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       # taz.de -- Kommentar Islamistencheckliste: Beim Bauche des Propheten
       
       > Der Islamisten-Check des Verfassungsschutzes ist ein Irrweg. Er wird
       > keine Verbrechen verhindern, dafür aber die Diskriminierung verstärken.
       
   IMG Bild: Was in dem Kopf vorgeht, würde der Verfassungsschutz gerne wissen: Junge beim Freitagsgebet in Berlin.
       
       Der Versuch wirkt hilflos und er ist kontraproduktiv. Der niedersächsische
       Verfassungsschutz hat in seiner Brüschüre "Radikalisierungsprozesse im
       Bereich des islamistsichen Extremismus und Terrorismus" eine Checkliste mit
       „Radikalisierungsmerkmalen“ aufgestellt.
       
       Sie beginnt mit „zunehmend strengere Religionsausübung“ und endet nach 21
       Punkten mit „veränderte finanzielle Situation“. Dazwischen finden sich
       offensichtliche Punkte wie „Besuch radikaler Moscheen“ und weitere
       Merkwürdigkeiten wie "Gewichtsverlust durch veränderte Essgewohnheiten".
       
       Nun ist die Frage nach Radikalisierungsmerkmalen nicht von vornherein
       unberechtigt. Wenn sich islamistischer Terror vornehmlich gegen „weiche
       Ziele“ wie öffentliche Verkehrsmittel richtet und Selbstmordattentäter
       dabei den eigenen Tod in Kauf nehmen, dann können sich die
       Sicherheitsbehörden nicht auf die nachträgliche Aufklärung solcher
       Anschläge oder den Schutz von Anschlagszielen beschränken.
       
       Sie müssen also versuchen, potenzielle Gefährder frühzeitig zu erkennen, um
       festzustellen, wann diese zum Beispiel mit der Herstellung von Sprengstoff
       beginnen. Das hat in Deutschland bisher auch einigermaßen gut funktioniert.
       Es wurden deutlich mehr Anschläge schon im Ansatz verhindert als gelungen
       sind. Polizei und Verfassungsschutz haben die Szene gewaltbereiter Muslime
       ganz gut im Blick. Wer neu zu dieser Szene dazustößt, wird deshalb auch
       schnell als neue Gefährder identifiziert.
       
       Problematisch sind allerdings Selbstradikalisierungsprozesse ohne Kontakt
       zur islamistischen Szene, zum Beispiel durch Hetzseiten im Internet. Ein
       Beispiel hierfür sind die Kofferbomber aus Nordrhein-Westfalen oder Arid
       U., der am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss. In solchen
       Fällen setzt der Verfassungsschutz nun verstärkt auf Hinweise des
       persönlichen Umfelds.
       
       Zwar lässt sich in vielen Fällen einer hochgefährlichen Radikalisierung im
       Nachhinein feststellen, dass es sichtbare Verhaltensänderungen gegeben hat.
       Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass alle Muslime, die plötzlich
       religiöser werden und ihre Lebensgewohnheiten umstellen, auch potentielle
       Terroristen sind. In aller Regel sind sie es nicht. Und genau deshalb ist
       eine derartige Denunziationsanleitung auch gefährlich und wird zurecht
       kritisiert.
       
       Indem der Verfassungsschutz schon die Hinwendung zu einem besonders
       strengen Islam als Anzeichen für potenziellen Terrorismus thematisiert,
       verstärkt er das Mißtrauen und die Ausgrenzung des Islam als Ganzes.
       Derartige Broschüren werden eben nicht nur von Radikalen, sondern auch von
       vielen anderen Muslimen registriert und als diskriminierend wahrgenommen.
       
       Da aber ein Gefühl des Nicht-Dazugehörens oft eine wichtige Ursache für
       Radikalisierungsprozesse ist, sind solche Islamisten-Checklisten schädlich,
       vor allem wenn sie auch noch veröffentlicht und an Lehrer und
       Sozialarbeiter verteilt werden.
       
       29 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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