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       # taz.de -- Schengen-Abkommen: Wie es war und wie es werden könnte
       
       > Im Arabischen Frühling kamen Tausende Tunesier nach Europa, was zu Streit
       > in der EU führte. In Zukunft könnten an Grenzen wieder Ausweise verlangt
       > werden.
       
   IMG Bild: Um sie wird in der EU gestritten: Flüchtlinge aus Nordafrika.
       
       BERLIN taz | Nach dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali kamen im
       Frühjahr 2011 rund 21.000 Tunesier über das Mittelmeer nach Europa. Fast
       alle landeten auf italienischem Festland, dort bleiben wollten die
       wenigsten.
       
       Einerseits wollte Italien die Nordafrikaner loswerden, andererseits
       forderte Berlusconi von der EU Hilfeleistungen, um weitere Nordafrikaner
       abwehren zu können. Um den Druck zu erhöhen, entschloss sich der
       italienische Innenminister Roberto Maroni zu einem unerwarteten Manöver:
       Kurz entschlossen stellten die italienischen Behörden Tausenden papierlosen
       Tunesiern Aufenthaltsgenehmigungen aus.
       
       Damit sollte ihnen die Weiterreise in andere EU-Länder, vor allem nach
       Frankreich, erleichtert werden. Denn da wollten die meisten von ihnen hin.
       
       Doch Frankreich hatte wenig Lust, die Nordafrikaner aufzunehmen – und
       setzte kurzerhand die Kontrollen an der Grenze zu Italien wieder ein. Die
       Aufenthaltserlaubnisse der Tunesier, die es ihnen normalerweise ermöglicht
       hätten, innerhalb der EU umherzureisen, erkannte Frankreich einfach nicht
       an. Die EU-Kommission kritisierte dies heftig. Seither ist der Streit
       darüber, wann ein Schengen-Staat wieder die Binnengrenzen kontrollieren
       darf, in vollem Gang.
       
       Bei einem Treffen in Luxemburg ermahnten die EU-Innenminister jedoch
       Italien, das Problem nicht auf die EU-Partner abzuwälzen. „Wir können nicht
       akzeptieren, dass über Italien viele Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa
       kommen“, sagte Bundesinnenminister Friedrich in Luxemburg.
       
       ## Reisefreiheit in Zukunft unter Vorbehalt
       
       Die Reisefreiheit innerhalb der EU wird in Zukunft nur noch unter Vorbehalt
       gewährt.Die neue Praxis könnte etwa Flugzeuge betreffen, die aus Athen oder
       Rom nach Frankfurt fliegen. Bisher können Passagiere ohne Ausweiskontrollen
       das Gate verlassen.
       
       Künftig dürften die Zielstaaten alle Ankommenden überprüfen. Als Begründung
       dafür genügt es, dass in Südeuropa Papierlose in das Schengen-Gebiet
       kommen.
       
       Gleiches ist für Fähren, etwa zwischen Ländern wie Italien und
       Griechenland, oder für internationale Züge denkbar, die bisher ohne
       Kontrollen innerhalb Europas fuhren. Künftig drohen die seit den 90ern
       abgeschafften Ausweiskontrollen.
       
       Doch die Regelung, auf die sich die Innenminister verständigt haben, kann
       auch in gar nicht direkt betroffenen Regionen angewandt werden. So könnte
       Deutschland auch an die Grenze zu Österreich wieder Zöllner stellen.
       Schließlich könntem irgendwo an den Außengrenzen durchgeschlüpfte Migranten
       versuchen, aus dieser Richtung hierherzugelangen.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Syrien
       
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