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       # taz.de -- Schwul-lesbische Eurogames: Hetze und Spiele
       
       > In Ungarn beginnen nun die schwul-lesbischen Eurogames. Rechte Gruppen
       > mobilisieren gegen das Sportereignis. Ausländische Teilnehmer fürchten um
       > ihre Sicherheit.
       
   IMG Bild: Ohne die Anwesenheit der Polizei sind schwul-lesbische Veranstaltungen in Ungarn nicht möglich: rechte Demonstration gegen einen Gay-Pride-Marsch in Budapest 2011.
       
       Schwul – in Ungarn ist das ein übliches Schimpfwort. Dennoch entschieden
       sich die Organisatoren der 14. Eurogames, Europas größtem Sportereignis für
       Lesben und Schwule, die heute beginnenden Spiele 2012 ausgerechnet in
       Budapest stattfinden zu lassen.
       
       Schon im letzten Jahr beim Gay Pride, dem Christopher Street Day, ließen
       homophobe Gruppierungen ihrem Hass freien Lauf – und auch in diesem Jahr
       ist die Situation nicht viel besser geworden: Rechtsradikale Webseiten wie
       Deres.tv hetzten gegen die „Schwuchtellympiade“ indem sie die Liste der
       Organisatoren der Eurogames nebst deren Facebook-Fotos veröffentlichten und
       ihre LeserInnen dazu aufforderten, Jagd auf die „Abweichler“ zu machen.
       
       Ohne die Anwesenheit der Polizei wäre eine öffentliche schwul-lesbische
       Veranstaltung in Ungarn denn auch undenkbar. Noch nie sei er solch einer
       massiven Gewalt gegenüber Homosexuellen begegnet, erinnert sich ein
       Besucher, der letztes Jahr am Gay Pride in Budapest teilnahm. „Vor
       doppelten Gittern marschierten wir auf. Wir hatten menschenleere Straßen
       für uns selbst, Zuschauer waren wegen der massiven Aussperrungen gar nicht
       möglich. Und an bestimmten Stellen standen sie mit ihren rot-weiß
       gestreiften Fahnen und schrien: ,Ihr schmutzigen Schwuchteln.‘“
       
       Jene rot-weißen Fahnen – rot steht historisch für das Blut, das Ungarn in
       seinen zahlreichen Freiheits- und Unabhängigskeitskämpfen verloren hat,
       weiß für die Reinheit des Landes – werden von der rechtsradikalen Partei
       Jobbik gerne verwendet, die mit dieser Symbolik nationalistische Gefühle
       aufrührt. Die Partei und ihre Anhänger hetzen gegen Homosexuelle, Roma und
       Juden und schüren so ungeniert rassistisches Gedankengut.
       
       Àdám Makó, einer der Organisatoren der Eurogames, ist trotz allem
       zuversichtlich – und setzt vor allem auf die Polizei, die während der
       Wettkämpfe besonders stark präsent sein soll. Und er vertraut auf die
       europäische Öffentlichkeit: „Wir sind ein Schengenland und egal was Jobbik
       will, Europa steht auf unserer Seite“, behauptet er. Europa vielleicht,
       aber nicht István Tarlós.
       
       ## Keine staatlichen Veranstaltungsorte
       
       Tarlós ist der Bürgermeister von Budapest. Sein Berliner Amtskollege Klaus
       Wowereit bat ihn im vergangenen Jahr in einem Brief darum, die Eurogames zu
       unterstützen. In seiner Antwort distanzierte sich Tarlós von einer
       „solchen“ Lebensweise und von der Veranstaltung. Jobbik plädierte sogar
       dafür, dass die Eurogames nicht an staatlichen Veranstaltungsorten
       stattfinden dürften. Aus Sicherheitsgründen wurden die tatsächlichen Orte
       der Spiele von den Eurogames-Organisatoren bis zuletzt geheim gehalten.
       
