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       # taz.de -- Kolumne Ostwärts immer: Ein Fußballvolk für zwei Wochen
       
       > Polen hat die EM schon längst abgehakt – die Fanmeilen sind leer.
       > Trotzdem: Polen ist und bleibt ein Fußballland.
       
       Sind die Polen überhaupt ein Fußballvolk? Wenn man sich die leeren
       Fußballkneipen anschaut und die paar Leute vor den Bildschirmen, dann muss
       man wohl sagen: Sie sind es eher nicht. Ein Fußballvolk waren sie
       allenfalls für zwei Wochen, vermuten wir. Polen spielte noch mit, schaffte
       es in der vermeintlich einfachsten Gruppe aber nur auf den letzten Platz.
       Die Fanzonen waren noch voll. Jetzt sind sie so überflüssig wie nur
       irgendwas.
       
       Polen hat die EM schon lange abgehakt. In Danzig und Zoppot war es in den
       letzten Tagen gespenstisch ruhig. Was war das doch für ein Remmidemmi, als
       die Iren noch da waren und sich die Polen als Partypatrioten versuchten. Da
       wurde die Ostseeküste zum Ballermann und gegrölt bis früh um sieben. Die
       Journalisten konnten froh sein, wenn sie ihr Quartier abseits der Grölmeile
       bezogen hatten und das „Polskaaaa, Bialo-Czerwoni“ (Polen, rot-weiß) nicht
       hörten.
       
       Ich kann sie immer noch nicht deuten, die polnische Fußballkultur. Um ihr
       näherzukommen, habe ich mir Videos von polnischen Ligaspielen angeschaut.
       Stets landete ich bei Schlägereien verfeindeter Hooligangruppen.
       Anabolikagestärkte Muskelprotze mit kurzen oder gar keinen Haaren gingen an
       einer Lichtung in Aufstellung, marschierten aufeinander zu und hieben
       aufeinander ein, bis das letzte Auge blau war.
       
       Es gibt viele Videos von diesen Auseinandersetzungen und man wünscht sich,
       sie seien nicht prototypisch für den polnischen Fußball. Wenn doch, wäre
       der Fußball zwischen Krakau und Warschau, Posen und Danzig noch nicht da,
       wo er in Westeuropa mitunter schon ist: angekommen im Familienleben.
       Wochenendtrips zu Bundesliga-Spielen stellen meist keine Gefahr da, sie
       sind so gewöhnlich wie ein Besuch im Zoo. Es geht nicht nur um
       männerbündische Darstellungsformen, sondern um angstfreie Unterhaltung.
       
       Trotzdem: Polen ist und bleibt ein Fußballland. Man denke nur an die
       Stadtderbys der Krakauer Vereine Cracovia und Wisla, an Kicker wie Jan
       Tomaszewski oder Grzegorz Lato, die 74er-WM-Helden. Lato ist heute
       Verbandspräsident, aber sein Tor im Spiel um Platz drei gegen Brasilien hat
       ihm erheblich mehr Ruhm eingebracht als sein Wirken als Funktionär. 1972
       wurde Polen Olympiasieger und zwei Jahre später gewannen sie WM-Bronze. Das
       ist über 40 Jahre her. Es hätte dem polnischen Fußball gut getan, wenn er
       2012 ein paar neue Helden erschaffen hätte. Die Chance wurde verpasst.
       
       28 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
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