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       # taz.de -- Thomas de Maizière über Sicherheitspolitik: „Dampfgeplauder weckt Enttäuschung“
       
       > Verteidigungsminister Thomas de Maizière über ein Eingreifen in Syrien,
       > deutsche U-Boote für Israel und seine „sensiblen Soldaten“.
       
   IMG Bild: Der Bundesverteidigungsminister im Gespräch mit der Truppe in Kundus.
       
       taz: Herr de Maizière, Generäle wie einfache Soldaten beklagen sich
       bitterlich darüber, dass die Bundeswehr zu wenig Akzeptanz genießt. Haben
       sie Recht? 
       
       Thomas de Maizière: Ach ja. Das Bedürfnis nach Zuwendung mancher in der
       Bundeswehr gleicht einer nach oben offenen Richterskala.
       
       Die Bundeswehr ist wehleidig? 
       
       Ich sage Soldaten oft: Übertreibt es nicht. Schaut auf die Faktenlage: Die
       Reputation der Bundeswehr wie des Soldatenberufs ist hervorragend.
       Entsprechende Umfragen weisen beidem seit Jahren Plätze unter den ersten
       Fünf oder Zehn zu. Das wäre in den 80er Jahren nicht denkbar gewesen.
       
       Will der Verteidigungsminister diese Gelegenheit nicht nutzen,
       Wertschätzung für seine Truppe zu fordern? 
       
       Wahr ist: Die „postheroisch“ genannte deutsche Gesellschaft tut sich damit
       schwer, das Besondere am Soldatenberuf angemessen zu würdigen.
       
       Das im Töten und Sterben besteht. 
       
       Es besteht darin, dass der katholische Militärbischof sagt, Töten und
       Sterben gehört dazu. Oder dass wir Tapferkeitsmedaillen an junge Soldaten
       verleihen, die in Afghanistan Kameraden unter Lebensgefahr aus einem
       Feuergefecht retten. Soldaten zeigen Tapferkeit im altmodischen und besten
       Sinne des Wortes. Aber dies ist fremdartig in unserer sicheren Welt, hier
       mitten in Europa. Für dieses Andersartige die richtigen Worte und
       Wertschätzung zu finden, ist eine Aufgabe.
       
       Sie wollen, dass auch Deutschland eine Veteranenpolitik bekommt. Was heißt
       das? 
       
       Zunächst einmal verständigen wir uns gerade darüber, was ein Veteran
       überhaupt ist. Ein Soldat, der aus dem Einsatz kommt – oder jeder Soldat.
       
       Wer daheim die Kaserne hütet, will auch gelobt werden. 
       
       Richtig. „Zwei-Klassen-Armee“ – auch darüber wird gerade heftig diskutiert.
       Ebenso wichtig ist die Frage: Sind nur diejenigen Veteranen, die verwundet
       an Körper oder Seele aus dem Einsatz wiederkommen? Ich glaube, auch
       diejenigen, die vielleicht sogar durch Erfahrungen gestärkt heimkehren,
       sind Veteranen. Nicht nur die Mühseligen und Beladenen sollen schließlich
       geehrt werden.
       
       Wird denn ein Gedenktag mit Wimpeln, Fackeln und Sonntagsreden Akzeptanz
       schaffen? 
       
       Ein Veteranentag kann am Ende ein Teil einer Lösung sein, ja. Aber ich
       möchte keinen Muttertag für Soldaten etablieren. Nach dem Motto: Heute
       kaufen wir Mutti mal Blumen, knallen ihr aber morgen wieder die schmutzige
       Wäsche vor die Waschmaschine. Ein Gedenktag müsste eingebettet sein in
       Veteranenpolitik.
       
       Feuerwehrleute, Notärzte oder Polizistinnen riskieren oft auch viel für die
       Gesellschaft. 
       
