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       # taz.de -- Reform des Urheberrechts: Was rechtlich möglich ist
       
       > Kann Filesharing entkriminalisiert werden? Kann eine Kulturflatrate das
       > klassische Urheberrecht ersetzen? Ein Überblick über den internationalen
       > Rechtsrahmen.
       
   IMG Bild: Wie viel darf aus dem Netz gesaugt werden? Darum geht es in der Urheberrechtsdebatte.
       
       FREIBURG taz | Das Urheberrecht steht vor großen Umwälzungen, zumindest
       werden sie ernsthaft diskutiert. Was heute noch massenhafter Rechtsbruch
       ist, kann bald schon erlaubtes Handeln sein. Die digitale Revolution, das
       Internet und eine anarchische Alltagskultur stellen die angestammten Rechte
       der Urheber und der angeschlossenen Industrie (Verlage, Plattenfirmen,
       Filmstudios et cetera) radikal infrage.
       
       Filesharer nutzen urheberrechtlich geschützte Werke einfach, ohne
       Bezahlung, ohne Lizenzen, ohne schlechtes Gewissen. Wenn der eine
       technische Weg verschlossen wird, finden sie oder dubiose Geschäftemacher
       eine neue Plattform, um vor allem Musik und Filme anzusehen, anzubieten,
       downzuloaden und zu streamen.
       
       Mit den Urhebern solidarisieren sich die Filesharer vor allem verbal. So
       wird behauptet, die Weitergabe der Dateien nütze letztlich auch dem legalen
       Geschäft, der Sharer sei der Käufer von morgen. Oder der Urheber sei ja nur
       eine ausgebeutete Kreatur in den Klauen der Verwerter („Content-Mafia“),
       die man gemeinsam bekämpfen müsse.
       
       Bisherige Anpassungen des Rechts gingen nur in eine Richtung: Kontroll- und
       Sanktionsmechanismen wurden aufgerüstet und internationalisiert. Doch die
       Zweifel wachsen, ob dieser Kampf für das klassische Urheberrecht zu
       gewinnen ist. Die Akzeptanz des Urheberrechts ist jedenfalls nicht
       gestiegen.
       
       Zugleich werden die Filesharer immer mehr als gesellschaftliche Realität
       anerkannt. Mit der Piratenpartei haben sie inzwischen sogar eine
       parlamentarische Vertretung. Die europaweiten Proteste gegen das
       Acta-Abkommen – ein weiterer Vertrag zur Verteidigung des Urheberrechts –
       waren unerwartet schnell erfolgreich. Das Abkommen ist so gut wie tot.
       
       Auch die Politik ist kein verlässlicher Partner des klassischen
       Urheberrechts mehr. Sie ist vielmehr irritiert, sondiert die neue Lage,
       will keine breiten und jungen Wählermassen vor den Kopf stoßen. Plötzlich
       scheint vieles möglich, was vor fünf Jahren undenkbar war.
       
       ## Radikale Forderungen von Piraten und Grünen
       
       „Das private direkte nichtkommerzielle Filesharing soll entkriminalisiert
       werden“, [1][fordert] die Piratenpartei. Doch was ist privat und
       nichtkommerziell? Gemeint ist hier nicht der Tausch mit dem engen
       Freundeskreis, sondern mit der gesamten gleichgesinnten Welt. Die Forderung
       stellt damit das Geschäftsmodell der Medienunterhaltungsindustrie umfassend
       infrage.
       
       Die Grünen sind fast ebenso radikal, aber bieten dem Kreativsektor auch
       eine alternative Einkommensquelle an: die Kulturflatrate. Die Nutzer sollen
       einmal pro Monat eine Gebühr zahlen, und könnten dann legal alles
       downloaden, was ihr Herz begehrt. Die Gebühr, deren Höhe noch offen ist,
       könnte mit der Rechnung des Internetproviders eingezogen werden.
       
