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       # taz.de -- Aktivistin Gannuschkina über Putin: „Ich habe die Hoffnung verloren“
       
       > Sie will nicht mehr ein Aushängeschild für Wladimir Putin sein, sagt die
       > russische Aktivistin Swetlana Gannuschkina. Sie hat Putins
       > Menschenrechtsrat verlassen.
       
   IMG Bild: Eine „illegale“ Kirgisin wird von Uniformierten zurück über die Grenze eskortiert.
       
       taz: Sie haben den Menschenrechtsrat, der bei Russlands Präsident Wladimir
       Putin angesiedelt ist, verlassen. Warum? 
       
       Swetlana Gannuschkina: Es war vor allem die Art und Weise, wie er an die
       Macht gekommen ist. Diese Unverfrorenheit, mit der er die Menschen vor den
       Kopf gestoßen hat. Oder nehmen wir die Migrationsfrage. Ich habe in der
       Vergangenheit mehrfach mit Putin über Migrationspolitik gesprochen. Und was
       macht er? Kurz vor den Wahlen forderte er eine strafrechtliche Verfolgung
       von Personen, die die Registrierungsvorschriften verletzen.
       
       In einer seiner ersten Verordnungen als neuer Präsident verlangt Putin eine
       Verschärfung der Migrationsgesetze. Alle Migranten, außer hoch
       qualifizierten, müssen sich prüfen lassen: in russischer Sprache,
       russischer Geschichte und russischer Gesetzgebung. Betroffen von dieser
       Regelung werden ausgerechnet Reinigungskräfte und Bauarbeiter sein. Im
       Ergebnis wird die Korruption wieder einen neuen Höhepunkt erleben.
       
       Haben Sie mit Ihrer Entscheidung an Einfluss verloren? 
       
       Ja. Der Zusatz „Mitglied des Rats für Menschenrechte und Zivilgesellschaft
       des Präsidenten der Russischen Föderation“ hat mir viele Türen geöffnet.
       Ich konnte mit Beamten sprechen, Personen schützen und hatte die
       Möglichkeit, der ersten Person im Staat in einem direkten Kontakt etwas
       mitzuteilen. Trotzdem macht es keinen Sinn, nur wegen dieses Namenszusatzes
       weiter Mitglied des Rates zu bleiben. Denn mittlerweile habe ich die
       Hoffnung verloren, wirklich Einfluss nehmen zu können. Die ersten Tage der
       Präsidentschaft von Wladimir Putin haben mich in dieser Einschätzung
       bestätigt. Am Tag von Putins Amtseinführung trat ein neuer Erlass des
       Bildungsministeriums in Kraft, der die Schulen anhält, nur Kinder
       aufzunehmen, die vor Ort registriert sind.
       
       Das heißt, viele Kinder können schon nicht mehr in die Schule gehen? 
       
       Ja genau, und dies, obwohl Artikel 43 der Verfassung der Russischen
       Föderation eindeutig sagt, dass jeder das Recht auf den kostenlosen Besuch
       von Grund- und Mittelschule hat. Und zwar unabhängig davon, ob er oder sie
       registriert ist bzw. die Eltern einen legalen Aufenthaltsstatus haben.
       
       Sie haben schon von 2002 bis 2008 mit Wladimir Putin im damaligen
       Menschenrechtsrat zusammengearbeitet. Was ist heute anders? 
       
       Damals herrschte Krieg. Und im Krieg wiegt die Möglichkeit, Kriegsopfern zu
       helfen, alle anderen Überlegungen auf. Der Menschenrechtsrat ist ja ein
       Beratungsgremium des Präsidenten. Wenn aber der Präsident kategorisch gegen
       all das ist, was ich vorschlage, wie kann ich da weiterhin seine Beraterin
       sein?
       
       Wollen Sie sich der Opposition anschließen? 
       
       Nein, ich bin keine Politikerin. Außerdem gibt es einiges, was mir dort
       nicht gefällt. Linke und Rechte demonstrieren auf einem Platz. Neben
       Demokraten treten auch Faschisten auf. Und alle reden sie von
       Konsolidierung und einer Vereinigung der Kräfte. Ich frage mich nur, wer
       sich da mit wem vereinigen will.
       
       Was sind Ihre Pläne? 
       
       Mein Platz wird immer dort sein, wo ich den Menschen helfen kann. Nicht nur
       den Migranten, sondern auch allen, die gesetzwidrig verfolgt und inhaftiert
       werden. Aber um diesen Menschen zu helfen, bin ich nicht mehr bereit,
       Aushängeschild für Wladimir Putin zu sein. Wir haben völlig konträre
       Positionen.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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