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       # taz.de -- Wege aus der Eurokrise: Trostpflästerchen, aber bitte umsonst
       
       > Die EU will den Sparkurs mit einem Wachstumspakt ergänzen. Doch wie? Mehr
       > Autobahnen? Hilfe für arbeitslose Jugendliche? Und eine blockt fast alles
       > ab – und liefert nichts.
       
   IMG Bild: Wachstum lässt sich nicht verordnen. Diesen beiden Arbeitslosen in Athen hilft das nicht weiter.
       
       BRÜSSEL taz | François Hollande will es, Mario Monti will es, Angela Merkel
       will es auch. Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien und
       Deutschland sind sich einig, dass Europa mehr Wirtschaftswachstum braucht,
       um aus der Krise zu kommen. Bei dem EU-Gipfel Ende Juni wollen sie dazu
       einen neuen Wachstumspakt schließen. Doch was bisher auf dem Tisch liegt,
       lässt bestenfalls ein konjunkturpolitisches Strohfeuer erwarten.
       
       Merkel hat noch gar nicht geliefert. Sie arbeite an Vorschlägen, heißt es
       im Kanzleramt. Doch Merkels Sprecher Steffen Seibert wies Berichte zurück,
       dass die Kanzlerin Sonderwirtschaftszonen in Südeuropa einrichten und
       Treuhandanstalten für Krisenländer fordern wolle. Ein Bericht des Spiegels
       hatte wohl zu sehr an die gescheiterten Konzepte bei der Abwicklung der DDR
       erinnert.
       
       Die Diskussion in der EU wird denn auch von Ideen aus Paris und Rom
       beherrscht. Italiens Interimsregierungschef Monti hatte schon im Frühjahr
       ein neues Wachstumsprogramm gefordert, das vor allem auf die Öffnung des
       Binnenmarkts und Strukturreformen setzt. Hollande brachte außerdem noch
       Gemeinschaftsanleihen („Eurobonds“), Projektanleihen für neue Autobahnen
       und Stromnetze sowie Hilfen für arbeitslose Jugendliche ins Gespräch.
       
       Doch über Eurobonds möchte Merkel beim EU-Gipfel Ende Juni nicht einmal
       reden. „Ich glaube, dass sie kein Beitrag sind, um das Wachstum
       anzukurbeln“, sagte die Kanzlerin in Brüssel. Was Projektbonds angeht, will
       sie sich nur auf einen unverbindlichen Feldversuch einlassen.
       
       ## 60 Milliarden lässt Rezession nicht überwinden
       
       Einigkeit besteht bisher nur darin, dass man das Kapital der Europäischen
       Investitionsbank (EIB) aufstocken will. Mit einer Erhöhung von 10
       Milliarden Euro könnten Infrastrukturprojekte im Wert von 60 Milliarden
       Euro initiiert werden, sagte EIB-Präsident Werner Hoyer.
       
       Doch mit 60 Milliarden Euro lässt sich die Rezession in Spanien,
       Griechenland oder Italien nicht überwinden, bestenfalls lindern. Außerdem
       will die EU vor allem in Beton investieren – in neue Autobahnen, Brücken
       und Bahntrassen. Über „grünes Wachstum“ wird zwar gern in Sonntagsreden
       gesprochen, doch im geplanten Wachstumspakt tauchen umweltfreundliche
       Zukunftsprojekte bisher nicht auf.
       
       Das sei „kein starkes Signal“, kritisiert Benedicta Marzinotto vom
       Brüsseler Thinktank Bruegel. „Dafür ist zu wenig Konkretes herausgekommen.“
       Daniel Gros von der Denkfabrik CEPS spricht sogar von einer „fehlgeleiteten
       Suche nach Wachstum“. Ähnlich äußert sich Fabian Zuleeg vom European Policy
       Centre in Brüssel: Hollande und seine EU-Genossen hätten die falschen
       Länder im Auge. Im Vordergrund müssten Konjunkturhilfen für Krisenländer
       wie Griechenland stehen; Frankreich könne sich immer noch selbst helfen.
       
       ## Die Krux der Debatte
       
       Zuleeg nennt Beispiele. Die EU müsse sich darum kümmern, dass wichtige
       öffentliche Dienste weiter finanziert werden. „Wenn Bildungs- und
       Gesundheitssystem zusammenbrechen und der Staat hilfsbedürftige Menschen
       nicht mehr unterstützen kann, nützt auch die beste Wachstumsstrategie
       nichts“, kritisiert er. Indirekt mahnt der EU-Experte damit Änderungen am
       Sparkurs an: In Griechenland und Spanien fallen die öffentlichen
       Sozialleistungen den Kürzungen zum Opfer.
       
       Das ist die Krux bei der gesamten Debatte: Am europäischen Sparkurs will
       selbst Hollande nicht rütteln, dabei haben die Streich- und Kürzungsorgien
       der letzten Jahre das Wachstum in vielen Ländern abgewürgt.
       
       Die Debatte kreist bisher um Trostpflästerchen, die noch dazu möglichst
       wenig oder gar nichts kosten sollen. Denn auch schuldenfinanzierte
       Konjunkturprogramme lehnt Hollande ab – da ist er sich ausnahmsweise einmal
       mit Merkel einig.
       
       ## „Wachstum lässt sich nicht verordnen“
       
       Wie unter diesen Umständen ein „messbares Wachstumspaket“ entstehen soll,
       wie es am Donnerstag wieder Italiens Monti forderte, bleibt ein Rätsel. Wer
       die Ausgaben kürzt und keine neuen Einnahmen schafft, kann schwerlich die
       Konjunktur beleben, im Gegenteil. „Wachstum lässt sich nicht verordnen“,
       heißt es dazu lapidar aus Berlin.
       
       Monti und Hollande wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie setzen
       darauf, doch noch neue Einnahmequellen erschließen zu können, etwa über die
       Finanzmarktsteuer. Und sie hoffen, den Sparkurs doch noch lockern zu
       können: etwa indem öffentliche Investitionen aus dem Defizit
       herausgerechnet werden.
       
       Bisher sträubt sich Merkel gegen diese Vorschläge. Doch Monti und Hollande
       treiben die Kanzlerin weiter vor sich her – in der Hoffnung, dass am Ende
       doch noch ein passables Paket herauskommt.
       
       31 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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