URI: 
       # taz.de -- Vernetzung der Ressourcenuniversitäten: Alter Stoff, neu entdeckt
       
       > Weltweit haben sich Rohstoff-Universitäten zusammengeschlossen, um
       > gemeinsam zu forschen. In Deutschland erlebt das Thema gerade eine
       > Renaissance.
       
   IMG Bild: China hat sich bei den Seltenen Erden ein Produktionsmonopol aufgebaut: Schmelzeinrichtung in Baotou in der Inneren Mongolei.
       
       BERLIN taz | Die Grundlage unserer Warenwelt und unseren Wirtschaftssystems
       ist fragiler als gedacht. In Zeiten von Peak Oil und Monopolen auf Metallen
       rückt die Verfügbarkeit von Rohstoffen immer mehr in den Mittelpunkt der
       Debatte.
       
       Kürzlich haben 57 Universitäten mit dem Schwerpunkt Bergbau und
       Rohstofftechnologien aus Europa, Asien, Amerika und Afrika in Freiberg das
       „Weltforum für Nachhaltigkeit der Ressourcenuniversitäten“ gegründet.
       
       Die Ressourcenuniversitäten sähen sich international in der Verantwortung,
       das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung in Forschung und Ausbildung
       entlang der gesamten Rohstoffwertschöpfungskette zu implementieren, sagte
       Bernd Meyer, Rektor der TU Bergakademie Freiberg.
       
       ## Aus dem Thema verabschiedet
       
       Die Renaissance erlebt das Thema in einer Zeit, in der Deutschland ein
       massives Ausbildungs- und Forschungsproblem plagt. Lange erschienen
       Wirtschaft, Politik und Wissenschaft die Rohstoffversorgung derart
       selbstverständlich, dass das Thema an Universitäten und Fachhochschulen
       kaum noch eine Rolle spielte.
       
       „Maximal tausend Fachleute sind in Deutschland mit dem Thema befasst“,
       schätzt Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts Freiberg für
       Ressourcentechnologie, „in den letzten 20 Jahren haben wir uns aus diesem
       Thema verabschiedet.“
       
       Umso heftiger wird derzeit gegengesteuert, in der ganzen Republik sprießen
       Forschungscluster und -zentren aus dem Boden – häufig in Gegenden, die
       schon lange durch Bergbau geprägt sind, im Harz, im Erzgebirge, im
       Rheinland. Im sächsischen Freiberg etwa, in der die altehrwürdige
       Bergakademie von 1765 weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vor sich
       hinstaubte, nimmt nach zweijähriger Startphase das Helmholtz-Institut an
       Fahrt auf.
       
       ## Interdisziplinäre Grundlagenforschung
       
       Mehr als dreißig Wissenschaftler arbeiten dort inzwischen, hundert sollen
       es mal werden. Der Bund finanziert das Institut mit 5 Millionen Euro
       jährlich, 500.000 Euro gibt der Freistaat Sachsen. Interdisziplinäre
       Grundlagenforschung wollen die Freiberger betreiben. Um auch „international
       sichtbar“ zu werden, setzen sie vor allem auf die fachübergreifende
       Zusammenarbeit.
       
       Zunächst haben sich die Wissenschaftler die Seltenerdmetalle vorgenommen.
       Sie sind seit einiger Zeit Zankapfel der internationalen Politik, weil
       China sich ein Produktionsmonopol aufgebaut hat, Yttrium, Neodym und Co
       aber in sämtlichen High-Tech-Produkten wie Elektronikgeräten, Akkus oder
       Generatoren enthalten sind. Ihre Gewinnung ist bislang schmutzig,
       energieintensiv – und oft ineffizient. „Der größte Verlust von Effizienz
       liegt an den Schnittstellen der Wertschöpfungskette“, sagt Gutzmer.
       
       Die Metalle liegen in wilder Mischung in einem Erzkörper vor. Zwar kennt
       ein Geowissenschaftler die Zusammensetzung, in der Regel vermittelt er
       seine Informationen aber nicht im notwendigen Umfang an die
       Verfahrenstechniker weiter, die das gewonnene Erz verarbeiten. Wird es zu
       wenig gemahlen, werden die wertvollen Minerale nicht aufgeschlossen und
       landen auf der Abraumhalde. „Mahlen sie das Erz zu klein, wird Energie
       verschwendet“, so Gutzmer.
       
       ## Bergbau und Recycling zusammen denken
       
       Wichtig sei es also, die beiden Fachrichtungen zusammenzubringen. Dabei
       müssten die beiden Möglichkeiten der Rohstoffgewinnung – die primäre, also
       der Bergbau, und der sekundäre, also Recycling, zusammengedacht werden. „In
       diesem Ansatz sind wir international führend, das müssen und können wir
       exportieren“, sagt Gutzmer.
       
