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       # taz.de -- Betreuungsgeld im Bundestag gestoppt: Eigentor der Koalition
       
       > Das Betreuungsgeld wird im Bundestag erst nach der Sommerpause
       > verhandelt, weil die Opposition strategisch ist – und Schwarz-Gelb zu
       > wenig Präsenz zeigt.
       
   IMG Bild: Wer auf diesem Bild Familienministerin Schröder sucht, kann lange suchen: Sie war nicht da.
       
       BERLIN taz | Normalerweise ist Hermann Gröhe ein bedächtiger, fast sanfter
       Vertreter seiner Zunft. Wenn er verbal grobe Attacken fährt, die zum Job
       eines CDU-Generalsekretärs gehören, sieht es oft so aus, als müsse er sich
       dazu zwingen. Doch als er sich jetzt vor den Mikrofonen vor dem Plenarsaal
       im Bundestag aufbaut, schäumt Gröhe geradezu: „Das ist ein einmaliger und
       ungeheuerlicher Vorgang“, sagt er. Die Opposition betreibe
       Arbeitsverweigerung, sie boykottiere das Parlament, sie trickse herum. „Das
       ist schäbig.“ Neben ihm steht sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt, mit
       vorgeschobenem Kinn, auch er wettert gegen das „dreckige Foulspiel“.
       
       Was sie nicht sagten: Sie haben selbst für diesen Trick den Weg bereitet.
       126 Koalitionsabgeordnete befanden sich am Freitagmittag bereits auf dem
       Weg in den Wahlkreis, zu Hause oder in wichtigen Sitzungen, sie waren
       jedenfalls nicht im Bundestag.
       
       Zum Eklat kam es bei einem eher uninteressanten Tagesordnungspunkt: SPD und
       Grüne hatten am Vormittag einen gemeinsamen Antrag gestellt, den Vertrieb
       von Zeitungen sicherzustellen. Als die Parlamentarier die Hände hoben, war
       sich der Sitzungsvorstand nicht einig, ob Koalition oder Opposition eine
       Mehrheit hatten. Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau beraumte daraufhin
       einen Hammelsprung an - bei diesem Verfahren verlassen die Abgeordneten den
       Saal und kommen durch mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ gekennzeichnete
       Türen wieder herein. Dies erlaubt eine genaue Zählung.
       
       ## Koalition vorgeführt
       
       Und nun griffen SPD, Grüne und Linke zu einem Verfahrenstrick. Nach
       taz-Informationen brieften die Fraktionsspitzen ihre Leute, einfach vor den
       Türen stehen zu bleiben. Strategen wie Grünen-Fraktionsgeschäftsführer
       Volker Beck witterten die Chance, die Koalition vorzuführen.
       
       Denn der Bundestag ist laut Geschäftsordnung nur dann beschlussfähig, wenn
       mehr als die Hälfte der Mitglieder (310 Abgeordnete) vertreten ist. Und so
       viele Leute von Schwarz-Gelb, vermuteten die Oppositionsstrategen, waren
       nicht erschienen. So kam es zu einer merkwürdigen Szenerie: Während die
       Koalitionsleute brav durch eine Tür in den Saal zurückgehen, drängeln sich
       draußen Abstimmungsverweigerer der Opposition.
       
       Die Plenarassistenten zählen. Zweihundertelf. Zu wenig. Der Bundestag ist
       nicht beschlussfähig, gibt Pau bekannt. Die Sitzung wird aufgehoben.
       Während die Koalition nun schäumt, gibt SPD-Parlaments-Geschäftsführer
       Thomas Oppermann ihr selbst die Schuld für den Abbruch. Es sei nicht
       Aufgabe der Opposition, die mangelnde Präsenz der Koalition auszugleichen.
       Nicht wenige Parlamentarier von Schwarz-Gelb seien zudem „aus stummem
       Protest“ gegen das Betreuungsgeld der Sitzung ferngeblieben.
       
       ## Die Unionsfrauen fehlen nicht
       
       Rita Pawelski weist das zurück: Sie ist die Chefin der Gruppe der Frauen in
       der Union und diese Gruppe ist mehrheitlich gegen das Betreuungsgeld. Waren
       es ihre Frauen, die fehlten? „Nein, wir waren da. Wer das behauptet, haut
       unter die Gürtellinie“, erklärt sie. Hat sie sich denn die Hände gerieben?
       „Überhaupt nicht. Das war nicht fair von der Opposition“, sagt sie. „Sie
       haben auch uns und unseren Anliegen geschadet.“ Die Gruppe der Frauen hatte
       erst am Donnerstag lange mit Kanzlerin Angela Merkel beraten und sich mit
       ihr auf einen Modus vivendi geeinigt. Der sei nun wieder in Frage gestellt,
       so Pawelski.
       
       Da die Abgeordneten nur zu Beginn der Sitzung sich eintragen, nicht aber,
       wann sie diese wieder verlassen, lassen sich nun nur die gänzlich
       Ferngebliebenen feststellen. Pikant: Bundesfamilienminsterin Kristina
       Schröder (CDU) war nicht da.
       
       Der Streit über das Betreuungsgeld geht weiter. Denn das Gesetz wird nun
       erst nach der Sommerpause in den Bundestag eingebracht.
       
       15 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR H. Oestreich
   DIR U. Schulte
       
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