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       # taz.de -- Schüler erarbeiten Geschichte: Bedürfnis nach Berührtwerden
       
       > Bei der Gestaltung einer Gedenkstätte für NS-Deportierte in der Hamburger
       > Hafencity dürfen auch Jugendliche mitreden. Aber wie erinnern sich
       > eigentlich 16-Jährige ans "Dritte Reich"?
       
   IMG Bild: Von hier wurden Juden deportiert: Hannoversche Bahnhof in Hamburg.
       
       Hamburgs Hannoverschen Bahnhof gibt es schon lange nicht mehr. Wo während
       des „Dritten Reiches“ der zentrale Deportationsbahnhof der Hansestadt
       stand, ist seit Jahrzehnten kaum mehr als eine Brachfläche. Noch – denn aus
       dem ehemaligen Hafengebiet soll der größte Park des innerstädtischen
       Neubaugebiets namens Hafencity werden. Ebenfalls am „Lohsepark“ soll
       irgendwann auch ein Informations- und Dokumentationszentrum zur Geschichte
       des Ortes entstehen.
       
       An dessen Konzeption mitzuarbeiten, waren jetzt Hamburger Jugendliche
       eingeladen. Acht Monate haben sie in diversen Workshops diskutiert und
       unterschiedlichste Vermittlungsideen entwickelt. Einige davon könnten, das
       sagt die federführende Kulturbehörde, im zukünftigen Dokumentationszentrum
       am Lohseplatz auch tatsächlich umgesetzt werden.
       
       Die knapp 50 Schülerinnen und Schüler, die der Landesjugendring und die
       Behörde gefragt hatten: „Wie wollt ihr euch erinnern?“, hatten sich zuvor
       eingehend mit Themen wie Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, Verfolgung
       und Vernichtung in der NS-Zeit beschäftigt. Sie besuchten Gedenkstätten und
       historische Orte in Berlin und Hamburg, führten Gespräche mit Zeitzeugen.
       Begleitet wurden sie bei den Workshops von Teamern des Landesjugendrings,
       Mitarbeitern der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg und Mitgliedern der
       Opferverbände.
       
       Was auffällt: Die Jugendlichen gehen deutlich unbefangener an die
       Geschichtsvermittlung heran als etwa die Generation ihrer Eltern. Schon als
       Prototypen oder Entwürfe produziert wurden, etwa kleine Video-Clips,
       bedruckte Leinenbeutel, ein „Biografie-Würfel“, ein Wegweiser-System das zu
       verschiedenen vergessenen Orten in der Stadt führt, Klanginstallationen,
       ein mobiler Info-Stand mit Kartentisch und Touchpad – und ein Hip-Hop-Song.
       
       Aber wie können sich Jugendliche eigentlich an etwas erinnern, das sie
       nicht selbst erlebt haben? Diese, nun, Kluft ist spürbar. Sie einzuarbeiten
       und zu reflektieren, hatte ganz unterschiedliche Folgen. Eine ist der
       Wunsch der jungen Teilnehmer danach, emotional berührt zu werden. „Man
       sollte dieses Bedürfnis nach emotionalen Formen akzeptieren und konstruktiv
       daran anknüpfen, ohne es sich zu eigen zu machen“, sagt Projektleiter
       Oliver von Wrochem, ansonsten Leiter des Studienzentrums an der
       KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
       
       Umstrittenste Workshop-Ergebnisse sind denn auch der Hip-Hop-Song und die
       Frage, wie eine Klanginstallation räumlich anzubinden sei: Während der
       Songtext aus Sicht der Jugendlichen auch ironisch zu verstehen ist, sollte
       die Installation die Ausstellungsbesucher in einer Art Eingangstunnel
       emotional auf das Thema Deportation einstimmen. Zu hören sind Zuggeräusche,
       Erzählerstimme und Zeitzeugen.
       
       Kuratorin Linde Apel von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
       lobt das Audiokonzept ausdrücklich, möchte es aber trotzdem nicht als
       einzigen räumlichen Zugang zur Ausstellung einsetzen. „Es gibt keinen
       Zwang, etwas Bestimmtes zu empfinden“, sagt sie. Jugendliche an der
       Ausstellungskonzeption mitwirken zu lassen: Das möchte die Kuratorin auf
       jeden Fall weiterführen.
       
       Allen Workshop-Ergebnissen gemeinsam ist das Ziel, Aufmerksamkeit für das
       Thema Deportation und für die Deportierten zu erlangen. „Uns ist super
       wichtig, dass es ganz kurz ist“, erläutert Schülerin Doro, die an den
       Videoclips mitgearbeitet hat. Sie zeigen Jugendliche, die in extrem
       komprimierter Form beispielsweise an einen bestimmten Deportierten erinnern
       – oder den Zuschauer auffordern, eben das zu tun: „Du sollst dich erinnern,
       weil …!“ Um eine möglichst große Reichweite der Clips zu erreichen, sollen
       sie nicht nur in der Ausstellung, sondern möglichst auch auf Youtube zu
       sehen sein.
       
       Viele der 16- bis 18-Jährigen haben sich schon in der Schule mit der
       NS-Zeit befasst. Doch was bewirkt das? Lukas und Katharina zum Beispiel
       beschäftigten sich mit dem Thema Zwangsarbeit. Deren Dimension aber sei
       ihnen so recht erst klar geworden, als sie sich nun eine online gestellte,
       interaktive Karte zur Zwangsarbeit in Hamburg ansahen. „Plötzlich entdeckt
       man ein früheres Zwangsarbeiterlager am Ort, wo man wohnt“, berichten sie
       übereinstimmend. Sie gewannen einen Eindruck davon, wie die Zwangsarbeit
       Tausender Menschen damals im Alltag der Hamburger sichtbar gewesen sein
       muss.
       
       21 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Angela Dietz
       
       ## TAGS
       
   DIR Stadtentwicklung Hamburg
       
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