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       # taz.de -- Kolumne Besser: Zeitungsdummdeutsch – die Top Ten
       
       > Wenn einer davor warnt, dass die Erwartungshaltung massiv im Vorfeld
       > umgesetzt wird, dann sind Sie richtig im deutschen Qualitätsjournalismus.
       
       Knapp zwanzig Jahre ist es her, dass der große Eckhard Henscheid sein
       Wörterbuch „Dummdeutsch“ veröffentlichte. Zeit für ein paar Ergänzungen:
       
       10. Strukturen: Es war ebenso kühn wie originell, als Jacques Lacan auf den
       Hinweis eines Studenten, im Pariser Mai seien doch nicht Strukturen auf der
       Straße gewesen, antwortete: „Doch, die Strukturen waren auf der Straße!“
       Das ist lange her. Heute gilt: Wenn Sie keine Ahnung haben, welche Ursachen
       ein bestimmter Sachverhalt hat, sagen Sie einfach: Es hat strukturelle
       Gründe. Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, irgendetwas anderes als
       Strukturen zu ändern. Das klingt klug und (anders als das altmodische
       „System“) auf der Höhe der Zeit.
       
       9. Ansprechpartner: Wo das Gespräch zum Ansprechen verkümmert, wird aus dem
       Gesprächspartner der Ansprechpartner. Fehlen noch: der Ansprechunterricht,
       der Ansprechgesang, die Ansprechwissenschaft und schließlich der
       Unternehmensansprecher, der diesen Bockmist verzapft hat.
       
       8. Verabschieden: Lange hat man kein Parlament mehr irgendwelche Gesetze
       beschließen sehen. Diese werden nur – meist paketweiese – verabschiedet.
       Winke, winke!
       
       7. Warnen: Was ist des Experten – ein Wort übrigens, das nur knapp den
       Einzug in die Top Ten verpasst hat – liebste Beschäftigung? Er warnt:
       „Experte warnt vor schlechtem Essen.“ Von selbst würde nämlich niemand
       darauf kommen.
       
       6. Gegenüber: Hass auf, Abscheu vor, Vertrauen in – die richtige
       Präposition zu finden, ist nicht so einfach, zumal es davon mindestens ein
       Dutzend gibt. Aber man kann es vereinfachen. Bis irgendwann gegenüber allen
       Gipfeln endlich Ruh ist.
       
       5. Erwartungshaltung: Wird in neun von zehn Fällen falsch gebraucht. „Die
       Erwartungshaltung wird Sie zu einem traurigen Fall machen“, schrieb Franz
       Josef Wagner an Joachim Löw, wo doch die bloßen Erwartungen schon genügen
       könnten, um dem Bundestrainer den Garaus zu machen. Typischer Fall von
       universitärem Angeberdeutsch.
       
       4. Vorfeld: Im Vorfeld der Bundestagswahl weiß der Kommentator auch nicht,
       was im Hinterfeld dabei rauskommt.
       
       3. Prägen: Es ist nicht immer so, dass Redakteure Formulierungen verkürzen.
       Manchmal blähen sie ihre Sätze sinnlos auf: „Die Stimmung in Irland ist von
       Angst geprägt“, berichtete neulich die Frankfurter Rundschau. „In Irland
       herrscht Angst“ wäre gewiss nicht schlecht gewesen.
       
       2. Massiv: Ein Polizeieinsatz, der nicht massiv ist, ist keiner.
       
       1. Umsetzung: Einst für Gärtner und Kassenwarte reserviert, inzwischen
       allgegenwärtig. Ein besonders gefräßiges Killwort, dem bislang zum Opfer
       gefallen sind: Taten, die vollbracht, Pläne, die erfüllt, Ziele, die
       erreicht, Vorgaben, die ausgeführt, Versprechen, die eingelöst, Utopien,
       die verwirklicht, Konzepte, die realisiert, Strategien, die angewandt,
       Träume, die wahr gemacht, Wünsche, die erfüllt, und – ja, auch das – Ideen,
       die in die Tat umgesetzt werden. Hatte sich nicht schon Jesus mit den
       Worten „Es ist umgesetzt“ aus dieser Welt verabschiedet?
       
       ***
       
       Besser: Besseres Deutsch.
       
       5 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
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