       Die Verteilung der Einnahmen auf die Urheber müsste wohl von einer
       Verwertungsgesellschaft nach Art der Gema vorgenommen werden. Bei einem
       ähnlichen Vorschlag des Chaos Computer Clubs könnten die Nutzer ihre
       [2][Kulturwertmarken] unabhängig vom Verbrauch einzelnen Künstlern zukommen
       lassen.
       
       Entkriminalisierung und Kulturflatrate sind beide mit dem gegenwärtigen
       Urherrechtsgesetz nicht zu machen. Das heißt: Das Gesetz müsste geändert
       werden. Eigentlich ist das alltägliche Politik. Doch genügt eine einfache
       Mehrheit im Bundestag? Oder stehen grundlegendere Rechte dagegen?
       
       ## Das Eigentum ist ein schwaches Grundrecht
       
       Das Urheberrecht wird vom Grundgesetz geschützt. Als „geistiges Eigentum“
       ist es von [3][Artikel 14] (Recht auf Eigentum) erfasst, so die ständige
       Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Das allein heißt
       aber noch nicht viel. Denn das Eigentum ist eines der schwächsten
       Grundrechte. Eigentlich ist nur geschützt, was der Gesetzgeber auch als
       Eigentum definiert.
       
       Allerdings hat Karlsruhe diese Freiheit des Gesetzgebers für das geistige
       Eigentum eingeschränkt. „Artikel 14 gebietet die grundsätzliche Zuordnung
       des wirtschaftlichen Wertes eines geschützten Werkes an den Urheber“, heißt
       es in einer [4][Grundsatzentscheidung von 1971].
       
       Es ging damals um die Frage, ob der Staat Autoren verpflichten kann, ihre
       Texte kostenlos für staatliche Schulbücher zur Verfügung zu stellen. Die
       Länder wollten das, um Kosten für die Schulen zu sparen, und argumentierten
       recht modern: Die Urheber bauten ja nur auf der Leistung anderer auf und
       sollten der Gesellschaft nun etwas zurückgeben. Außerdem sollten die
       Autoren froh sein, dass sie in ein Schulbuch aufgenommen werden, das adele
       ihr Werk als „anerkanntes Kulturgut“.
       
       ## Staatliche Eingriffe sind punktuell möglich
       
       Das Bundesverfassungsgericht ließ diese Argumentation nur zur Hälfte
       gelten. Zwar darf der Gesetzgeber die Freiheit der Urheber einschränken und
       sie zur Duldung des Abdrucks in einem Schulbuch zwingen. Allerdings muss er
       dafür stets eine Vergütung als Gegenleistung vorsehen.
       
       In einer späteren [5][Entscheidung] von 1988 – diesmal ging es um das
       kostenlose Abspielen von Musik in Gefängnissen – erklärte Karlsruhe, dass
       solche staatlichen Eingriffe punktuell zulässig sind, solange der Staat den
       Urhebern insgesamt eine „angemessene Verwertung“ ihrer Werke gewährleiste.
       
       Um vor dem Bundesverfassungsgericht zu bestehen, müsste der Gesetzgeber
       also belegen, dass trotz Entkriminalisierung des Filesharings für die
       Urheber noch eine „angemessene Verwertung“ möglich bleibt oder dass die
       Einnahmen aus der Kulturflatrate eine angemessene Kompensation bieten. Von
       vornherein aussichtslos ist das nicht. Aber bloße Rhetorik genügt dann
       sicher auch nicht.
       
       ## Grundlegende Neuausrichtung nur über EU-Recht
       
       Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Deutschland im Urheberrecht längst
       nicht mehr autonom handeln kann. Seit 1991 wurden mehr als zehn
       EU-Richtlinien beschlossen, die Urheberrecht inzwischen weitgehend
       harmonisiert haben. Gerade mit Blick auf grenzüberschreitende Möglichkeiten
       im Internet ist es sinnvoll, einen größeren Rechtsraum einheitlich zu
       regeln.
       
       Eine grundlegende Neuausrichtung des Urheberrechts wäre deshalb auch nicht
       national, sondern nur europäisch möglich. So würde zum Beispiel die
       Einführung der Kulturflatrate derzeit gegen eine
       [6][32001L0029:DE:HTML:EU-Richtlinie von 2001] „zur Harmonisierung
       bestimmter Aspekte des Urheberrechts […] in der Informationsgesellschaft“
       verstoßen.
       
