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       # taz.de -- Paralympische Spiele: "Eine Querschnittslähmung ist deutlich"
       
       > Der Leiter der deutschen Delegation der Paralympics, Karl Quade, über
       > Professionalisierung, Betrug und Doping im Behindertensport.
       
   IMG Bild: Ungleiches Duell: Der britische Premier David Cameron (l.) spielt am Paralympic Day Tennis gegen einen Spieler im Rollstuhl
       
       Herr Quade, können die Paralympics in London die Pekinger Spiele von 2008
       toppen? 
       
       Karl Quade: Die Spiele werden immer schwerer zu toppen, gerade 2000 und
       2008 waren großartig organisierte Veranstaltungen. Deshalb können wir
       sicherlich eine perfekte Organisation und ein größeres Interesse von den
       Zuschauern und Medien erwarten. Das hat auch mit der immer größeren
       Professionalisierung der einzelnen Sportarten zu tun.
       
       Welche Auswirkungen hat das auf die Sportler? 
       
       Der Aufwand, den Sportler für die Qualifikation für paralympische Spiele
       betreiben müssen, ist größer geworden. Gleichzeitig gibt es auch immer mehr
       Sportler, die ihren Sport professionell betreiben. Damit meine ich das
       Training, nicht die Verdienstmöglichkeiten. Es gab zwar schon immer
       einzelne Athleten, die sich hundertprozentig auf ihren Sport konzentriert
       haben. Aber heute kann man nur noch erfolgreich sein, wenn der Sport der
       Lebensmittelpunkt ist.
       
       Finanziell ist diese Professionalisierung aber nicht so fortgeschritten? 
       
       Wir haben leider erst spät mit dem Ausbau von dualen Karrieren angefangen.
       Inzwischen wurden aber einige Programme zur Besserung dieser Situation
       geschaffen. Seit 2006 gibt es zum Beispiel die Möglichkeit für Athletinnen
       und Athleten, in Bundesbehörden zu arbeiten. Diese Option haben schon elf
       unserer Sportler genutzt. Hier sind die Rahmenbedingungen natürlich ideal,
       die finanzielle Versorgung stimmt und den Athleten wird ermöglicht, zu
       trainieren.
       
       Es gibt außerdem noch das Programm „Top Team“, dabei werden die
       Arbeitszeitausfälle von derzeit 54 Athleten für ihre Arbeitgeber finanziell
       ausgeglichen. Insgesamt würde ich schätzen, dass 30 bis 40 Prozent unserer
       Athleten sich unter solchen guten Rahmenbedingungen vorbereiten können.
       
       Wie werden die Athleten eigentlich klassifiziert? 
       
       Das Thema ist schon älter als die Idee von den paralympischen Spielen. Die
       Klassifizierung, also die Einordnung und Bewertung des Grades der
       Behinderung der Athleten, ist kein rein medizinischer Prozess, sondern hat
       auch funktionale Aspekte. Wie dauerhaft diese Einordnung ist, hängt stark
       von der Behinderung ab.
       
       Permanent sind zum Beispiel Amputationen, anders ist es aber bei
       Behinderungen, die sich verschlimmern oder reduzieren können. Hier werden
       die Klassifizierungen nur temporär vergeben. Zum Beispiel gilt das bei
       Augenerkrankungen, die werden in der Regel immer schlimmer.
       
       Wer führt diese Klassifizierungen durch? 
       
       Die Einordnung der Athleten findet in Spezialisten-Teams aus
       Klassifizierern statt. Das sind meistens Physiotherapeuten oder Fachärzte
       mit einer entsprechend langwierigen Fortbildung. Die Klassifizierungslizenz
       wird von uns als nationalem Verband und dem internationalen Paralympischen
       Komitee vergeben.
       
       Welche Schwierigkeiten gibt es dabei? 
       
       Alle sehbehinderten Athleten müssen ein Attest von einem speziellen
       Augenarzt vorlegen, auf dessen Grundlage klassifiziert wird. Schwierig ist
       auch die Einordnung von Spastiken. Bei der leichtesten Form können die
       Athleten im Stehen starten und bei der schwersten nur im Rollstuhl.
       Allerdings kann sich die Ausprägung der Spastik unter Stress im
       Zusammenhang mit Adrenalin und Laktat noch verschlimmern. Um zu
       unterscheiden, was Behinderung und was Wettkampfstress ist, braucht es viel
       Erfahrung.
       
       Es gab auch schon Fälle, in denen Behinderungen vorgetäuscht wurden. 
       
       Der derzeit bekannteste Fall ist sicherlich Monique van der Vorst im
       Handbiking. Bei über 70.000 klassifizierten Athleten in der Geschichte der
       Paralympischen Spiele können auch Fehler vorkommen. Um die zu verhindern,
       wurde das System immer mehr erweitert. Zum Beispiel wird bei Schwimmern
       nicht nur ein Funktionstest an Land durchgeführt, sondern auch
       Wettkampfbeobachtungen. Gleichzeitig wird der Betrug bei der
       Klassifizierung im Strafenkatalog inzwischen mit Sanktionen belegt.
       
       Ist Monique van der Vorst ein Einzelfall oder ist die Simulation von
       Behinderungen ein flächendeckendes Problem? 
       
       Ich glaube nicht, dass man von einem flächendeckenden Problem sprechen
       könnte. Das System der Klassifizierung ist international und national mit
       einem Expertennetzwerk sehr gut ausgereift und macht deshalb den Betrug
       sehr schwer. Außerdem sind viele Behinderungen im Befund deutlich. Eine
       hundertprozentige Querschnittslähmung ist deutlich zu sehen, und wenn dann
       ein Athlet mit 50 cm Oberschenkelumfang zu den Ärzten kommt, werden die
       schon sehr genau hinschauen.
       
       Wird im Behindertensport auch gedopt? 
       
       Es gab auch schon einige Dopingfälle bei paralympischen Spielen.
       Hervorgetan haben sich dabei vor allem Gewichtheber, ähnlich wie also bei
       den Olympischen Spielen. Diese Disziplin stand sogar kurz davor, aus dem
       Programm der Spiele zu fliegen. Für den olympischen Gedanken sind solche
       Vorkommnisse natürlich sehr unangenehm.
       
       Wie streng sind die Dopingkontrollen? 
       
       Wenn unsere Athleten im August britischen Boden betreten, können sie sofort
       zur Dopingkontrolle gebeten werden. Aber auch vor den Spielen, im Training
       oder bei Wettkämpfen wird regelmäßig auf verbotene Substanzen getestet. Bei
       uns gibt es lediglich Sonderregelungen für die Kontrolle bei
       Rollstuhlsportlern und bei Vollblinden, da die Urin-Abgabe nicht wie bei
       Menschen ohne Behinderung durchgeführt werden kann. Sonst gelten aber die
       gleichen Regeln und Sanktionen wie bei den olympischen Spielen.
       
       Also keine falsche Rücksichtnahme, wie vor einigen Jahren noch kritisiert
       wurde? 
       
       Nein, keinesfalls. In Deutschland kam dieser Vorwurf früher häufiger vor,
       weil wir die Kontrollen aufgrund der spezifischen Anforderungen noch vom
       Verband aus selbst gemacht haben. Inzwischen liegt die Durchführung der
       Trainingskontrollen bei der Nationalen Antidopingagentur.
       
       1 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birk Grüling
       
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