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       # taz.de -- BGH-Urteil zu Pharma-Geschenken: Keine Strafe für bestechliche Ärzte
       
       > Ärzte dürfen für die Verordnung von Medizin Bestechung in Form von
       > Geschenken von Konzernen annehmen, hat der BGH geurteilt. Grund: Sie
       > seien keine „Amtsträger“.
       
   IMG Bild: Ein bisschen dazuverdienen, das ist nun gerichtlich erlaubt.
       
       KARLSRUHE taz | Ärzte können derzeit nicht wegen Korruption bestraft
       werden. Dies entschied jetzt der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs
       (BGH) in einem Grundsatzurteil. Kassenärzte seien weder Amtsträger noch
       Beauftragte der Krankenkassen. Bis zu einer Regelung durch den Gesetzgeber
       können Ärzte, die sich von Pharmafirmen bestechen lassen, nicht mehr
       bestraft werden.
       
       Der BGH korrigierte damit ein Piloturteil des Landgerichts Hamburg vom
       Dezember 2010. Dort waren ein Arzt und eine Pharmareferentin des Ulmer
       Generika-Herstellers Ratiopharm zu hohen Geldstrafen verurteilt worden. Die
       Firma hatte mit Ärzten vereinbart, dass die Ärzte, die vorrangig
       Ratiopharm-Produkte verschrieben, als Belohnung 5 Prozent vom
       Herstellerpreis bekommen. Das Geld wurde als Honorar für wissenschaftliche
       Vorträge getarnt. Die Frau hatte nachweislich mehreren Ärzten Schecks in
       Höhe von insgesamt 18.000 Euro übergeben. Der verurteilte Arzt hatte allein
       10.641 Euro erhalten.
       
       Das Landgericht hatte „Bestechung im geschäftlichen Verkehr“ (Paragraf 299
       Strafgesetzbuch) angenommen und dies mit der „Schlüsselposition“ der
       Kassenärzte bei der Arzneimittelversorgung der Patienten begründet. Der
       zugelassene Kassenarzt nehme dabei auch Interessen der Krankenkassen wahr.
       
       Diese Sichtweise hat der BGH nun zurückgewiesen. Der Kassenarzt sei kein
       Beauftragter der Krankenkasse. Vielmehr werde er vom Patienten ausgesucht
       und die Kasse müsse die Arztwahl des Patienten akzeptieren. Dass die
       Krankenkasse an der Tätigkeit des Arztes auch ein Interesse hat, mache ihn
       nicht zum Beauftragten. Dem elfköpfigen Großen BGH-Strafsenat gehören
       Richter aller fünf BGH-Strafsenate sowie BGH-Präsident Klaus Tolksdorf an.
       
       Seine Entscheidung kommt durchaus überraschend. In einem anderen
       Vorlage-Verfahren hatte im Mai 2011 der 3. Strafsenat angedeutet, dass er
       eine Strafbarkeit der Ärztekorruption annehme. Es liege nicht nur eine
       „Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr“ vor, sondern auch eine
       klassische „Bestechung“. Der Kassenarzt sei nämlich auch Amtsträger.
       
       Auch dies hat der Große Strafsenat nun abgelehnt. Zwar gehörten die
       gesetzlichen Krankenkassen zur öffentlichen Verwaltung. Die freiberuflichen
       Kassenärzte seien jedoch weder Angestellte noch sonst Funktionsträger einer
       öffentlichen Behörde. Diese Ärzte würden vielmehr aufgrund der „freien
       Auswahl des gesetzlich Versicherten“ tätig.
       
       ## „Keine Strafe ohne Gesetz“
       
       Damit existiert nach Ansicht des großen BGH-Strafsenats nun aber keine
       Strafvorschrift, die die Bestechung von Ärzten verbietet. Nach dem
       rechtsstaatlichen Prinzip „keine Strafe ohne Gesetz“ können Ärzte deshalb
       nicht wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, bis der Bundestag ein
       entsprechendes Gesetz verabschiedet. Offene Ermittlungsverfahren, die noch
       laufen, müssen eingestellt werden. Die in Hamburg verurteilte
       Pharma-Referentin wird nun wohl freigesprochen. Der bestochene Arzt bleibt
       zunächst allerdings verurteilt, denn er hatte die Strafe des Landgerichts
       vom Dezember akzeptiert und keine Revision eingelegt.
       
       Bei dieser Rechtslage muss es nun aber nicht bleiben. „Es ist nun Sache des
       Gesetzgebers zu entscheiden, ob Ärztekorruption strafbar sein soll oder
       nicht“, sagte BGH-Sprecherin Karin Milger. Der BGH könne nur das geltende
       Recht anwenden und auslegen.
       
       Die SPD hatte bereits im November 2010 im Bundestag einen Antrag gestellt.
       Im Strafgesetzbuch solle sichergestellt werden, dass die Korruption von
       Ärzten bestraft werden kann. Als der Antrag im Mai 2011 im Bundestag
       beraten wurde, fand er nur bei der Linken Unterstützung. Alle übrigen
       Fraktionen fanden ihn unnötig und voreilig, man solle doch erst einmal die
       Grundsatzentscheidung des großen BGH-Strafsenats abwarten.
       
       Nun müssen die Parteien aber Farbe bekennen. Für die SPD hat ihr
       Gesundheitsexperte im Bundestag, Karl Lauterbach, sofort angekündigt: „Wir
       werden jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen.“
       
       22 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Ärzte
       
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