       Ich finde auch, dass die öffentliche Wertschätzung von Menschen, die am und
       mit dem Tod arbeiten, höher sein muss. Das betrifft die Krankenschwester,
       die im Hospiz arbeitet, wie den Kampfmittelbeseitiger, der die Bombe aus
       dem zweiten Weltkrieg auf der Baustelle entschärft. Und doch ist der Soldat
       der einzige, der gelobt, die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
       verteidigen. Nur vom Soldaten verlangen wir, dass er sich aktiv in
       Lebensgefahr begibt und im Auftrag der Politik sogar bereit ist zu kämpfen
       und notfalls zu töten.
       
       Dient es der Akzeptanz des Militärs, wenn man die Rechte des Bundestags zur
       Entsendung der Bundeswehr einschränkt? 
       
       Sie verkürzen ein wichtiges Thema auf polemische Weise. Auf die Rechte des
       Parlaments bei der Entsendung der Bundeswehr sind wir stolz. Sie entlasten
       übrigens auch die Exekutive, weil der Bundestag politisch mit haftet. Wenn
       wir aber in einem Bündnis Kommandostrukturen und Logistik teilen und
       einzelne Länder bestimmte Funktionen, etwa die Luft-zu-Luft-Betankung,
       anbieten, dann muss sich das Bündnis darauf verlassen, dass das klappt –
       unabhängig davon, wer mit in einen Einsatz zieht. Dazu bedarf es früher
       Parlamentsentscheidungen.
       
       ...Vorratsbeschlüsse à la „der Bundestag stimmt den militärischen
       Notwendigkeiten des kommenden Jahres zu“? 
       
       Nein. Es geht darum, früh über die Bindung im Bündnis von Kapazitäten zu
       entscheiden. Schon beim Irakkrieg wäre es ehrlicher gewesen zu sagen:
       Überflugrechte und die Bereitstellung von Geheimdiensterkenntnissen gehören
       dazu, auch wenn wir nicht vor Ort mitkämpfen.
       
       Die Nachrichten von Massakern in Syrien reißen nicht ab. Wird sich die Nato
       dem Ruf nach militärischem Eingreifen noch lange entziehen können? 
       
       Ich finde es schwer erträglich, dass irgendwelche Kaffeehausintellektuellen
       in der Welt den Einsatz von Soldaten fordern, ohne je darüber Rechenschaft
       ablegen zu müssen, was das bedeutet. An den Gräbern und bei den
       Trauerfeiern der Soldaten steht dann der Verteidigungsminister mit
       trauernden Hinterbliebenen. Ich sehe diese neue forsche Art von
       Anforderungen an das Militärische mit Sorge. Die ganze Last der Folgen wird
       dabei nicht genügend bedacht.
       
       Das ist nicht die Aufgabe von Menschenrechtsinitiativen. 
       
       Aus rein menschenrechtlichem Engagement kann man aber keine Militäreinsätze
       durchführen. Wir müssen zusätzlich fragen: Nützt oder schadet eine
       Intervention? Wem helfen wir? Wie lange dauert das? Wie kommen wir da
       wieder heraus? Wie hoch sind die Kosten – an Menschen, und an Geld? Was ist
       die rechtliche Grundlage? Die Antwort auf all das kann dazu führen, dass
       wir im wörtlichsten Sinne macht-los zuschauen müssen. Dieses Dampfgeplauder
       von Leuten, die keine Verantwortung tragen, weckt in Regionen wie Syrien
       Erwartungen und verursacht eben dadurch auch furchtbare Enttäuschung.
       
       Das Dampfgeplauder ist der Versuch, das entstehende Völkerrecht von der
       Responsibility to Protect mit Inhalt zu füllen. Schließlich erweitert das
       Prinzip der Schutzverantwortung den Begriff der staatlichen Souveränität um
       die Verantwortung, seine Bürger zu schützen. 
       