       Allerdings kann diese Richtlinie von den EU-Regierungen mit qualifizierter
       Mehrheit geändert werden. Es ist also kein einstimmiger Beschluss
       erforderlich. Das Europäische Parlament müsste aber ebenfalls zustimmen.
       
       Auch eine Änderung von EU-Richtlinien scheint nicht von vornherein
       aussichtslos. Eine so weitgehende Neuorientierung des Urheberrechts wird
       nur möglich sein, wenn sich auch außerhalb Deutschlands ein verändertes
       gesellschaftliches Klima durchsetzt.
       
       ## Verträge stehen einer Entkriminalisierung im Weg
       
       Schon lange vor Acta gab es völkerrechtliche Garantien des Urheberrechts.
       So ermöglichte die Berner Übereinkunft von 1886 den gleichberechtigten
       Schutz von Urheberrechten im Ausland.
       
       Die Durchsetzung von Urheberrechten wurde allerdings erst mit dem
       [7][TRIPS-Abkommen] von 1994 völkerrechtlich geregelt. TRIPS steht dabei
       für „trade-related aspects of intellectual property rights“. Das Abkommen
       wurde parallel zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO beschlossen und
       bindet zurzeit mehr als 150 Staaten.
       
       TRIPS verpflichtet die beteiligten Staaten, in ihrem nationalen Recht
       wirksamen Rechtsschutz gegen viele Arten von Urheberrechtsverletzungen
       vorzusehen. Staaten, die diese Pflichten verletzten, können vor einem
       WTO-Streitschlichtungspanel verklagt werden. Hier dürfte es deshalb
       Probleme mit einer völligen Entkriminalisierung des Filesharing geben.
       
       Eine Änderung des TRIPS-Vertrags ist aber nur einstimmig möglich. Sie wäre
       also zum Beispiel gegen die USA nicht durchzusetzen. In den Vereinigten
       Staaten sitzt aber die einflussreichste Contentlobby.
       
       Auch eine isolierte Kündigung des TRIPS-Vertrags ist nicht möglich.
       Deutschland müsste vielmehr zugleich die WTO verlassen. Das aber ist für
       ein exportorientiertes Land wie Deutschland kaum denkbar, weil damit der
       Schutz deutscher Unternehmen vor Diskriminierung im Ausland verloren ginge.
       
       Allerdings sind Entscheidungen der gerichtsähnlichen WTO-Gremien in Europa
       nicht unmittelbar anwendbar. Dies hat der Europäische Gerichtshof schon
       mehrfach entschieden. Wenn die EU wegen Verletzung von
       TRIPS-Verpflichtungen verurteilt würde, müsste die EU dem nicht automatisch
       nachkommen, sondern könnte auf diplomatischem Wege versuchen, den Konflikt
       zu lösen und Handelssanktionen zu vermeiden.
       
       ## Eine globale Kulturrevolution ist nötig
       
       Diese grobe Übersicht zeigt also, dass ein Paradigmenwechsel im
       Urheberrecht rein national kaum möglich ist. Sollte es aber zu einer
       globalen Kulturrevolution im Sinne der Filesharer-Bewegung kommen – was
       angesichts des globalen Charakters des Internets wahrscheinlicher ist als
       eine nationale Sonderentwicklung –, dann könnte und müsste diese auf vielen
       Ebenen juristisch nachvollzogen werden.
       
       Bis dahin wird es bei den Grabenkämpfen bleiben, die wir derzeit erleben.
       
       7 Jun 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.piratenpartei.de/2012/05/21/zehn-punkte-urheberrechtsreform/
   DIR [2] http://www.ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark
   DIR [3] http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html
   DIR [4] http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv031229.html
   DIR [5] http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidungen/bverfg/1bvr743-86.html
   DIR [6] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX
   DIR [7] http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/27-trips_01_e.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Urheberrecht
       
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