       Bislang exportiert Deutschland allerdings eher seine Fachkräfte. Einen
       inländischen Arbeitsmarkt für die Nachwuchswissenschaftler gibt es nämlich
       kaum. Bislang wandert der Nachwuchs meist in rohstoffreiche Länder wie
       Australien oder Südafrika ab.
       
       Vor allem die Industrie macht Druck, um diese spezielle deutsche
       „Rohstofflücke“ zu schließen. Die Universitäten profitierten „massiv von
       steigenden Drittmitteln“, sagt Bernd Friedrich, Leiter des Instituts für
       Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling der
       Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.
       
       ## Müllberge statt Erdkruste
       
       In Niedersachsen hat sich kürzlich ein eigenes Forschungscluster aus
       Hochschulen und Unternehmen gegründet, das „Recyclingstrategien für
       wirtschaftsstrategische Metalle“ wie Germanium, Gallium, Indium und Rhenium
       entwickeln will. Deutschland verfügt über bedeutende Vorkommen: nicht in
       der Erdkruste, sondern in seinen Müllbergen.
       
       Elektro- und Elektronikschrott enthält relevante Mengen, die Recyclingquote
       bisher: quasi null. Ein Unternehmen, eine Fakultät könne diese
       anspruchsvolle Entwicklung, die vom Produktdesign über die Abfallerfassung
       bis zur Materialtrennung und Wiederverwertung reiche, nicht allein stemmen,
       sagt Daniel Goldmann vom Vorstand des Clusters, zugleich Leiter des
       Instituts für Aufbereitung, Deponietechnik und Geomechanik der TU
       Clausthal.
       
       Für eine ökologische Wirtschaft bietet die globale Rohstoffknappheit
       durchaus Chancen, glaubt Holger Rogall, der an der Hochschule für
       Wirtschaft und Recht Berlin eine Professur für Nachhaltige Ökonomie hält.
       Hätten in den 70er und 80er Jahren vor allem die Verringerung der
       Schadstoffemissionen im Mittelpunkt der Umweltpolitik gestanden, sei es nun
       eine nachhaltige, effiziente Nutzung von Ressourcen. Zwischen moderner
       Umwelt- und Industriepolitik entstehen also Schnittstellen.
       
       ## Höhere Gehälter in der Industrie
       
       Bund und Länder legten ein Projekt nach dem anderen zu Rohstoffeffizienz
       und Recycling auf, berichtet Friedrich. Themen wie die Elektromobilität, in
       deren Erforschung die Bundesregierung bislang rund 500 Millionen gesteckt
       hat, beziehen Materialwissenschaftler beispielsweise über Batterieforschung
       und -recycling ein.
       
       Allerdings sei es schwierig, gute Mitarbeiter an den Unis zu halten, heißt
       es unisono aus den Fachbereichen. „Die Industrie kann höhere Gehälter
       zahlen, die Wissenschaft kann da nur mit interessanten Aufgaben locken“,
       sagt Armin Reller, Professor für Ressourcenstrategien an der Uni Augsburg
       und Leiter der neuen Fraunhofer Projektgruppe für Wertstoffkreisläufe und
       Ressourcenstrategien (IWKS).
       
       Gefördert mit 40 Millionen Euro aus München und bis 2016 insgesamt 14,6
       Millionen Euro aus Wiesbaden, wollen sich die Wissenschaftler dort nicht
       nur mit technischen Fragen befassen, sondern auch mit Lebensstilen und
       Konsummustern. Auch das IWKS widmet sich zunächst dem Modethema der
       Seltenen Erden. Eingesetzt werden sie zwar nur in kleinen Mengen,
       „Stoffgemische sind fürs Recycling aber fatal“, sagt Reller.
       Forschungsfragen sind also, wie solche Stoffgemische durch die Substitution
       von Materialien zu vermeiden, oder wie sie, nach dem Nutzungsende eines
       Produkts, wieder voneinander zu trennen sind.
       
       ## Handys auch ohne seltene Erden
       
       „Erst mal müssen wir die Datengrundlage klären“, sagt Reller, „denn die ist
       lausig.“ In Bezug auf Vorkommen und Verfügbarkeit Seltener Erden gebe es
       beispielsweise eine Dunkelziffer von 50 Prozent.
       
       Und viele Halbwahrheiten: Die Handyindustrie zum Beispiel klappe nicht
       zusammen, wenn sie keine Seltenerdmetalle mehr erhält. „In Mobiltelefonen
       sind nämlich nur ganz wenig enthalten“, so Reller.
       
