sein Kind nicht dazu zwingen, etwas zu tun, was es nicht will. Das
       sollte man mit keinem tun!“
       
       Karla Götz, Sprecherin der Senatorin für Bildung, zeigt wenig Verständnis
       für die Klage. „Der Schwimmunterricht in der dritten Klasse ist sehr
       wichtig und dient der Sicherheit und Zukunft des Kindes.“ 86 Prozent der
       Schüler könnten nach dem Schulunterricht schwimmen. Und auch wenn Kinder
       schwimmen können, oder „behauptet wird, das Kind könne schwimmen“, hätten
       sie am Unterricht teilzunehmen. Weigerungen habe es bisher selten gegeben.
       Zu dem Fall selbst will sie sich nicht äußern.
       
       Matthias Westerholt, Fachanwalt für Familienrecht aus Bremen, vertritt die
       Familie. „Die Behörden wollen weiter Druck machen und mit einem
       Zwangsbescheid erreichen, dass sie ihr Kind zum Schwimmunterricht
       schicken“, sagte er der taz. Dieses Zwangsgeld kann sich auf 500 Euro und
       mehr belaufen. Dagegen will Westerholt jetzt Verfassungsbeschwerde
       einreichen.
       
       Kurios: Die Pflicht zur Teilnahme am Schwimmunterricht gilt nur noch bis zu
       den Sommerferien. Danach wird es keinen verpflichtenden Schwimmunterricht
       mehr im regulären Sportunterricht geben. Die Schüler können dann zwischen
       Kursen wählen.
       
       Am 23. Juli beginnen in Bremen die Sommerferien und die Tochter kommt in
       die vierte Klasse. Bis dahin bleibt es ein erbitterter Kampf um zwei
       Schwimmstunden, an denen die Neunjährige noch teilnehmen soll. „Wenn wir
       bis zu den Sommerferien keine Lösung gefunden haben, kann man nur noch
       theoretisch über diesen Fall diskutieren“, sagt Westerholt. „Eins ist aber
       klar: Die Eltern werden auf jeden Fall nicht einknicken.“
       
       2 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yasmina Sayhi
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwimmen lernen
   DIR Kanzlerkandidatur
   DIR Familie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schwimmkenntnisse bei Bremer Kindern: Seepferdchen reicht nicht
       
       Um die Schwimmkenntnisse bei Kindern ist es schlecht bestellt: Das zeigen
       nicht nur die inzwischen sechs Bremer Badetoten, sondern auch eine
       Forsa-Umfrage.
       
   DIR Kommentar Getrennter Sportunterricht: Der Fettnapf, der keiner ist
       
       Getrennter Sportunterricht wird vom Verwaltungsgericht als Lösung für
       religiöse Bedenken gegen eine Koedukation empfohlen.
       
   DIR Frühe Pubertät: Frühreif – mit Spätfolgen
       
       Kinder kommen zu früh in die Pubertät. Das kann nicht nur zu psychischen
       Problemen führen, auch Krebs im Erwachsenenalter droht.
       
   DIR Kommentar biologische Väter: Vater bleibt, wer sich kümmert
       
       Das Kabinett beschließt einen Gesetzentwurf, mit dem die Rechte
       biologischer Väter gestärkt werden. Eltern sollten ihren Kindern mehr
       zutrauen.
       
   DIR Muslimische Schülerin verlässt Schule: Anblick von Badehosen unerwünscht
       
       Der Streit um die Teilnahme am Schwimmunterricht endet für ein muslimisches
       Mädchen mit dem Schulwechsel. Ein Burkini war den Eltern nicht genug der
       religiösen Observanz.
       
   DIR Urteil zu Schwimmunterricht: Burkini ist zumutbar
       
       Ein muslimisches Mädchen muss am Schwimmunterricht mit Jungen teilnehmen.
       Das Tragen eines Burkinis sei zumutbar, urteilte das Verwaltungsgericht
       Kassel.
       
   DIR Kommentar Schwimmpflicht: Es geht ums Prinzip
       
       Wenn Kinder nachweislich schwimmen können, hat der Staat seine Pflicht
       getan.