       Diese Schutzverantwortung ist ein neues, wichtiges völkerrechtliches
       Instrument. Aber dürfen wir es in Anspruch nehmen, wenn es nicht vom
       Sicherheitsrat gedeckt ist? Ist es ein Recht oder eine Pflicht? Ich sehe es
       als Recht an, nicht als Pflicht. Wir haben in Ruanda zugeschaut, wir haben
       in Simbabwe zugeschaut, wir schauen natürlich in Nordkorea zu. Allein die
       Betroffenheit über Fernsehbilder und Zeitungsberichte kann nicht darüber
       entscheiden, ob man eingreift oder nicht.
       
       Sie möchten weiterhin unbewaffnete UNO-Soldaten die toten Zivilisten zählen
       lassen. 
       
       Das Mandat lautet „beobachten“. Wir haben von der Menschenrechtsbewegung
       gelernt, dass das Herstellen von Öffentlichkeit Wirkung hat. Es ist ein
       Unterschied, ob jemand ein flimmerndes Bild von irgendeinem Handy in die
       Welt schickt, oder ob wir einen UNO-Bericht haben. Das hat auch auf
       diejenigen eine Wirkung, die Gewalt ausüben. Das mag eine zornige Mutter in
       Syrien nicht unmittelbar überzeugen, aber politisch ist es so.
       
       Beim Rüstungsexport ist die Bundesregierung weniger zurückhaltend.
       Stabilisieren nuklear aufrüstbare U-Boote für Israel die Region? 
       
       Wir befinden uns in der Kontinuität früherer Regierungen. Die U-Boote, die
       wir liefern, sind unbewaffnet. Die Bewaffnung liegt in der Verantwortung
       von Israel.
       
       Warum muss die Bundesrepublik die U-Boote mitbezahlen? 
       
       Das ist ein Beitrag Deutschlands für die Sicherheit Israels. Deutschlands
       Sicherheit bestand vier Jahrzehnte auch auf nuklearer Abschreckung – von
       anderen für uns. Man mochte das damals für falsch halten, gefährlich und
       teuer – aber es war erfolgreich. Wenn unsere Sicherheitsdoktrin aber
       vierzig Jahre lang Abschreckung war, dann können wir anderen Staaten das
       Recht darauf nicht ohne weiteres absprechen.
       
       Sie gelten als sehr loyal – zur Kanzlerin und zur Partei. Ist Loyalität in
       der Politik eine nützliche oder eine notwendige Eigenschaft? 
       
       Nützlich und notwendig. Sie können eine Institution nicht ohne Loyalität
       organisieren. Niemand ist gezwungen, Mitglied einer Regierung oder Fraktion
       zu sein. Wenn man aber dabei ist, muss man loyal sein, sonst ist man
       herzlich eingeladen zu gehen. Ausnahmen sind Gewissensentscheidungen, die
       übrigens aber gar nicht so häufig sind wie mancher Politiker behauptet.
       
       Sie meinen die Gegner des Eurorettungskurses? 
       
       Ihre Interpretation. Es ärgert mich aber, dass in Deutschland die Unsitte
       zugenommen hat, als Teil eines Mehrheitssystems in ein Amt zu gelangen und
       dessen Privilegien auch gern zu nutzen – aber aus Gründen eigener
       Profilierung illoyal zu sein, um für sich selbst Fleißkärtchen zu sammeln.
       Das ist auch eine große Quelle von Politikverdrossenheit.
       
       Die schwarzgelbe Koalition ist ein Musterbeispiel dafür, was Sie gerade
       beschreiben. 
       
       Ja, das könnte besser sein. Die zum Teil deutlich verbesserungsfähige
       Reputation unserer Koalition hängt nicht mit den Sachergebnissen, sondern
       mit dem Erscheinungsbild zusammen. Es gibt einen Lohn der Presse für
       Illoyalität, der nicht in Geld besteht, auch nicht in Wertschätzung,
       sondern in Publizität, was für manche in der Politik eine Droge ist. Es
       darf aber innerparteilich und in einer Koalition keine Prämie für
       Illoyalität und diese Art für Publizität geben. Wir haben derzeit bloß ein
       großes Glück: In der Opposition gibt es die gleichen Probleme.
       
       10 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR U. Winkelmann
   DIR U. Schulte
       
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