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       # taz.de -- Debatte Iran: Völlig falsche Machtpolitik
       
       > Die Atomgespräche mit dem Iran scheitern vor allem, weil die USA keine
       > ernsthafte Diplomatie betreiben. Diese Strategie schadet ihnen selbst.
       
   IMG Bild: Gegen Iran gewappned: US-Präsident Obama.
       
       Seit die Atomgespräche mit dem Iran im April wieder aufgenommen wurden,
       mahnen Vertreter der USA, man dürfe Teheran nicht erlauben, auf Zeit zu
       spielen. Tatsächlich spielt die Obama-Administration auf Zeit. Die nämlich
       braucht sie, um das iranische Nuklearprogramm weiter zu sabotieren und –
       noch wichtiger – um den Regimewechsel im Iran voranzutreiben.
       
       Die USA wollen gemeinsam mit den Europäern, den sunnitischen arabischen
       Partnern und der Türkei die Regierung in Syrien absetzen. Der Fall des
       Verbündeten Assads würde die Islamische Republik empfindlich schwächen.
       Aber auch hierfür braucht es noch Zeit.
       
       Da wundert es nicht, dass die Obama-Administration, kurz nachdem die
       Aufstände in Syrien begannen, den Rücktritt von Assad forderte. Routiniert
       gab man seiner Empörung über den Tod Tausender Ausdruck. Die eigentliche
       Aufmerksamkeit aber gilt nicht der syrischen Bevölkerung, sondern dem
       Projekt, im Mittleren Osten die dominante Kraft zu sein.
       
       Das ist der wahre Grund dafür, dass Washington die Rebellen angeblich nur
       „mit zivilen Mittel unterstützt“ und sich zugleich weigert, Vorschläge zu
       erwägen, die die internen Konflikte Syriens moderieren könnten. Damit
       ließen sich das Leben von Menschen retten, nicht aber Assads Abgang
       vorantreiben. Aus alldem folgt: Wer den Regimewechsel im Iran anstrebt,
       kann bei den Atomgesprächen nur auf Zeit spielen.
       
       ## „Legitimität eines Angriffs unterminiert“
       
       Die frühere Pentagon-Mitarbeiterin Michèle Flournoy – sie berät Obama nun
       im Kampf um seine Wiederwahl – hat diesen Monat vor israelischem Publikum
       erklärt, es sei für die USA wichtig, erst alle diplomatischen Mittel
       auszuschöpfen, bevor sie den Iran angreifen. Die „Legitimität eines
       Angriffs“ würde sonst „unterminiert“. David Sanger von der NY Times
       berichtete kürzlich, Obama habe gleich zu Beginn seiner Amtszeit
       angeordnet, die „Cyberattacken auf die iranischen Nuklearanlagen zu
       intensivieren“.
       
       Auch von Wikileaks publizierte Depeschen zeigen, dass Obama Diplomatie
       stets eingesetzt hat, um internationale Unterstützung für verschärfte
       Sanktionen gegen Iran zu gewinnen, die auch die Ölexporte einschließen. Und
       was ist der Zweck verschärfter Sanktionen? Laut Washington Post sollen
       damit die Iraner darin bestärkt werden, gegen ihre Regierung vorzugehen.
       
       Aber die USA werden mit ihrer Strategie scheitern. Einfach zu fordern, dass
       der Iran seine Nuklearaktivitäten einstellt, und ihn andernfalls stärker
       unter Druck zu setzen, das wird die Position der USA im Mittleren Osten
       nicht stärken. Im Gegenteil.
       
       Bislang haben Sanktionen und militärischen Drohungen Teheran nur darin
       bestärkt, die Urananreicherung voranzutreiben. Trotz des Drucks seitens
       Washingtons und Tel Avivs ist die Zahl der Zentrifugen in den letzten fünf
       Jahren von 1.000 auf 9.000 gestiegen. Teheran hat indessen wiederholt
       angeboten, im Gegenzug strengere Kontrollen zu akzeptieren. Der Ansatz von
       Iran lautet: mehr Transparenz ihrerseits für die Zuerkennung des Rechts,
       Uran anzureichern, andererseits. Ihn zurückzuweisen garantiert das
       Scheitern der Gespräche – und die Machtposition der USA wird regional und
       global weiter erodieren.
       