       Vielen sei es unheimlich, nach Budapest zu fahren – trotz aller
       Beteuerungen, dass dort die Security und Polizei für die Sicherheit sorgen
       soll, sagt Petra Drenkert, die Kapitänin eines Berliner Frauenfußballteams.
       „Man hört nur von den Rechtsradikalen, von der rechtslastigen Regierung.
       Diese Propaganda sorgt für Panikmache bei ausländischen Medien und für
       Bedenken bei den Sportlern.“
       
       Dabei enthält diese Premiere auch die Möglichkeit einer Öffnung in Richtung
       Toleranz gegenüber Homosexualität in Mittel- und Osteuropa. Petra Drenkert
       ist jedenfalls überzeugt, nur durch Präsenz zur Akzeptanz der
       Homosexualität beitragen und homophobe Vorurteile abbauen zu können. Sie
       sieht es als ihre Mission, nach Budapest zu fahren und gesehen zu werden.
       
       Durchaus positive Erfahrungen machte sie kürzlich bei schwul-lesbischen
       Veranstaltungen in Warschau. Viele hatten sie davor gewarnt, sich mit ihrem
       Frauenfußballteam in Warschau zu zeigen, sie empfand den Aufenthalt jedoch
       als sehr angenehm und betrachtete es als eine Generalprobe für Budapest:
       „Ich dachte, wenn Warschau gut läuft, dann fühle ich mich sicherer.“
       
       ## Lieber nicht outen
       
       Für die ausländischen Teilnehmer zählt in erster Linie die körperliche
       Sicherheit. Für die ungarischen Wettkämpfer ist dagegen vor allem die
       mentale Sicherheit, der Schutz ihrer Privatsphäre, ein Grund zur Besorgnis
       bei den Eurogames. Balázs Gáti, international preisgekrönter ungarischer
       Tänzer, war bis vor Kurzem unsicher, ob er die Teilnahme riskieren soll. Im
       Ausland hätte er kein Problem damit, sich als Homosexueller zu outen. In
       Ungarn möchte er daraus keine Sensation machen. Er arbeitet bei einer Bank
       und möchte nicht, dass seine KollegInnen und KundInnen ihn plötzlich in
       ungarischen Medienberichten als schwulen Aktivisten sehen. Ihm geht es vor
       allem um das Tanzen.
       
       Zehn Jahre hat er mit seinem Tanzpartner gearbeitet, um auf Spitzenniveau
       zu stehen. „Unser Traum ist es, eines Tages so zu tanzen, dass dem Publikum
       die Tränen kommen.“ Gáti sagt, er sei kein Fan des Gay Prides, weil dort
       nur die extremen Schwulen gesehen würden, das würde nur Vorurteile
       verstärken. „Ich bin ein schwuler Mann, aber ich habe es nicht auf meine
       Stirn geschrieben. Ich gehe arbeiten, zahle Steuern, benutze den
       öffentlichen Verkehr und liebe jemanden – wie jeder andere Mensch auch.“
       Die neue Verfassung Ungarns betont, Familie und Ehe seien ein Bund eines
       Mannes und einer Frau – und schließt damit homosexuelle Paare aus.
       
       ## Lieber nicht Händchen halten
       
       Balázs Gáti warnt die ausländischen TeilnehmerInnen an den Eurogames, auf
       ihr Verhalten in der Öffentlichkeit zu achten. „Wer in Kopenhagen lebt, ist
       es vielleicht gewöhnt, mit seinem Freund auf der Straße Händchen zu halten
       und zu küssen. Das würde ich hier an der Váci Straße in Budapest nicht
       empfehlen.“ Gáti ist trotzdem optimistisch, dass er sich eines Tages in
       Budapest genauso selbstverständlich mit seinem Freund auf der Straße zeigen
       kann wie etwa in Berlin.
       
       Dass die Eurogames nun im Budapest der ultrakonservativen Orbán-Regierung
       stattfinden, ist jedenfalls ein erster Schritt in diese Richtung. „Für die
       europäische schwul-lesbische Gemeinschaft ist es ein Meilenstein, in
       Mittel- und Osteuropa eine solche Veranstaltung zu organisieren.“ Die
       nächsten Tage in Budapest werden wohl zeigen, ob die Angst in den
       westlichen Medien berechtigt war – oder ob es Hoffnung gibt für die Zukunft
       solcher Veranstaltungen in diesem Teil Europas.
       
       27 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Frenyo
       
       ## TAGS
       
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