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       # taz.de -- Kolumne B-Note: Das Wunder von Warschau
       
       > Wirtschaftswunder, religiöse Wunder, Fußballwunder: Wo sonst soll es die
       > geben, wenn nicht in Polen? Das schönste Wunder dieser EM war aber von
       > viel schlichterer Natur.
       
       Wunder gibt es immer wieder. Nur diesmal haben die Fußballer Polen, der
       Ukraine und Deutschlands vergebens darauf gehofft. Die einen träumten vom
       Einzug ins Viertelfinale der EM, die anderen wollten hoher hinaus und
       endlich einmal die Italiener bei einem wichtigen Fußballturnier besiegen.
       Es hat nicht geklappt. Dabei ist Polen wirklich das Land, in dem all diese
       Träume hätten wahr werden müssen. Denn wo, wenn nicht in Polen?
       
       Schon Spiegel Online bezeichnete Polen kurz vorm Turnier als
       „Wirtschaftswunderland“. Und wirklich ist es so, dass in kaum einem anderen
       Land Europas so viele Wunder geschehen. Woran das liegt, ist rational kaum
       zu erklären. Weil so viele Polen an Wunder glauben und sie jede
       „Erscheinung“ als einen Fingerzeig Gottes deuten? Weil allein schon der
       Wunderglaube Wunder bewirkt?
       
       Ganz falsch ist es offenbar, das Wunder zu beschwören, das haben die
       erfolglosen Ukrainer, Polen und Deutschen erleben müssen. Wunder passieren
       wohl einfach so. Sie kommen und gehen, wie es ihnen passt. So wie auch das
       Wirtschaftswunder in Polen. Sicher hatten die Polen hart gearbeitet, um die
       Transformation von der Plan- in die Marktwirtschaft gut zu überstehen und
       dann an die Wohlstandsgesellschaften des Westen aufzuschließen.
       
       Doch als sie sich mitten in der Banken- und Finanzkrise einmal umsahen,
       waren sie die einzige „grüne Insel“ mit Wachstumsraten, während der Rest
       des Kontinents in roten Zahlen ertrank. Nicht nur der Westen rieb sich die
       Augen, hatte man doch mit „polnischer Wirtschaft“ über Jahre hin etwas ganz
       anderes verbunden. Auch die Polen selbst staunten über sich selbst: „Ein
       Wunder!“
       
       Ungünstig scheint es auch zu sein, an alte Wunder zu erinnern, um eine
       Wiederholung zu provozieren. Gründlich schief ging dies zumindest im Fall
       des „Wunders an der Weichsel“. Newsweek Polska hatte Trainer Franciszek
       Smuda in die Uniform Marschall Pilsudskis gesteckt, obwohl es doch um ein
       Fußballspiel zwischen Russen und Polen ging, nicht um einen Krieg wie 1920.
       Es kam tatsächlich zu einer Schlacht – von polnischen und russischen
       Hooligans auf der Poniatowski-Brücke.
       
       Das Wunder, das tatsächlich geschah, war wieder eines, mit dem kaum jemand
       gerechnet hatte: Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine
       war ein wunderbares Fest! Selten hat man in den beiden Ländern eine so
       unbeschwerte Freude gesehen, einen solchen Karneval der Nationen und eine
       so große Lust, aufeinander zuzugehen und sich kennenzulernen. In 13
       Sprachen danken die Polen ihren Fans in Warschau: dziekuje, merci, thank
       you, danke, djakuju, grazie, takke, grazias …
       
       30 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
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