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       # taz.de -- Warschau beim EM-Eröffnungsspiel: „Kein Bier mehr“
       
       > Auf der Fanmeile in Warschau kommen zehntausende polnische Fans zusammen
       > und freuen sich über die starke erste Halbzeit ihres Teams. Später hilft
       > nur noch Trotz.
       
   IMG Bild: Nach dem Eröffnungsspiel der EM in Warschau ziehen die Fans wie Pilger durch die Stadt.
       
       WARSCHAU taz | „Bitte werfen Sie den Schirm in den Container“, begrüßen
       Freiwillige in grellgelben Umhängen die Fußballfans auf Polens größter
       Fanmeile in Warschau. Der Einwand, dass es möglicherweise gleich wieder wie
       aus Eimern schütten könnte, zieht nicht. „Entweder Sie werfen den Schirm
       weg, oder Sie bleiben draußen.“ Leicht genervt werfen die Fans also ihre
       Schirme zu den tausenden anderen in den schon fast vollen Container.
       „Sicherheit geht vor“, versucht eine junge Frau an der Kontrolle zu
       beschwichtigen.
       
       Auf dem schon von weiten sichtbaren Riesenbildschirm läuft irgendein
       Vorprogramm, niemand achtet darauf, wahrscheinlich Werbung. Stattdessen
       versuchen sich die meisten Fans vor dem Anpfiff des Spiels noch schnell mit
       Wasser, Cola oder einem Bier zu versorgen. Die Schlangen vor den
       Getränkebuden mäandern rings um die Schlamm- und Regenpfützen. Die
       handbemalte Pappe „Piwa nie ma“ – „Kein Bier mehr“ lenkt die Menschenmassen
       zu den Schaschlik-Ständen um, wo es immerhin noch O-Saft gibt.
       
       Endlich der erlösende Anpfiff! Schlagartig wird klar, dass die Tänzerinnen
       in ihren bunten Bauernröcken doch keine Werbung für polnische Cabanossi
       machten, sondern zum künstlerischen Vorprogramm des Turniers gehörten.
       Egal. Es geht los. Endlich „Polska! Do boju!“ – „Polen! In den Kampf!“
       jubeln zehntausende Fans in rot-weißen T-Shirts, Schals, witzigen Kappen
       und Zylindern. Vor dem Kulturpalast in Warschau macht sich ausgelassene
       Feierlaune breit, als auf dem Bildschirm die Fußballer aufs Spielfeld
       rennen.
       
       ## Die Begeisterung hält nicht lange
       
       Und dann die wunderbaren Borussen. Das offensive Spiel des Dortmunder Trios
       Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski und Lukasz Piszczek macht den Fans
       Spaß, und als in der 17. Minute das erste Tor für Polen fällt, springen
       knapp 100.000 Menschen in die Luft, halten die rotweißen Polska-Schals über
       den Kopf und jubeln „Gol! Gol!“ – „Tor! Tor!“. Doch die Begeisterung hält
       nicht lange an. Seltsamerweise scheint die rote Karte für den Griechen
       Sokratis vom Verein Werder-Bremen die polnische Mannschaft zu lähmen. Statt
       die Chance, einen Mann mehr im Spiel zu haben, auszunutzen, geht plötzlich
       nichts mehr. Die Fans vor dem Kulturpalast in Warschau werden ungeduldig,
       beginnen zu murren.
       
       Als die Griechen dann auch noch das Ausgleichtor schießen, sind die
       Warschauer starr vor Entsetzen. Ein Aufschrei durch die Innenstadt.
       „Oooohhh.“ Ist das etwa schon das Ende? Schießen die Griechen noch ein Tor?
       „Do boju! Do boju!“ – „Zum Kampf!“ feuern die Fans die Fußballer an, die
       ein paar Kilometer weiter im Nationalstadion auf der anderen Weichselseite
       davon natürlich nichts mitbekommen.
       
       Plötzlich fliegen Bierflaschen vom Dach der Metro in die Menge hinein. Ein
       paar Hooligans mit Glatze lassen ihren Frust an den Fans aus, die mit ihren
       Kindern zum Kulturpalast gekommen sind und das Match zusammen mit anderen
       erleben wollten. Bierregen geht auf sie nieder. Weder Polizisten noch
       Wachleute greifen ein. So verlassen noch vor Abpfiff des Spiels Familien
       mit Kindern fluchtartig die Fanmeile.
       
       Immerhin kommt man vom Zentrum aus mit der Metro weg. Auf der anderen
       Weichselseite aber, dort wo das Nationalstadium steht, scheint offenbar
       nichts mehr zu fahren, kein Bus, keine Bahn, kein Zug. So ziehen nach
       Spielende zehntausende Fans zu Fuß und wie in einem langen rot-weißen
       Pilgerzug vom Stadion über die Brücke zurück ins Stadtzentrum. „Noch ist
       nichts verloren“, trösten sich die Fans, die das Spiel direkt gesehen
       haben. „Beim nächsten Match müssen die Jungs es eben reißen!“ Da sie aber
       genau wissen, dass Polen dann auf den Angstgegner Russland trifft, haken
       sich die jungen Männer unter und stimmen trotzig-stolz und fast schon
       verzweifelt erneut das Kampflied der polnischen Fans an „Do boju, Polska!“
       
       9 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
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