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       # taz.de -- „Ai Weiwei. Never sorry“ im Kino: Mut oder Performance
       
       > In „Ai Weiwei. Never sorry“ porträtiert Alison Klayman den chinesischen
       > Künstlerstar. Sie zeichnet dessen Konsensbild nach. Ihre Stärke ist die
       > Nahaufnahme.
       
   IMG Bild: Zusammengeschlagen – fuck off!
       
       „Profiteure des Systems“. Mit diesem harschen Verdikt bedachte kürzlich die
       in der Schweiz lebende Übersetzerin Wei Zhang einige ihrer Landsleute. Die
       Intellektuellen Chinas eigneten sich nicht als Gesellschaftskritiker. So
       sehr seien sie in das politische System eingebunden.
       
       Ob Zang ihr Urteil zurücknimmt, wenn sie den Dokumentarfilm „Ai Weiwei.
       Never sorry“ gesehen hat? Schließlich beweist der Mann, den die junge
       amerikanische Filmemacherin Alison Klayman darin porträtiert, dass
       chinesische Intellektuelle ihr Land von innen kritisieren können. Auch wenn
       der Spielraum dafür bedrückend eng ist.
       
       „Never sorry“, Klaymans Titel, klingt nach großer Oper. Die Regisseurin
       macht auch keinen Hehl daraus, dass sie den „charakterstarken Künstler“
       bewundert. Doch sie stilisiert ihn nicht zum Übermenschen. „Ich bin sehr
       viel furchtsamer als viele Menschen“, gesteht Ai Weiwei darin seiner
       Porträtistin. „Denn ich kenne die Gefahr.“
       
       Drei Jahre, von 2008 bis 2011, hat Klayman den Künstler begleitet.
       Grundlegend neue Erkenntnisse fördert sie dabei nicht zutage. Sieht man von
       der hierzulande unbekannten Tatsache ab, dass Ai einen unehelichen Sohn
       hat. Zu den schönsten Bildern des Films gehört, wie der beleibte Ai 2010
       mit dem winzig kleinen Ai Lao über das Meer von Sonnenblumenkernen aus
       Porzellan in der Londoner Tate stakst. „Es ist nicht erstrebenswert, aber
       es ist passiert“, erklärt er steif die Umstände seiner neuen (Vater-)Rolle.
       
       So zeichnet Klayman Schritt um Schritt das verbreitete bekannte Konsensbild
       des „Künstlers und Aktivisten“ nach, bei dem Kunst und Politik, Kunst und
       Leben ununterscheidbar verschmelzen. Ist es noch Mut oder schon
       Performance, als er plötzlich zwei Männer in einem parkenden Auto fragt:
       „Verfolgen Sie mich?“ Und die Szene filmt. Klaymans Film lebt von der
       sensiblen Nahaufnahme. Ihr enger Fokus hat aber auch seine Nachteile. Über
       den familiären Kontext Ais hinaus, seine Beziehung zu anderen Künstlern und
       Dissidenten, erfährt man wenig.
       
       ## Wenig Kontext
       
       Wenn der Regisseurin etwas gelingt, dann das Bild eines lebenslustigen und
       genussfreudigen Mannes, der bei allem rastlosem Aktivismus erstaunlich in
       sich ruht. Und nur einmal die Nerven verliert. Als er in einer
       Fußgängerzone einen der Polizisten wiedererkennt, die ihn attackierten, als
       er in Chengdu einem Aktivisten im Prozess beistehen wollte. Die schwere
       Kopfverletzung, die er dabei erlitt, musste in München operiert werden.
       Dass sein Widerstand aber immer rechtsstaatlich bleibt, hat
       Symbolcharakter. Er zeigt den Peiniger an. Stolz hält er das Protokoll in
       die Kamera und stellt das Dokument online.
       
       So rundet sich das Bild des menschenfreundlichen Menschenrechtskämpfers,
       der am Ende des Films, kurz nach seiner Freilassung aus der Haft, in einem
       BBC-Interview seine Kollegen mahnt, „die Meinungsfreiheit zu schützen“. Als
       Gastprofessor der Berliner Universität der Künste kann er sich hoffentlich
       bald seiner eigentlichen Aufgabe widmen: die Grenzen der Imagination
       auszuweiten.
       
       ## „Ai Weiwei. Never Sorry“. Regie: Alison Klayman. USA 2012, 91 Min.
       
       13 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arend
       
       ## TAGS
       
   DIR Ai Weiwei
   DIR Schwerpunkt Überwachung
       
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