       Die Umwelt- und Ressourcenprobleme seien so riesig, sagt Holger Rogall,
       dass eine einzige Strategie zur Lösung nicht ausreiche. Technische,
       ökonomische und kulturelle Ansätze seien nötig, der effiziente Einsatz von
       Rohstoffen, ihre wiederholte Nutzung, verbunden mit einem Verzicht auf
       weiter steigenden Konsum.
       
       Wichtig sei es daher, die Rohstoffproblematik rauszuholen aus den
       Technikwissenschaften und sie hineinzubringen in die klassischen
       Wirtschaftswissenschaften. Die habe zu ihrer Lösung bislang gar nichts
       beizutragen, weil sie Umweltkosten als externe Kosten wegdefiniert und die
       Kosten der Rohstoffbeschaffung unterschätzt.
       
       29 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
   DIR Müll
   DIR Schwerpunkt Gentechnik
   DIR Bergbau
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schonende Müllentsorgung: Verpackung ist Käse
       
       Deutschland ist Recycling-Weltmeister? Das war einmal. Immer mehr
       Kunststoffe landen in der Müllverbrennung. Viel zu tun für die
       Umweltministerin.
       
   DIR Crowdfunding für Bio-Hacker: Pflanzen zum Leuchten bringen
       
       So wie Glühwürmchen soll es auch Pflanzen geben, die in der Dunkelheit
       leuchten. Das jedenfalls ist das Ziel dreier Biochemiker aus Kalifornien.
       
   DIR Chemieprofessor über „sanften Bergbau“: „Das ist schon tricky“
       
       Klassische Metallgewinnung ist ineffizient und energieaufwendig. Das sagt
       zumindest der Freiberger Chemieprofessor Martin Bertau.
       
   DIR Forschungsstruktur im Umbruch: Streit um Fördermittel
       
       Die deutsche Forschungslandschaft ist im Umbau. Die Helmholtz-Gemeinschaft
       (HGF) mit 18 Forschungszentren beansprucht die Führung.
       
   DIR Kommentar Rohstoffagentur: Knappheiten weiterdenken
       
       Europa muss intensiver forschen, wie sich Wohlstand mit weniger Ressourcen
       erreichen lässt. Denn die Schwellenländer haben auf dem Weltmarkt
       aufgeholt.
       
   DIR Neu geschaffene Rohstoffagentur: Bundesregierung erfüllt Industriewünsche
       
       Mit einer Agentur unterstützt das Wirtschaftsministerium den
       Ressourcenhunger der Industrie. Von Entwicklungsorganisationen kommt
       Kritik.
       
   DIR Bier angeblich falsch deklariert: Coronas Pfandflaschentrick
       
       Einweg oder Mehrweg? In Deutschland steiten sich eine Brauerei und ein
       Umweltverband über eine mexikanische Bierflasche. Unökologisch wäre sie
       allerdings in beiden Fällen.
       
   DIR Nachhaltige Wissenschaft: „Ganz andere Mobilitätskonzepte“
       
       Wir brauchen eine nachhaltiger orientierte Wissenschaft, meint Reiner
       Braun. Dazu sollen sich die Akteure und Verbände jetzt an einen Tisch
       setzen.
       
   DIR Verwahrlosung der Geisteswissenschaften: Einstürzende Neubauten
       
       Verheerend: Das Freiburg Institute for Advanced Studies wird 2013
       abgewickelt. Wo ist in deutschen Universitäten noch freie, hoch
       qualifizierte Geisteswissenschaft möglich?
       
   DIR Kohle-Bergbau an der Saar: Beerdigung erster Klasse
       
       Nach 250 Jahren schließt in Endorf die letzte Grube des Saarlands.
       Millionen Tonnen des Rohstoffs werden wegen zu hoher Kosten nicht mehr
       gefördert.
       
   DIR Müllsammler in Rio de Janeiro: Goldsucher im Abfallberg
       
       Vor dem UN-Umweltgipfel Rio+20 wird die größte Müllhalde Südamerikas
       geschlossen. Gutverdienende Catadores verlieren damit ihre Lebensgrundlage.
       
   DIR Umweltministerium gegen Pfand: Alte Handys in den Schubladen
       
       Die Grünen wollen ein Pfand auf Handys. Das Umweltministerium ist dagegen,
       weil in Deutschland sitzende Händler bei Verkäufen übers Internet
       benachteiligt würden.
       
   DIR Elektroschrott in Afrika: Flachbildschirme für Nigeria
       
       Computer? Handys? Fernseher? Kaufen, kaufen, kaufen, heißt die Devise in
       Afrika. Doch für den anfallenden Elektromüll fehlen professionelle
       Verwertungsketten.