       ## Warum sind die USA so stur?
       
       Auch die Administration unter George W. Bush hatte sich geweigert, eine
       überwachte Anreicherung im Iran zu akzeptieren. Sie weigerte sich sogar,
       überhaupt mit Teheran zu sprechen solange es sein Programm nicht ganz
       eingestellt hat. Iran hat sich davon nicht beeindrucken lassen, und
       Umfragen zeigen, dass die Politik der USA Teheran in der Region neue
       Sympathien eingebracht hat.
       
       Warum aber stellen sich die USA so stur? Das Problem aus Sicht der USA ist
       dies: Das Recht des Iran auf Urananreicherung anzuerkennen würde bedeuten,
       die Islamische Republik als legitime Entität anzuerkennen mit legitimen
       nationalen Interessen, als eine aufstrebende regionale Macht, die sich der
       Außenpolitik der USA eher nicht unterwerfen dürfte (wie etwa Ägypten unter
       Sadat oder Mubarak). Es würde bedeuten, sich mit dem Iran so arrangieren zu
       müssen, wie die USA sich mit der Republik China arrangiert haben, damals,
       in den frühen 70er Jahren.
       
       Doch statt beweglicher zu werden, bleibt Amerikas Iranpolitik auch unter
       Obama in einer Illusion stecken ähnlich der, die seine Chinapolitik über
       zwei Jahrzehnte bestimmte, nachdem dort die Revolutionäre 1949 die Macht
       übernommen hatten. Auch damals dachte Washington, es könnte China irgendwie
       isolieren, an die Wand drücken und schließlich die politische Ordnung
       stürzen, indem es die Massen gegen die Kommunisten mobilisierte.
       
       Auch hier glaubten die USA, nach der langen Kolonisierung durch den Westen
       schließlich einen unabhängigen, aber ihnen geneigten Nationalstaat
       etablieren zu können. Es hat mit China nicht funktioniert, und es wird mit
       Iran auch nicht funktionieren. In einer der folgenreichsten Initiativen in
       der Geschichte der amerikanischen Diplomatie haben Präsident Nixon und
       Henry Kissinger diese Realität schließlich akzeptiert. Leider fehlt dem
       Washington von heute noch das Nixon’sche Moment.
       
       ## Schlimmer als das Irak-Debakel
       
       Obama hätte im Mai 2010 einen Atomvertrag mit Iran haben können. Brasilien
       und die Türkei hatten einen Deal mit Iran ausgearbeitet, der vorsah, dass
       Iran sein gering angereichertes Uranium ins Ausland schickt und im Gegenzug
       neues Benzin für seinen Forschungsreaktor in Teheran erhält. Doch Obama
       verwarf den Deal, da er das Recht des Iran auf Anreicherung grundsätzlich
       anerkannte. (Dass dies der Hauptgrund war, bestätigte der Architekt der
       Iranpolitik, Dennis Ross, zu Beginn des Jahres.)
       
       2012, wo sich die Regierungen im Mittleren Osten etwas mehr um die
       Bedürfnisse der Bevölkerung kümmern müssen – siehe Ägypten und Irak –, sind
       sie weniger bereit, die Verteidigungsstrategie der USA mitzutragen. Das
       zwingt Washington dazu, etwas zu tun, worin es schon lange keine Übung mehr
       hat: gegenüber regional wichtigen Staaten eine diplomatische Linie zu
       verfolgen, die auf Geben und Nehmen beruht. Wollen die USA ihren Niedergang
       aufhalten, dann müssen sie auf die Islamische Republik zugehen (genauso wie
       sie ihre Position in den 70ern wieder stärken konnten, indem sie sich auf
       China zubewegten).
       
       Stattdessen hält, dreieinhalb Jahre nachdem George W. Bush das Weiße Haus
       verlassen hat, sein Nachfolger daran fest, dass der Iran das amerikanische
       Diktat akzeptieren oder eben mit Angriffen rechnen müsse.
       
       Auf diese Weise legt Obama die USA auf einen Weg fest, der wahrscheinlich
       in einen nächsten Krieg münden wird. Der Schaden, der ein Krieg gegen Iran
       der strategischen Position der USA zufügen wird, wird das Irak-Debakel
       vergleichsweise trivial aussehen lassen.
       
       24 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR F. Leverett
       
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